19. Juli 2024
Wie sinnvoll ist die WhatsApp-Bewerbung?
Lesezeit: 10 Min. Karriere-WebsitesRecruitingSocial Media
Es wirkt schon fast anachronistisch, wenn ich heute, im Jahr 2024 über die Bewerbung per WhatsApp schreibe. Gut 10 Jahre ist es her, dass deutsche Unternehmen WhatsApp im Recruiting-Kontext für sich entdeckten. Doch während der Messenger damals eher der dialogbasierten Berufsorientierung diente, finden Jobsuchende zunehmend die Möglichkeit, sich direkt über WhatsApp zu bewerben – statt über ein Bewerbungsformular. Nur … wie sinnvoll ist das eigentlich?
Eine Bewerbung per WhatsApp liegt eigentlich nahe
Eine Bewerbung per WhatsApp? Klar, warum nicht. Denn tatsächlich nutzten 2023 weltweit rund 2,8 Milliarden Menschen die Messaging-App zum Versenden und Empfangen von Kurznachrichten. Tendenz: weiter steigend. In Deutschland sind es Schätzungen zufolge immerhin rund 50 Millionen, die den Meta-Dienst (Facebook) trotz aller Bedenken und (Datenschutz-)Vorbehalte nutzen. Die Business-Lösung des Messengers, die seit 2018 auch in Deutschland verfügbar ist, hat weltweit rund 200 Millionen aktive Nutzer. So wird WhatsApp nun auch seit einigen Jahren in Unternehmen z. B. für Supportanfragen und den Kundenservice genutzt. Was liegt da also näher, als den beliebtesten Messenger der Deutschen auch als smarte Lösung für die Bewerbung zu nutzen?
WhatsApp in der Berufsorientierung
Schon bevor es die Business-Lösung gab, entdeckten deutsche Unternehmen die (zwar bedenklichen) Potenziale von WhatsApp im Recruiting-Kontext: Die Diakonie in Deutschland war es, die den Messenger 2015 erstmals zur Kontaktaufnahme mit Bewerbern nutzte. Daimler zog kurz darauf nach und begleitete einen Trainee einen ganzen Tag lang im Gruppenchat. Das Klinikum Dortmund nahm seine Bewerber sogar schon mit in den OP.
WhatsApp-Bewerbung meist Mogelpackung
Viele andere Unternehmen haben in den letzten Jahren nachgezogen oder befinden sich in “Testphasen”, wobei sich bei vielen das Versprechen der Kommunikation via WhatsApp schnell als Mogelpackung entpuppt – sei es, weil man viel zu träge erst Tage später (oder gar nicht) reagiert, weil man gebeten wird, sich doch bitte schön per E-Mail zu bewerben, weil man wie bei IKEA Schweiz, wo versucht wurde, Elemente einer Karriereseite in WhatsApp auszulagern, mindestens 10 Minuten für den Bewerbungsprozess (der eigentlich keiner ist) benötigt und am Ende doch kein zufriedenstellendes Ergebnis erhält oder weil WhatsApp als (schlechter) Ersatz für ein schlechtes Bewerbungsformular missbraucht wird.
WhatsApp als Bewerberservice im Dialog mit potenziellen Bewerbern nutzen
Nichtsdestotrotz, die Nutzung des Messengers, der von ca. 80 % der Deutschen jeglicher Altersgruppe genutzt wird, ist auch für den Kontakt mit potenziellen Bewerbern naheliegend. So lassen sich bspw. Jobs per Push-Nachricht aufs Handy verschicken. Nachhaltiger und wesentlich näher dran am Kandidaten ist man natürlich mit echtem Dialog oder einem Bewerberservice via WhatsApp. So können Bewerber in jeder Situation und von jedem Ort aus bspw. Fragen zur Bewerbung oder zum Job stellen, Sie wiederum können die App nutzen, um an Vorstellungsgespräche zu erinnern oder aber auf aktuelle Events aufmerksam zu machen.
WhatsApp lässt sich mit allen Funktionen auch komfortabel per Web-Client am Rechner nutzen, Sie müssen also nicht ständig aufs Smartphone starren. Unter der Voraussetzung, dass dem Thema Datenschutz ausreichend Beachtung geschenkt wird und eine reibungslose Candidate Experience ohne Medienbrüche gewährleistet ist, kann WhatsApp eine gute und sinnvolle Lösung darstellen. Wohlgemerkt: kann.
