02. Februar 2021
Recruiting-Fails: Was bei der Jobsuche nervt
Lesezeit: 10 Min. PersonalmarketingRecruitingStellenanzeigen
Darüber, dass viele Unternehmen eine nahezu perfekte Bewerbervermeidungsstrategie anwenden, hatte ich schon mehrfach geschrieben. Es gibt viele Faktoren, die dazu führen, im Recruiting zu versagen respektive Jobsuchende zu verprellen. Wobei Jobsuchende zu kurz greift. Denn es gibt ja nicht wenige, die über Sourcing angesprochen werden und dann doch wieder erfolgreich vergrätzt werden. Doch was sind diese Faktoren, was sind die Top-Recruiting-Fails aus Sicht der Bewerber? Darauf haben 28.000 Jobsuchende StepStone eine Antwort gegeben. Einige Highlights aus der Umfrage lesen Sie hier.
Fachkräftemangel oder Gutes-Recruiting-Mangel?
All überall im Lande, auf und ab, im Norden, im Süden, im Osten, im Westen stimmen die Unternehmen das Lied des Fachkräftemangels an. Schon praktisch, dass es diesen gibt und das auch immer wieder durch die Medien befeuert wird. So können Unternehmen gut ihr eigenes Unvermögen kaschieren. Denn dass Stellen unbesetzt bleiben oder die falschen Menschen eingestellt werden, liegt in vielen Fällen an mangelhaften oder fehlenden Recruiting-Bemühungen. Wenn man denn überhaupt von Bemühungen sprechen kann, wenn man sich nicht bemüht. Aber auch hier gilt wie im besten Arbeitszeugniswischiwaschijargon: Er (oder auch sie) hat sich stets bemüht. Was wiederum, das wissen wir alle, für eben genau das Gegenteil steht. Dem Recruiting vieler deutscher Unternehmen ist ganz klar die Note 5 auszustellen. Und so ist es in vielen Fällen wohl eher ein Gutes-Recruiting-Mangel als ein “Fachkräftemangel”.
Was nervt Jobsuchende am meisten, was sind die größten Hürden bei der Bewerbung?
StepStone wollte es genau wissen: Was nervt Jobsuchende am meisten, was sind die größten Hürden, die Unternehmen erfolgreich im Recruiting errichten, um potenzielle Bewerber zu verprellen? Wenn 28.000 Menschen, die sich aktuell auf Jobsuche befinden, darauf antworten, hat das schon eine gewisse Relevanz. Angemerkt sei an dieser Stelle auch, dass Jobsuchende nicht automatisch Bewerber sind. Denn von einer Bewerbung sehen viele dieser Jobsuchenden ab. Die Gründe werden im Laufe dieses Artikels dargestellt.
Die Umfrage fand zwischen September und Oktober 2020 statt – also mittendrin im Geschehen der Corona-Pandemie – und umfasste Themen wie Bewerbungsprozess im Allgemeinen, Qualität und Inhalt von Stellenanzeigen, Akzeptanz von Video-Interviews und einiges mehr. Hier einige Highlights.
Vom Start der Jobsuche bis zur Unterschrift in 5 Monaten
4,7 Monate. So lange dauert es im Schnitt vom Start der Jobsuche bis zur Unterschrift. Wenn Sie mich fragen, ist das zu lang. Nahezu 5 Monate bleibt eine Stelle unbesetzt – nahezu 5 Monate können Projekte also nicht abgewickelt, Kunden nicht versorgt und Patienten nicht behandelt werden. Wahnsinn, was das kostet. In und auch außerhalb der Regel ein Vielfaches von dem, was es kosten würde, in gutes Recruiting zu investieren.
Mangelhaftes Recruiting als Ursache für unbesetzte Stellen
Dass Stellen so lange unbesetzt bleiben, hat weniger mit Corona zu tun. Abgesehen davon, dass viele Unternehmen ihren Beitrag dazu leisten, indem Sie Jobsuchende in Unsicherheit lassen, steigen die Vakanzzahlen seit Jahren munter an. Ursache ist in den meisten Fällen ein mangelhafter Recruiting-Prozess, aber natürlich gibt es auch andere Faktoren, etwa toxische Führung und die Tatsache, dass Jobsuchende, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von morgen als lästige Bittsteller behandelt werden und ein wertschätzender Umgang für viele Unternehmen, Personalabteilungen und Führungskräfte immer noch ein Fremdwort ist. Corona hin oder her.
