22. März 2023

Hilfe, Bewerber! - Der launige Recruiting-Podcast ist live
Endlich, nach langer, langer Zeit der Vorbereitung, Abstimmung und Aufnahme ist nun (m)ein neuer Podcast live: “Hilfe, Bewerber!“, so heißt
weiterlesen12. März 2019
Lesezeit: 12 Min. Employer BrandingKarriere-WebsitesStellenanzeigen
Es ist schon merkwürdig. Da investieren Unternehmen Unsummen ins Employer Branding und vergessen dabei komplett den Bewerbungsprozess. Möglicherweise ist er ihnen auch schnurzpiepegal, diesen Eindruck gewinnt man zumindest immer wieder, wenn man denn in die Schuhe des Bewerbers schlüpft und dessen Leidenswege nachzeichnet. Ein Leidensweg übrigens auch für die Unternehmen, denn dieses grob fahrlässige Verhalten führt dann dazu, dass Bewerber auf der letzten Meile verprellt und für immer vergrault werden – und Stellen unbesetzt bleiben. Grund genug, sich dieses Themas anzunehmen und Ihnen die Augen zu öffnen.
Leider ist es so, dass Unternehmen mittels der heute noch häufig verwendeten Bewerbermanagementsysteme (insbesondere denen mit den besonders umständlichen Formularen) eine Art von Festung aufbauen. Man zieht eine hohe, gewissermaßen mit Stacheldraht bewehrte Schutzmauer gegen die ohnehin in vielen Fällen nur noch spärlich hereintröpfelnden Bewerbungen auf. Möglicherweise wurde Donald Trump durch Online-Bewerbungsformulare inspiriert, als er seine Mauer an der US-amerikanisch/mexikanischen Grenze plante?
Nur ein ganz geringer Prozentsatz schafft es, nach einem komplizierten Ausfüllprozess ins Innere der gut gesicherten Unternehmensfestung zu schlüpfen und an der Bewerbungsparty teilzuhaben. Wenn er denn überhaupt die Muße dazu hat. Denn, ich kann es nicht oft genug betonen: Der nächste Arbeitgeber ist nur einen Mausklick entfernt. Jedes Formularfeld mehr, jeder Klick mehr, jede Anmeldung – also jeder Stein, den Sie Ihrem Bewerber in den Weg legen, führt spätestens bei der 12. Formularseite (wohl eher früher) dazu, dass er sich mehr und mehr von Ihnen entfernt und zu guter Letzt Reißaus nimmt. Oder hätten Sie Lust, bspw. 20 Pflichtfelder nur zum Thema Schulbildung zu bearbeiten, das Ganze in einem Formular, welches sich über zwei Bildschirmlängen erstreckt und bei der Betrachtung via Smartphone einer Lupe bedarf?
Anders gesagt: Jedes Formularfeld zu viel bedeutet einen Bewerber weniger!
Während die Formulare so mancher Bewerbermanagement-Software wirken wie aus den Anfängen des Internetzeitalters, verfügt zeitgemäße Bewerbungssoftware über die Möglichkeit, die Daten aus dem XING- bzw. LinkedIn-Profil oder aber aus dem hochgeladenen Lebenslauf auszulesen. Bei diesem so genannten CV-Parsing erkennt die verwendete Bewerbermanagement-Software automatisch und mit hoher Sicherheit die in einem Lebenslauf oder Social-Media-Profil hinterlegten Daten (z. B. Vorname, Nachname, Geschlecht, Anrede, Geburtsdatum, Adressdaten u. v. m. Auch zusätzliche Daten wie z. B. vorherige Jobs, Arbeitgeber, Hochschulabschlüsse, Fachkenntnisse etc. können analysiert, extrahiert und anschließend in die korrekten Felder eingefügt werden. Und natürlich profitieren Sie auch als Recruiter vom CV-Parsing: 90 Prozent Zeitersparnis und mehr sind drin, da Sie keine Lebenslaufdaten mehr manuell eingegeben müssen. Außerdem stärken Sie durch einen nutzerfreundlichen Bewerbungsprozess im Zweifelsfall sogar Ihr Employer Branding. Gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Recruiterherz und Bewerberherz – was wollt ihr mehr?