WhatsApp-Bewerbung: Unnötiger Medienbruch
Denn in den meisten Fällen ist eine Bewerbungsmöglichkeit per WhatsApp, die über eine Online-Stellenanzeige bzw. Karriere-Website initiiert wird, ziemlich widersinnig.
Warum?
Eigentlich ganz einfach: Weil eine Bewerbung über WhatsApp einen Wechsel vom ursprünglichen Medium (Karriereseite, Stellenanzeige) zu einem zusätzlichen (WhatsApp) darstellt. Auch wenn sich die Nutzer dann in einer vertrauten Umgebung bewegen und die gewohnten Funktionen der App auch für ihre Bewerbung nutzen können, stellt das Ganze einen völlig unnötigen Medienbruch dar, der nicht sein muss. Natürlich macht es mehr Spaß, sich über den Messenger zu bewerben, als über ein Formular, das eher Bewerbervermeidungsformular als Bewerbungsformular heißen sollte.
In den meisten Fällen kaschiert eine WhatsApp-Bewerbung letztlich nur einen wenig nutzerfreundlichen Bewerbungsprozess bzw. ein entsprechend nutzerunfreundliches Bewerbungsformular mit gruseliger UX respektive unnötigen Formularfeldern (Successfactors & Co. lassen freundlich grüßen). Unternehmen wären besser beraten, direkt auf ein nahtlos integriertes, schlankes Formular ohne Zwangsregistrierung zu setzen, anstatt einen neuen Kanal (hier also WhatsApp) aufzumachen, der zusätzliche Interaktion des Nutzers (der einer Nutzung erst zustimmen muss) erfordert und damit unnötige Interaktionskosten verursacht.
WhatsApp-Bewerbung bedeutet gegenüber kandidatenzentriertem Bewerbungsprozess Mehraufwand für den Bewerber
Abgesehen davon, dass viele Browser ein Autovervollständigen von Formularfeldern wie z. B. Adresse und E-Mail ermöglichen, sodass eine Bewerbung ohne Medienbruch über ein (schlankes, bewerberzentriertes) Bewerbungsformular innerhalb weniger Sekunden erfolgen kann. Und neben der Tatsache, dass dies bei WhatsApp nicht möglich ist, bedeutet allein das Öffnen von WhatsApp über den Weg der Karriereseite bzw. der Stellenanzeige einen zusätzlichen Aufwand, der noch dadurch getoppt wird, dass ein (potenzieller) Bewerber der Nutzung des Messengers (in der Regel im Browserfenster) erst einmal zustimmen muss.
Zudem wird der Nutzer in vielen Fällen auf die Anwendung eines externen Dienstleisters geschleust, wo der eigentliche Arbeitgeber im Zweifel gar nicht mehr erkennbar ist. Allerdings ist dies eher dem Geiz des Unternehmens geschuldet, wenn statt des Unternehmensnamens der Name des Dienstleisters als Absender des Chats erscheint. Das kann nicht nur zu Irritationen beim Nutzer führen, sondern zeigt – wieder einmal – dass Unternehmen im Recruiting gerne am falschen Ende sparen. Ach wie gut, dass es den Fachkräftemangel gibt, auf den man sich bei mangelnden Bewerbungseingängen gerne beruft, anstatt dem Recruiting das Engagement zuzugestehen, das es in Zeiten von Bewerbermärkten wie diesen (und darüber hinaus) so dringend benötigt und Bewerbungsprozesse zu gestalten, die es Jobsuchenden leichter machen.
Big Fail: Bewerbungsformular 1:1 über WhatsApp abbilden
Besonders absurd wird die Nutzung von WhatsApp als Bewerbungskanal, wenn hier dann das ohnehin schon schlechte Bewerbungsformular 1:1 übertragen wird – inklusive AGG-widriger Abfragen wie dem Alter und dem (absolut überflüssigen) Klassiker “Wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden?”. Besonders paradox ist die Tatsache, dass selbst Anbieter von Recruiting-Software, die sich hinsichtlich ihrer Bewerbungsformulare wahrlich nicht mit Ruhm bekleckern können, die WhatsApp-Bewerbung als Feature anbieten und mit der Einfachheit der Bewerbung werben. Finde den Fehler.
Natürlich ist eine Bewerbungsmöglichkeit per WhatsApp immer noch besser als die Bewerbung über einen der klassischen Bewerbervermeider wie Successfactors, Bewerbers Worst Day Workday & Co. Aber noch einmal:
Deutlich sinnvoller wäre es, einen schlanken, medienbruchfreien Bewerbungsprozess direkt auf der Karriereseite abzubilden.