Bewerbungsprozesse im Durchschnitt nur befriedigend
Das zeigt sich dann auch in den Schulnoten, die die Befragten den Unternehmen für ihren Recruiting-Prozess ausstellen durften. Mit “sehr gut” bewerteten gerade einmal 4,9 Prozent den erlebten Prozess. 34 Prozent erleben den Bewerbungsprozess als “gut”. Über ein Drittel (34,9 Prozent) stellen die Note “befriedigend” aus. 14,6 Prozent empfinden den Prozess als “ausreichend” und 11,7 Prozent stellen den Bewerbungsprozessen der Unternehmen ein “mangelhaft” (9,7 Prozent) oder sogar “ungenügend” (2 Prozent) aus.
Nun könnten Sie argumentieren, so what, wenn 70 Prozent meinen Prozess doch als gut oder zumindest befriedigend empfinden und die anderen eben nicht, ist mir das doch latte. Klar. Problem: Unter diesen 3.080, die Ihren Bewerbungsprozess so schlecht finden, dass Sie sich gar nicht erst bewerben, sind möglicherweise und mit hoher Wahrscheinlichkeit genau die, auf die Sie so lange gewartet haben. Und nun für immer vergrault haben. Können Sie sich das wirklich leisten?
12 Prozent der Bewerber geben dem Bewerbungsprozess die Note 5 oder 6
Wahrscheinlich gehören zu den Unternehmen, die zu diesen schlechten Bewerberbewertungen führen, die, die am lautesten über den Fachkräftemangel lamentieren. Erfahrungsgemäß zumindest ist das so, etwa im Gesundheits- und Sozialwesen oder in den Kommunen.
Klassische Bewerbervermeider sind auch Systeme wie SAP Success Factors, Zwangs-Logins, ellenlange Bewerbungsformulare. mit der Lupe zu suchende Jetzt-bewerben-Buttons, fehlende Informationen zum Bewerbungsprozess, oder auch das “Ghosting”, sich also nicht auf eine Bewerbung zurückzumelden. Eine bei Personalern aus dem Dating übernommene und sich zunehmender Beliebtheit erfreuende Spielart.
Mangelnde Transparenz im Bewerbungsprozess
Befragt nach den einzelnen Aspekten, wie gut eine Bewerbung funktioniert, werden insbesondere die mangelnde Transparenz zu Ablauf und Dauer sowie der Aufwand für die Erstellung der (teilweise doppelt zu liefernden, einmal als Anhang, einmal im Formular) Bewerbungsunterlagen bemängelt.
Insbesondere der Umgang mit fehlenden Rückmeldungen seitens der Unternehmen bereitet Jobsuchenden Schwierigkeiten: 58,3 Prozent bemängeln dieses Ghosting. Gerade selbst habe ich dies wieder im nahen Umfeld mitbekommen: Eine Rückmeldung zur Bewerbung erfolgte erst nach 2 Monaten. Gut, man muss diesem Unternehmen zugutehalten, dass die Rückmeldung zwar spät, aber immerhin doch erfolgte. Die Tatsache, dass man eine korrekte Anrede mit Nachnamen nicht für notwendig hielt und ein “sehr geehrte Bewerberin” hier ausreichen musste, nimmt man da dann doch vor diesem Hintergrund gelassen hin.
Bewerber tun sich mit Anschreiben schwer
Das ohnehin überflüssige Anschreiben wird von Bewerbern als zweitgrößte Hürde empfunden: 38,6 Prozent der Befragten tun sich mit der Formulierung eines “aussagekräftigen” Anschreibens schwer. Glücklicherweise gibt es mittlerweile Unternehmen, die gänzlich auf dieses wenig aussagekräftige, Bewerber aber oft Kopf und Kragen kostende, Dokument verzichten. Andere wiederum halten daran fest und sortieren Bewerber sogar aus, wenn nur ein einziger Tippfehler im Dokument ist. Dass Unternehmen wiederum Meister darin sind, austauschbare und nichtssagende Stellenanzeigen zu formulieren und sich sogar frech per Copy-and-paste bei anderen Unternehmen der Texte bedienen, fällt dabei galant unter den Tisch.
Das Erstellen eines Lebenslaufs inklusive Auswahl entsprechender Nachweise steht mit 8,6 Prozent übrigens an vorletzter Stelle der Faktoren, die bei der Jobsuche und dem damit verbundenen Bewerbungsprozess generell Schwierigkeiten bereiten. Anders ausgedrückt: Lebenslauf ist ok, Anschreiben passé.
