Die umgekehrte Bewerbung: Wenn sich Unternehmen bewerben

Lesezeit: 10 Min. Employer BrandingKarriere-WebsitesPersonalmarketingRecruiting

Ich weiß nicht, ob Sie das mitbekommen haben, aber der Arbeitsmarkt hat sich gedreht. Und zwar in vielen Branchen, Berufsfeldern und Regionen um rund 180 Grad. Längst haben sich die Rollen verschoben: Eigentlich sind es nicht mehr die Menschen (die laut blumiger Aussagen vieler Unternehmen im Mittelpunkt stehen – und es dann ziemlich offensichtlich doch nicht tun), die sich bei einem Unternehmen bewerben, es sind die Unternehmen, die sich bei eben jenen Menschen bewerben, die dann dort auch im Mittelpunkt stehen dürfen. In der Theorie handelt es sich dabei um eine “umgekehrte Bewerbung” (neudeutsch “Reverse Recruiting”). Nur in der Theorie? Nein, auch in der Praxis, denn ein paar pfiffige Unternehmen haben erkannt, dass sich auf diese Weise längst verloren geglaubtes Land wieder gut machen lässt.

Wenn Arbeitgeber sich bewerben

Aber eins nach dem anderen. Vor einigen Tagen erreichte ich mich eine Nachricht von Nadine Bös, Redakteurin bei der FAZ, was ich denn so von der “umgekehrten Bewerbung” halten würde. Umgekehrte Bewerbung? – da dachte ich zunächst einmal an meine legendären Bewerbungstipps für Arbeitgeber, die ich schon 2015 formuliert hatte und anlässlich der TalentPro 2019 unter der Headline “Ihre Bewerbung als Arbeitgeber” ein Revival erlebten. Oder an die “Hier bewirbt sich der Chef”-Videos, die seinerzeit noch der rührige HR-Charmeur Jörg Buckmann für die Verkehrsbetriebe Zürich auf die Schiene gebracht hatte. Aber nein, Nadine meinte das wortwörtlich und schickte mir gleich ein paar Beispiele mit. Offensichtlich ist mir das durch mein mir freiwillig verordnetes “Social Media Distancing” glatt entgangen. Mein Interesse war geweckt, ich begann zu recherchieren und fand Begeisterndes und Ernüchterndes. Das, was ich fand, hat mich in zwei Fällen so begeistert und so inspiriert, dass ich das gerne mit Ihnen teilen möchte. Und so sind aus Nadines Anfrage zwei Artikel entstanden, aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Die umgekehrte Bewerbung, die keine ist

Wie oben erwähnt, fand ich wenig Begeisterndes, sondern vor allem Ernüchterndes. Im Grunde genommen kann ich das, was ich bei meiner Suche nach “wir bewerben uns bei dir” in wenigen Worten zusammenfassen. Im Wesentlichen blieb es bei den “Reverse Recruiting”-Bemühungen nämlich bei der Behauptung, man bewerbe sich. Tatsächlich musste man sich dann trotzdem ganz klassisch bewerben.

“Guten Tag Herr Knabenreich,
wir haben Ihre Daten erhalten. Würden Sie uns bitte noch Ihre vollständigen Bewerbungsunterlagen zukommen lassen?”

Oder aber man ließ sich viel Zeit, bis die Bewerbung endlich ankam. Sooo lang, dass man als guter Kandidat schon längst woanders unterschrieben hatte. Gut, offenbar setzen Unternehmen hier den gleichen Standard an, wie bei der “normalen” Bewerbung auch, wo es häufig mehrere Wochen braucht, bis man ein Lebenszeichen erhält. Wenn man denn eins erhält.

Mit Wertschätzung, Herz und Glaubwürdigkeit beim Mitarbeiter in spe punkten

Zwei Unternehmen aber waren dabei, die ihr Versprechen mit der umgekehrten Bewerbung eingehalten haben und zeigen, wie man mit Wertschätzung, Herz und Glaubwürdigkeit beim Mitarbeiter in spe punkten kann: Barghorn und Schlesselmann.