Doch daran scheitern die meisten Unternehmen und nehmen aus Bequemlichkeit massenhaft Bewerbungsabbrüche in Kauf. Eine Haltung, die den Unternehmenserfolg massiv gefährdet, die Arbeitgebermarke schädigt und Unsummen kostet.
Klar, wer sich bewerben will, soll sich schließlich auch Mühe geben (ein solches “Argument” höre ich seit Jahren tatsächlich immer wieder; zuletzt bei einem Projekt, wo sich der Kunde entschied, an einem UX-GAU von Bewerbungsformular festzuhalten, anstatt auf ein schlankes Formular zu setzen, was reibungslos funktioniert hätte, aber einen marginalen Mehraufwand in der Pflege der Bewerberdaten bedeutet hätte. Nur: Was ist besser? Einzelne Daten von eingehenden Bewerbungen nachzupflegen oder aufgrund des Bewerbungsprozesses gar keine Bewerbungen zu erhalten?)
Geringe Akzeptanz der WhatsApp-Bewerbung bei Jobsuchenden
Und noch etwas spricht gegen eine Bewerbung per WhatsApp: die mangelnde Akzeptanz unter Jobsuchenden. Laut Softgarden Candidate Experience Studie 2023 finden rund 50 Prozent der Befragten die Kurzbewerbung über den beliebten Messenger schlecht (24,9 Prozent) oder sogar sehr schlecht (21,7 Prozent). Noch weniger Akzeptanz hat lediglich die Videobewerbung, Top-Favorit bei Jobsuchenden ist das (einfache!) Bewerbungsformular. Befragt wurden 3.811 Personen, die sich zum Zeitpunkt der Befragung in einem realen Bewerbungsprozess befanden.
Und noch einmal zum Mitschreiben: Ja, es ist klar, dass eine Bewerbungsmöglichkeit per WhatsApp besser konvertiert als das klassische, um unnötige Felder aufgeblähte und/oder hinter einem Zwangs-Log-in verborgene Online-Formular. Und, ebenfalls zum Mitschreiben: Würden Unternehmen von vornherein intuitiv bedienbare Bewerbungsformulare anbieten, die nativ in die Stellenanzeige eingebunden sind, könnten sie sich den WhatsApp-Schmu schenken und von mehr Bewerbungen profitieren. Natürlich dürfen sie für alle, die sich in der gewohnten Umgebung ihres Lieblingsmessengers wohler fühlen, eine WhatsApp-Alternative anbieten. Diese sollte dann aber nicht das 1:1 kopierte Bewerbungsformular enthalten.
Ein scheiß Bewerbungsprozess wird nicht besser durch ein anderes Medium
Oder in Anlehnung an das legendäre Zitat “Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, haben Sie einen scheiß digitalen Prozess“:
Wenn Sie einen scheiß Bewerbungsprozess auf WhatsApp verlagern, dann haben Sie immer noch einen scheiß Bewerbungsprozess. Nur in einem anderen Medium.
WhatsApp im Recruiting kann in bestimmten Fällen sinnvoll sein
Ist WhatsApp im Recruiting- oder sogar Bewerbungskontext also grundsätzlich sinnlos? Nein. Natürlich gibt es Ausnahmen. Eine davon ist der bereits erwähnte „Bewerberservice“, bei dem WhatsApp als das genutzt wird, was es ist: ein Messenger, um darüber Dialoge zu führen.
Die andere sind bspw. Kampagnen, etwa über Social Media, Plakate, Messewand etc., wo der Nutzer dann über das Kampagnenmedium direkt und ohne Umwege über Karriereseite oder Stellenanzeige per QR-Code auf dem (schlanken!) Bewerbungsformular respektive in einem echten Chat landet. Vorteil hier: Das Ganze lässt sich wunderbar über UTM-Parameter tracken.
Bewerbung per WhatsApp oft unnötige Hürde
Fakt ist: Der Bewerbungsprozess via WhatsApp, den einige Dienstleister anbieten, ist eher Augenwischerei. Hier werden die bereits bekannten Bewerbervermeider-Formulare einfach 1:1 auf WhatsApp übertragen und einem potenziellen Bewerber auf diesem Weg unnötige Hürden bei der Bewerbung untergejubelt. Verstöße gegen das AGG inklusive. Ein darüber hinaus gehender Dialog ist über solche Pseudo-Chats ebenfalls nicht möglich. Auch von dem vollmundig versprochenen Dialog auf Augenhöhe ist hier weit und breit nichts zu sehen, vielmehr handelt es sich hier um eine reine Einbahnstraßen-Lösung.