Negative Candidate Experience hat massiven Einfluss auf Bewerbung
Diese Schwierigkeiten gilt es schleunigst zu beseitigen. Denn ein bewerber(un)freundlicher Bewerbungsprozess hat einen massiven Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen ein Jobangebot: Für 85,7 Prozent ist ein kandidatenzentrierter Prozess wichtig (44,9 Prozent) bzw. sehr wichtig (40,8 Prozent). Lediglich für 1,3 Prozent der Befragten spielt eine positive Candidate Experience keine Rolle.
Bedeutung eines bewerberfreundlichen Recruiting-Prozesses wächst
Spannend übrigens auch, wie sich der Einfluss der Candidate Experience auf das Bewerbungsverhalten in den letzten Jahren geändert hat. Auf die Frage, inwiefern sich die Bedeutung eines bewerberfreundlichen Bewerbungsprozesses für die Entscheidung für oder gegen ein Jobangebot in den letzten Jahre verändert hat, so sind nur 28,4 Prozent der Meinung, es sei unverändert. Nahezu 70 Prozent hingegen sind der Meinung, dass dieser Aspekt wichtiger (49,9 Prozent) bzw. viel wichtiger geworden ist (18,9 Prozent).
Shit in, Shit out: Bewerber wünschen sich Matching, was nicht funktionieren kann
Spannend finde ich die Aussage, dass sich 90,8 Prozent der Bewerber wünschen, auf Basis ihres persönlichen Profils (Fähigkeiten und Kenntnisse, Suchverhalten, Lebenslauf, etc.), passende Stellenangebote automatisiert vorgeschlagen zu bekommen. Die Sache hat leider einen großen Haken. Das Matching kann nämlich nur so gut sein, wie die zur Verfügung stehenden Daten. Wenn Bewerber also durchaus bereit sind, für dieses Matching mehr Daten preiszugeben (und das sind immerhin 72 Prozent der Befragten), so wird das Matching aufgrund der mangelhaften Qualität der Stellenanzeigen (und, da reicht ein Blick in die gängigen Stellenbörsen, die Qualität der meisten Stellenanzeigen ist mangelhaft) leider nicht funktionieren. Oder anders gesagt: Shit in, Shit out.
Ein effizienter Bewerbungsprozess ist Bewerbern wichtiger, als Anschreiben & Co. individuell gestalten zu können
Es dürfte auch nicht wirklich überraschen, dass es Bewerbern wichtiger ist, dass sie sich schnell und effizient bewerben können, als eine Bewerbung besonders individuell zu gestalten (z. B. durch Layout, Anschreiben). Das sagen drei Viertel der Befragen (75,4 Prozent). Doch obwohl sich so viele Menschen mit dem Anschreiben schwertun (siehe oben), ist es nur für 10,8 Prozent wahrscheinlicher, dass sie auf eine Stelle bewerben, wenn dies per Video-Bewerbung ermöglicht wird.
Dass Unternehmen beharrlich am Anschreiben festhalten, ist indes fragwürdig. Denn diese sind ungefähr so aussagekräftig, wie die Stellenanzeigen, auf die sie sich beziehen. Oder die Arbeitszeugnisse, die man nach getaner Arbeit erhält. Unternehmen, Personalabteilungen und Fachabteilungen sind halt stets bemüht, es ihren potenziellen Bewerbern schwer zu machen. Oder anders gesagt: Unternehmen sind perfekt aufgestellt in Sachen Bewerbervermeidungsstrategie. Das erklärt auch, warum sie die Belegschaft von morgen mit Zwangs-Logins und ellenlangen Bewerbungsformularen quälen und mit langweiligen, ichbezogenen Stellenanzeigen langweilen.
Stellenanzeigen mit viel Optimierungspotenzial
Zwar sind Bewerber im Großen und Ganzen mit Inhalt und Aufbau der Stellenanzeigen zufrieden (was einen schon verwundert), vermissen aber insbesondere Angaben zum Gehalt (75,8 Prozent). Was das bedeutet und welche Vorteile Gehaltsangaben für Sie im Recruiting haben, hatte ich anderer Stelle bereits ausführlich erläutert.
Wer das Gehalt angibt, punktet beim Bewerber
95,6 Prozent der Befragten geben an, sich mit höherer Wahrscheinlichkeit auf eine Stellenanzeige zu bewerben, wenn das Unternehmen eine klare Gehaltsangabe macht. Und geht es um die Art der Darstellung, so bevorzugen 88,6 Prozent der Befragten eine Angabe des konkreten Gehalts oder eines Gehaltsrahmens, 82,4 Prozent geben sich auch schon mit der Angabe eines Durchschnittsgehalts bzw. eines durchschnittlichen Gehaltsrahmens für die ausgeschriebene Stelle zufrieden. Die gute Nachricht: 48,7 Prozent lassen sich auch mit einer “ausformulierten Einordnung im Verhältnis zum Marktdurchschnitt” abspeisen, also eine Aussage wie “Wir bieten ein überdurchschnittliches Gehalt.”