Bei Barghorn steht die Bewerbung auf dem Kopf

Klickt man bei Barghorn auf den Karriere-Button, der sich – so, wie es sein sollte -, in der Hauptnavigation befindet, so spürt man schon, dass da irgendwas anders ist. “#barghornschweißtzusammen”, heißt es da. Und dass man “emotional und finanziell am Erfolg beteiligt werde, dass Umgang und Führung darauf setzen, einem neuen Mitarbeiter maximale Freiheiten und eine größtmögliche Lösungskompetenz zu vermitteln”. All dies werde getauscht “gegen Deine ebenso große Verlässlichkeit und Flexibilität“. Ungewohnt Worte für eine Karriereseite. Dem Besucher wird viel Wertschätzung entgegengebracht. Informationen sind so aufbereitet, dass man sich gerne mit Ihnen auseinandersetzt. Das Besondere aber ist die Tatsache, dass sich nicht etwa der neue potenzielle Mitarbeiter bewirbt, sondern das Unternehmen. Umgekehrte Bewerbung eben.

“Wir wollen Dich. Nicht Du bewirbst Dich klassisch bei uns, sondern wir bewerben uns bei Dir, denn bei uns steht die Bewerbung Kopf.”

So heißt es auf der Karriere-Website von Barghorn. Na denn. Schnell die Formularfelder ausfüllen und abwarten, was passiert. Binnen Minuten kommt tatsächlich eine Bewerbung reingeschneit. So richtig schön oldschool, mit Anschreiben und Lebenslauf. Und das Ganze personalisiert, so wie es sich gehört. Und damit man sich von Anfang dazugehörig fühlt, steht im Lebenslauf gleich an erster Stelle des Werdegangs die geplante Erweiterung des Teams durch den neuen Mitarbeiter, in diesem Fall also mich, Henner Knabenreich.

Personalisierter Lebenslauf bei der umgekehrten Bewerbung von Barghorn

Wertschätzung in jeder Zeile

In den recht umfangreichen Bewerbungsunterlagen finden sich dann noch viele weitere Informationen, etwa Zeugnisse oder Informationen, die einem die neue Arbeitsregion Wesermarsch schmackhaft machen. So schmackhaft, dass man sich am liebsten sofort zu den angepriesenen 17.000 Schafen und 25 km weißem Sandstrand beamen mag.

Auch für den Standort zu bewerben gehört in die umgekehrte Bewerbung - Screenshot Barghorn

Durch und durch ein sympathischer Auftritt, in dem man in jeder Zeile spürt, die meinen das ernst mit dem im Mittelpunkt stehen. Der Ansatz der menschenorientierten Unternehmensführung, den Gunnar Barghorn als “Humanunternehmer” vertritt, nimmt man ihm und den Botschaften der Karriereseite und Bewerbung sofort ab. Wie die umgekehrte Bewerbung bei Barghorn ankommt, hat Nadine in Ihrem Artikel in der FAZ schön beschrieben.

Barghornschweißtzusammen - mit diesen Botschaften lässt man sich gerne umwerben

Ein Besuch der Karriere-Website lohnt definitiv. Auch wenn Barghorn “nur” ein kleines mittelständisches Unternehmen ist, gibt es dort jede Menge Inspiration auch für die Großen, nicht nur in Bezug aufs “Reverse Recruiting”. Und für die Neuauflage meines Buchs Karriere-Websites mit Wow!-Effekt ist die Seite auch schon vorgemerkt.

Vielen Dank, dass wir uns bei Dir bewerben dürfen!

Vorgemerkt ist auch die Seite von Schlesselmann. Auch wieder so ein Unternehmen, dass man über die Region hinaus, in der das Unternehmen sitzt, wohl kaum kennt. Auch ein Mittelständler. Noch kleiner als Barghorn. Aber wie heißt es so schön? Klein, aber oho! Alles andere als klein wird hier hingegen Wertschätzung geschrieben. Das macht sich sogar direkt im Favicon bemerkbar: Da prangt nämlich ein grünes Herz. Ein schönes, kleines feines Detail, wie ich finde. Klar, das Herz von Schlesselmann schlägt eben als holzverarbeitender Betrieb für Holz. Aber eben auch für seine Mitarbeiter. Und auch für die von morgen. Und so heißt es auf der Karriere-Website sympathisch und herzerwärmend: Hallo Kollege!

Job-Seite von Schlesselmann mit umgekehrter Bewerbung

Auch Schlesselmann arbeitet mit der Rückwärts-Bewerbung. Die Idee kam den “Schlesselmännern” in einem internen Brainstorming – aus zwei Gründen:

“Einmal, weil der Arbeitsmarkt nun mal so ist wie er ist. Wir sind die Bewerber und die potentiellen neuen Kollegen suchen sich den passenden neuen Arbeitsplatz aus. Und zum zweiten suchten und suchen wir Menschen, die zu uns ins in die „Schlesselmannschaft“ passen und dazu, wie wir miteinander umgehen.”