Der Bewerber ist nicht der Erfüllungsgehilfe der Personalabteilung!
Dies ist meines Erachtens der falsche Weg. Denn anstatt den Fokus auf eine wirklich einfache und bequeme Kommunikation zu legen – was WhatsApp letztlich ausmacht – wird wieder einmal der (potenzielle) Bewerber zum Erfüllungsgehilfen der Personalabteilung degradiert, was in der Folge natürlich Bewerbungsabbrüche provoziert. Auch wenn natürlich logischerweise über WhatsApp-Bewerbungsformulare eine bessere Conversion erzielt werden kann, als über Bewerbervermeider-Formulare. Eine noch bessere Conversion würde aber ein entsprechend smoother Bewerbungsprozess garantieren, der diese Mogelpackung gar nicht erst nötig macht und eine bessere User Experience ermöglicht.
WhatsApp als Kontaktkanal für potenzielle Bewerber bietet echten Mehrwert
Bei allen Vorbehalten dem Service gegenüber: WhatsApp als zusätzlichen Kontaktkanal für potenzielle Bewerber zu öffnen, ist ein guter Ansatz, über den es sich nachzudenken lohnt und mit dem Sie vor allem bei besonders „mobil affinen“ Zielgruppen punkten können! Schon die ersten Gehversuche mit WhatsApp im Recruiting haben das eindrucksvoll unter Beweis gestellt und auch andere Unternehmen, die einen echten und ehrlichen Dialog über das Medium führen, profitieren. Sollten Sie sich mit dem Gedanken tragen, WhatsApp als Bewerberservice zu nutzen, hätte ich folgende Empfehlungen für Sie:
- Richten Sie (auf einem eigens für diesen Zweck genutzten Smartphone) einen separaten Unternehmens-Account für diesen Bewerberservice ein
- Nutzen Sie nicht den allgemeinen Unternehmens-Account (über den alle anderen Anfragen eingehen), sondern richten Sie einen separaten Account für den Bewerberservice ein. Nur so ist sichergestellt, dass die Fragen zeitnah und zuvorkommend von einer kompetenten Person beantwortet werden können
- Verwenden Sie (schon allein aus Datenschutzgründen) weder einen privaten WhatsApp-Account noch Ihre Handynummer
- Kommunizieren Sie feste Zeiten, zu denen Sie erreichbar sind. Hilfreich ist hier auch eine automatisch versendete Nachricht, dass der Service dann und dann erreichbar ist und man sich gerne zu den entsprechenden Zeiten zurückmeldet (dies ist nur beim Unternehmenskonto möglich). Das erspart den Nutzern, die in der Regel schnelle Antworten erwarten, nämlich herbe Enttäuschungen (die sich wiederum negativ auf Ihre Arbeitgebermarke auswirken; Stichwort: Signaltheorie).
Lieber einen nahtlosen Bewerbungsprozess als eine Mogelpackung per WhatsApp
Fassen wir zusammen: WhatsApp im Recruiting-Kontext ist dann sinnvoll, wenn der Messenger für den Dialog mit dem potenziellen Bewerber genutzt wird. Die Bewerbungsmöglichkeit per WhatsApp ist dann sinnvoll, wenn der Nutzer über eine Kampagne (Social Media, Plakat, Außenwerbung …) außerhalb der Karriereseite oder Stellenanzeige auf ein entsprechendes Formular bzw. einen Chat gelangt.
Wenn sich “Bewerben per WhatsApp” aber – wie in den meisten Fällen – als Mogelpackung entpuppt, die entweder nur einen schlechten Bewerbungsprozess kaschiert oder – und die Frage ist, was hier schwerer wiegt – das bestehende schlechte Formular, das mit unnötigen Formularfeldern gespickt ist, 1:1 auf WhatsApp übertragen wird, dann ist dieser Weg garantiert der falsche. Sinnvoller wäre es, direkt auf der Karriereseite für einen reibungslosen Bewerbungsprozess ohne Medienbruch zu sorgen. Mehr Bewerber und weniger Bewerbungsabbrüche sind auf diese Weise garantiert.