Tatsächlich gibt es auch Formulare, die diese Funktion bieten, aber dennoch aussehen, als wären sie mit irgendwelchen Homepagebaukästen aus den Anfangsjahren des Internet erstellt. Wieder einmal zeigt sich, dass die Anbieter von HR-Software zwar wunderbar Bewerberdaten verwalten können, in Bezug auf Candidate- und User Experience aber schnell an ihre Grenzen kommen. Und wer hat das Nachsehen? Ihre Bewerber. Und damit in der Folge auch Sie.
Darüber hinaus erfordern viele Systeme ein langwieriges Anmeldeprocedere. So heißt es bspw. bei Audi: „Um Ihre Bewerbung auf entsprechende Stellenangebote online absenden zu können, ist es notwendig, dass Sie sich innerhalb unseres Stellenportals registrieren und sich ein persönliches Bewerberprofil anlegen.“
“Wozu? Ich möchte mich lediglich bewerben. Auf eine Stelle. Fertig. Und dann erwarte ich, dass Sie, liebes Unternehmen, mich über den Bewerbungsprozess auf dem Laufenden halten. Apropos auf dem Laufenden halten: Lassen Sie sich zu viel Zeit mit Ihrem Bewerbungsprozess, bin ich schneller weg, als Sie Blaubeerkuchen sagen. Denn, liebes Unternehmen, die Unternehmenswelt liegt mir zu Füßen. Ich als Bewerber kann mir aussuchen, wo ich mich bewerbe. Und wenn Sie das immer noch nicht begriffen haben, gnade Ihnen Gott, denn dann wird es schwer, noch am Bewerbermarkt Fuß zu fassen. Auf Nimmerwiedersehen!”
So oder so ähnlich werden die Gedanken sein, die einem potenziellen Mitarbeiter bei dieser Gelegenheit durch den Kopf gehen.
Meine Vermutung: Es ist gar nicht der Dieselskandal, der Audi in eine tiefe Krise stürzte. Viel wahrscheinlicher scheint es mir, dass es an den abschreckenden Bewerbungsprozessen liegt. Auch bei Siemens muss der Bewerber erst umständlich eine Anmeldemaske ausfüllen, bevor er sich durch eine Vielzahl an Formularseiten quälen darf. Dabei steht unübersehbar auf der Karriere-Startseite „Wir fragen uns jeden Tag, wie wir das Leben der Menschen verbessern können.“ Ich hätte da so eine Idee…
Wieder einmal schleicht sich bei mir der Verdacht ein, dass die Unternehmen eine ausgeklügelte Bewerbervermeidungsstrategie verfolgen. Dieser Eindruck verstärkt sich insbesondere dann, wenn man den Anmeldeprozess zwar murrend, aber doch widerstandslos über sich ergehen lässt, aber spätestens bei den folgenden Formularwüsten die Flucht ergreift. Laut verschiedenen Umfragen tun das eine ganze Menge: Zwischen 8 und 20 Prozent der Befragten verzichtet auf eine Bewerbung, wenn Sie mit einem entsprechenden Formular bzw. Bewerbungsprozess konfrontiert werden. Messungen haben sogar ergeben, dass durchschnittlich 70 Prozent der Bewerber aufgrund schlecht eingebundener oder umständlicher Bewerbungsformulare verloren gehen!
Können Sie sich das vor dem Hintergrund des immer knapper werdenden Gutes qualifizierter Bewerber wirklich erlauben? Rhetorische Frage. Natürlich nicht. Daher ist es nicht nur sinnvoll, dem Formular eine nachhaltige Schlankheitskur zu verpassen, sondern dieses idealerweise direkt in die Stellenanzeige mit einzubinden. So kommt ein Bewerber ohne sich noch durch unnötige Instanzen zu klicken oder sich mit unnötig in neuen Fenstern öffnenden Formularen rumzuschlagen, direkt zum Ziel – und Sie zu Ihrem.