Schließlich erfahre man das sowieso nicht aus Bewerbungsunterlagen, so Hans Bockhop, bei Schlesselmann verantwortlich für Marketing und Vertrieb. “Ein Bewerbungsanschreiben formulieren können und einen Lebenslauf in Word erstellen – das gehört überhaupt nicht zu den Fertigkeiten, die man an unseren Holz verarbeitenden Maschinen braucht.” Diese Worte, liebe Leserin, lieber Leser, sollten Sie sich wieder und wieder auf der Zunge zergehen lassen. Denn diese Aussage trifft auf so ziemlich alle Berufe zu. Ziemlicher Weitblick da in Asendorf, den ich mir bei vielen Recruiting-Verantwortlichen auch wünsche.

Mit sympathischer und wertschätzender Bewerbung begeistern

Nun gut. Also bei Schlesselmann sollte es eben einfach sein: Handynummer, Wunschberuf, fertig. Und dann ist Schlesselmann am Zug. Mit seiner Form der umgekehrten Bewerbung. Nicht als Bewerbungsmappe, sondern in Form eines sympathischen Anschreibens, aus dem ich gerne zitiere (und da, wo nötig, kommentiere):

“Moin Henner, [schon bei der Anrede mit Moin sind wir auf einer Wellenlänge]

vielen Dank, dass wir uns bei Dir bewerben dürfen! [wow, die bewerben sich bei mir! Bei mir! Wertschätzung, liebe Leute!]

Wir freuen uns, dass Du Interesse an unserem Unternehmen hast und überlegst, ob Du bei uns als Maschinen- und Anlagenführer arbeiten möchtest. [stimmt, ich überlege noch. Erst mal seit ihr dran, mich zu überzeugen]

Unser Herz schlägt für Holz – mit etwa 60 Kolleginnen und Kollegen produzieren wir im Jahr etwa 1,5 Millionen Paletten für unsere Kunden, die überwiegend in Norddeutschland sind. Dafür haben wir ein eigenes Sägewerk, einen umfangreichen Maschinenpark in unseren Produktionshallen, ein großes Lager und einen eigenen Fuhrpark mit vier LKWs. Um die Aufträge unsere Kunden schnell und flexibel erfüllen zu können, arbeiten wir auch im Schichtbetrieb, meistens in Früh- und Spätschicht. [Ah, alles klar, nun kenne ich die Größe und habe einen Eindruck von euren Anlagen. Schichtbetrieb, hm, mal überlegen, aber danke für die Offenheit und dass ihr nicht erst im Vorstellungsgespräch damit rumkommt (jemand, der keine Lust auf Schichtarbeit hat, wird sich wahrscheinlich nicht bewerben und Schlesselmann muss sich gar nicht erst mit ungeeigneten Menschen rumschlagen, die wertvolle Ressourcen im Recruiting schlucken]

Der Umgang bei uns ist sehr kollegial und familiär, wir gehen offen und ehrlich miteinander um. Das Unternehmen leitet unser Chef Ralf Schlesselmann in der vierten Generation. Aber auch sein Vater und sein Sohn arbeiten im Betrieb mit – Generation drei und fünf :-) [klingt sympathisch und nach Beständigkeit, scheint ein sicherer und guter Hafen zu sein]

Als Maschinen- und Anlagenführer solltest Du eine abgeschlossene Ausbildung in einem handwerklichen oder technischen Beruf und passende Berufserfahrung mitbringen [check]. Du wirst auf die Maschinen in unserem Sägewerk und unserer Palettenfabrik eingearbeitet [okay, kein Sprung ins kalte Wasser, gut]. Du kannst diese Maschinen dann umrüsten und einrichten, Störungen beseitigen und gemeinsam mit den Kollegen für einen reibungslosen Betrieb sorgen. Und die Maschinen mit Holz und Nägeln „füttern“, damit am Ende die richtigen Paletten in der richtigen Qualität für unsere Kunden herauskommen [alles klar, das mache ich da also].