StepStone ab Mitte März mit Angabe der Gehaltsspanne
Was auch immer das dann bedeutet. Und weil Unternehmen Jobsuchenden eben nur Intransparenz und in der Regel inhaltsleere Angaben bieten, folgt StepStone ab Mitte März den Spuren von Google for Jobs und zeigt dann bei allen Stellenanzeigen eine Gehaltsspanne an. Diese berechnet StepStone “auf Basis mehrerer Millionen Daten, die man Laufe der Jahre gesammelt hat”. Keine Angst, Sie selbst dürfen auch das Gehalt hinterlegen (wie das bereits bei indeed oder eben Google möglich ist). Und Sie tun gut daran.
An den Bedürfnissen der Zielgruppe ausgerichtete Stellenanzeigen sind Mangelware
Bemängelt werden auch fehlende Angaben zu Arbeitszeiten und Arbeitszeitmodellen oder auch Informationen zum künftigen Team. Stattdessen findet man eine selbstbeweihräuchernde Darstellung des Unternehmens à la wir sind die Größten, die Schönsten, die Schlausten und Weltmarktführer mit unseren X Mitarbeitern sind wir sowieso.
Spannend auch für mich der Wunsch nach einer Angabe der benötigten Fähigkeiten. Und bitte nicht stumpf Flexibilität, Teamfähigkeit und Zuverlässigkeit angeben. Wenn Sie es schaffen, das in den Kontext der Aufgaben zu setzen und zu verraten, was Ihnen vorschwebt, wenn Sie die Begriffe gedankenlos in Ihr Stellenanzeigen-Template hacken, steigen die Chancen um ein Vielfaches, passende(re) Bewerbungen zu bekommen. Es verwundert nicht, dass 48,3 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass die Anforderungen in Stellenanzeigen in der Regel nicht realistisch sind.
Wann endlich lernen Unternehmen, Stellenanzeigen aus Bewerbersicht zu formulieren und die Bedürfnisse der Zielgruppe zu adressieren, anstatt immer nur die Unternehmensperspektive einzunehmen?
Kann doch nicht so schwer sein. Es sind also jede Menge Angaben zu Benefits (aka Mitarbeitervorteile, die abgefragten Kriterien finde ich etwas unsauber), an deren Kommunikation Unternehmen arbeiten sollten, um Jobsuchende zu überzeugen.
Faktoren, die dazu beitragen, sich nicht auf eine Stelle zu bewerben
Welche Bedeutung fehlende Angaben in Stellenanzeigen oder ein mangelhafter, intransparenter Bewerbungsprozess haben, zeigen auch sehr schön die folgenden Zahlen:
Schlechte Arbeitgeberbewertung = keine Bewerbung!
Es verwundert schon, wie viele Unternehmen ihre potenziellen Bewerber im Unklaren über den zukünftigen Arbeitsort lassen und damit Nicht-Bewerbungen riskieren. Für 62,2 Prozent ist diese fehlende Angabe ein Grund, sich nicht zu bewerben. Eine schlechte Arbeitgeberbewertung hält 58 Prozent der Jobsuchenden von einer Bewerbung ab. Klar, warum sollte man sich auch bei einem Unternehmen bewerben, dass seine Mitarbeiter mit Füßen tritt? Umso wichtiger ist es also, die Arbeitgeberbewertungen auf kununu, indeed, StepStone, Glassdoor & Co. im Blick zu behalten und darauf zu reagieren (siehe auch toxische Führung und ihre Auswirkungen auf Recruiting!).
Fehlerhafte Stellenanzeigen und ein mangelhafter Bewerbungsprozess Hauptgrund für Nicht-Bewerbungen
Ein unklarer Stellentitel ist für 37,1 Prozent der Befragten Grund, sich nicht zu bewerben. Fehlen Informationen in der Stellenausschreibung, würden sich gut 36 Prozent nicht bewerben. Und ein mangelhafter, intransparenter, umständlicher Bewerbungsprozess wird hier gleich mehrfach in verschiedenen Facetten als No-go- bzw. No-Application-Area gewürdigt.
Die Ergebnisse der StepStone-Umfrage unter der nicht ganz unerheblichen Stichprobe von 28.000 Beschäftigten sind wenig schmeichelhaft und zeigen sehr schön, dass es noch verdammt viel zu optimieren gibt im Recruiting.
Wann fangen Sie damit an?