Auch das Beispiel der Sparkasse zeigt exemplarisch, wie Bewerber systematisch verprellt werden. Nicht genug, dass sich der Bewerber durch 10 Formularseiten quälen muss, auf jeder gilt es auch noch ein ganzes Fragenset zu beantworten. Dabei verspricht das Geldinstitut auf seiner Karriere-Website einen „fairen, transparenten und einfachem Bewerbungsprozess“. Fair, transparent und einfach ist hier nichts. Ein potenzieller Bewerber muss hier einen wahren Seelenstriptease ablegen, wenn ihm an einer Bewerbung wirklich gelegen ist. Ganz abgesehen vom austauschbaren “Employer Branding” (von dem streng genommen nichts zu erkennen ist), bleibt die Frage offen, wie viel Bewerber bei diesem Bewerbungsformular wohl das Weite suchen und sich lieber woanders nach einem Job umschauen.
Im Sinne einer wenig positiven Candidate Experience stellen solche Bewerbungsprozesse also den Super-GAU im Recruiting dar. Der unschöne Nebeneffekt, den solche Bewerbungsprozesse auf Ihre teuer erkaufte Arbeitgebermarke haben, ist immens und kostet Sie wertvolle Talente (und in der Folge viel Zeit und Geld)! Ihr Ziel ist es, dass sich neue Kandidaten für Ihr Unternehmen begeistern und sich bewerben. Warum bürden Sie ihnen dann komplizierte, umfangreiche, schlecht strukturierte und über mehrere Seiten verteilte Formulare auf, bis diese ihre Bewerbung absenden können? Allerspätestens an der letzten Hürde, die Sie einem potenziellen Bewerber in den Weg stellen, wird dieser scheitern. Wollen Sie das wirklich?
Noch mal: Jedes Formularfeld ist eins zu viel!
Vorschlag zur Güte: Wenn Sie der Meinung sind, Sie müssten eine „Bewerbungsschranke“ errichten – warum überlassen Sie Ihrem Bewerber nicht einfach die Entscheidung? Wer sich anmelden möchte, tut das, wer nicht, der lässt es und kann sich trotzdem bewerben. Das wäre doch ein fairer Deal, oder?
Möglicherweise wollen Sie aber auch einen neuen Rekord aufstellen, so wie in diesem Fall. Hierbei handelt es sich nicht um die wahrscheinlich längste Praline, sondern das wahrscheinlich längste Bewerbungsformular der Welt. Dabei ist es nicht mal die Anzahl der Felder (die sich ohne Weiteres auf wenige zusammenstreichen ließen), es ist der Abstand zwischen den Feldern, der das Formular künstlich aufbläht und bei Bewerben den natürlichen Fluchtinstinkt weckt. Und wieder einmal zeigt sich: E-Recruiting-Software und gute UX, das geht nicht zusammen.
Was bedeutet das nun für Sie? Prüfen Sie Ihre Bewerbungsformulare kritisch und streichen Sie alle Felder, die nicht unbedingt notwendig sind. Im Grunde genommen können Sie alle Punkte streichen, die nicht Pflichtfeld sind:
Gehen Sie tief in sich und so werden Sie zu dem Schluss kommen, nein, all diese Felder benötigen Sie nicht.
Für ein gutes Bewerbungsformular braucht es maximal vier Formularfelder sowie einen Upload-Button:
Wenn Sie Ihre Kultur in den Bewerbungsprozess einfließen lassen wollen (was ein sehr schöner Ansatz ist, stellen doch die meisten Bewerbungsformulare eher eine Unkultur dar, lassen Sie sich doch von anderen Unternehmen inspirieren. Apropos Unkultur: Tatsächlich zahlt alles, was ein Kandidat im Laufe seines Bewerbungsprozesses erlebt, auf die Arbeitgebermarke ein. Alles. Auch solche verkorksten Bewerbungsprozesse. Effektiver können Sie Ihre Employer-Branding-Strategie wirklich nicht vor die Wand fahren.