Wäre das der richtige Arbeitsplatz für Dich? Dann würden wir uns gern in einem persönlichen Gespräch näher vorstellen und auch Dich kennenlernen. [klingt mal gar nicht so schlecht und eure entwaffnende Ehrlichkeit macht das sehr wahrscheinlich]

Wenn Du vorher noch Fragen hast oder direkt einen Termin vereinbaren möchtest, ruf mich einfach an oder schreib mir eine kurze Nachricht per Mail oder WhatsApp. [cool, das ist ja mal unkompliziert, die chatte ich gleich mal an!]

Mit holzlichen Grüßen

Und wie kommt die Rückwärts-Bewerbung zu geeigneten Menschen?

Nun sind so eine sympathische Jobseite und eine Rückwärts-Bewegung das eine. Aber wie kommt denn die umgekehrte Bewerbung eigentlich unter die Leute? Klar, in dem man sie bewirbt. Die Bewerbung bewerben quasi. Und so gab es nicht nur Kampagnen auf Facebook und Instagram, auch die Fahrzeugflotte wurde mit eingespannt.

Hallo Kollege - LKW von Schlesselmann mit Job-Botschaft

Drauf ist, wer drin sitzt

Die Bilder zeigen echte Menschen, echte Mitarbeiter von Schlesselmann. Sogar mehr als das: Auf den Fahrzeugen ist hinten der drauf abgebildet, der vorne drin sitzt. Die Sprache ist so gewählt, wie man dort sprich. Daher lautet der Link zu den Stellen schlesselmann.de/arbeit und nicht auf „Jobs“ oder „Karriere“. Denn:

“Bei uns macht man keinen Job und bei uns macht man auch keine Karriere, bei uns arbeitet man :-)”

Guter Punkt! Und die Resonanz? Schlesselmann hatte dank seiner “Reverse-Recruiting”-Maßnahmen deutlich mehr und deutlich passendere potentielle neue Kollegen und Auszubildende als in den Vorjahren. Und es wurden davon auch so viele eingestellt, wie eben möglich war, einzuarbeiten.

Ist die umgekehrte Bewerbung was für jeden Arbeitgeber?

Natürlich eignet sich so eine wie hier dargestellte Form der umgekehrten Bewerbung nicht für jedes Unternehmen. Klar sollte aber sein: Die Zeit der immergleichen Wir-suchen-Botschaften und des Bewerber-als-Bittsteller-behandeln sind endgültig vorbei. Jedes Unternehmen – ob nun Klein- und Mittelstand, ob nun Porsche, Bayer, BMW – sollte sich bei den Menschen “bewerben”, die gesucht werden. Das ist nicht unbedingt wörtlich zu nehmen und die Bewerbungsmappe können Sie getrost stecken lassen, aber ein bisschen mehr Candidate Centricity, mehr Wertschätzung im Recruiting und in der Ansprache der Menschen sollte schon sein. Möglicherweise sind Sie sich gar nicht bewusst, welche Wirkung Ihre Karriereseite, Ihre Stellenanzeige, Ihr Bewerbungsprozess, Ihre Bewerbungskorrespondenz und vieles mehr auf Jobsuchende haben? Dann sollten Sie meinen Artikel über die geheimen Signale der Arbeitgeber lesen.

Und hier geht’s zum Artikel “Bewerbung mal andersherum” von Nadine Bös in der FAZ.

Kommentare (1)

Senior Recruiter

Die Website von Schlesselmann ist echt gut. Das ganze übertriebene Wellness und New Work blah blah nutzt sich langsam ab. :-) Es gibt einfach noch zu viel Extreme. Firma a): gibt es alles. Firma b): nichtmal ein stilles Wasser. Leider gibt es auch unzufrieden Mitarbeiter in den a) Firmen. Es geht am Ende dann auch immer um beide Seiten.
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Moin! Ich bin Henner Knabenreich. Seit 2010 schreibe ich hier über Personalmarketing, Recruiting und Employer Branding. Stets mit einem Augenzwinkern oder den Finger in die Wunde legend. Auf die Recruiting- und Bewerberwelt nehme ich auch als Autor, als Personalmarketing-Coach, als Initiator von Events wie der HR-NIGHT oder als Speaker maßgeblich Einfluss auf die HR-Welt. Sie möchten mich für einen erfrischenden Vortrag buchen, haben Interesse an einem Karriere-Website-Coaching, suchen einen Partner oder Berater für die Umsetzung Ihrer Karriere-Website oder wollen mit bewerberzentrierten Stellenanzeigen punkten? Ob per E-Mail, XING oder LinkedIn - sprechen Sie mich an, ich freue mich auf Sie!
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