Auf dem Jobportal von Seibert Media kann der Bewerber eine kurze Beschreibung seiner Person hinterlegen, beschreiben, wie er das Team bereichern kann und welchen technischen Hintergrund er hat, aber auch, womit er sich in seiner Freizeit am liebsten beschäftigt oder welcher Blogartikel ihn in der letzten Zeit begeistert hat – und warum. Das alles auf freiwilliger Basis, jede Bewerbung wird gleichberechtigt behandelt. Wer keine Lust auf Tippen hat, kann auch ein Video hochladen. Ein Bewerbungsformular wie bei DOJO gibt’s wahrscheinlich nur einmal auf diesem Erdball. Hier wird nämlich auch das Sternzeichen abgefragt. Schöner kann man so manche sinnlos überfrachteten Bewerbungsformulare nicht auf die Schippe nehmen. Klar, dass sich so etwas nur eine durchgeknallte Kreativagentur ausdenken kann. Oder etwa doch nicht? Einzigartig auch das Bewerbungsformular bei Shopmacher, inklusive Gehaltsvorschlag, „Lieferversprechen“ und „Bezahlmethoden“. Endlich ein Bewerbungsformular, bei dem bewerben richtig Spaß macht!
Die Auswahl der richtigen E-Recruiting-Software ist mitentscheidend für Ihren Recruitingerfolg. Die Entscheidung für das falsche System kann schnell den gegenteiligen Effekt haben: Bewerber finden dank Einbindung der Stellen per Iframe z. B. die Stellenanzeigen nicht oder nur schwer oder das Online-Bewerbungsformular führt zu hohen Abbrüchen in der Nutzung. Das wiederum führt nicht nur zu frustrierten, sondern deutlich weniger Bewerbern, zu unzufriedenen Fachvorgesetzten und Recruitern und schlussendlich zu einer Verschwendung von Geld und Zeit. Unterliegen Sie nicht der Macht eindrucksvoller Präsentationen und vertrauen Sie nicht auf leere Versprechungen der Anbieter.
Definieren Sie die Anforderungen, welches Ihr Bewerbermanagementsystem erfüllen muss, treffen Sie eine Vorauswahl und lassen Sie dann die Anbieter von HR-Software bei sich im Unternehmen antanzen. Testen Sie das System auf Herz und Nieren, schauen Sie sich Karriere-Websites an, wo das System bereits implementiert wurde und bewerben Sie sich probeweise. Schauen Sie sich auch an, wie das System in die Seite integriert wurde und ob die Stellenanzeigen via Google auffindbar sind. Und lassen Sie sich sehr gut über die Kosten aufklären. Oft entpuppen sich vermeintlich günstige Lösungen nämlich als Fass ohne Boden, bei dem die Anbieter Ihre Abhängigkeit ausnutzen und Sie für die kleinsten Änderungen bitter bluten müssen.
Aber selbst die Bewerbungsformulare solcher “One-size-fits-all”-Lösungen, die Sie auf zig Karriereseiten eingebunden finden (und dank Austauschbarkeit und Beliebigkeit Ihre ganzen schönen Employer-Blending-Maßnahmen konterkarieren) lassen sich in der Regel (und abhängig vom Anbieter) mit wenigen Handgriffen im Styling via CSS anpassen. Sie müssen nur wollen. Sollte die Anpassung der Formulare seitens Ihres Bewerbermanagementsoftwareanbieters ein Problem darstellen, sollte es gar heißen, nein, wir können die Anmeldemaske nicht umgehen, die muss sein, nein, wir können die Formularfelder nicht anpassen, das muss so sein, dann sei Ihnen gesagt, es gibt nicht nur einen Anbieter. Ein Anbieterwechsel ist immer dann ratsam, wenn Ihre Recruitingbemühungen torpediert werden. Also zögern Sie nicht und optimieren Sie Ihren Bewerbungsprozess jetzt!*
*Es sind natürlich nicht nur die Anbieter selbst, die zu nicht unwesentlichen Teilen am “Fachkräftemangel” beteiligt sind. Es sind Sie selbst, es ist Ihre Einstellung gegenüber dem Thema. Wenn Sie Ihre Bewerbungsprozesse kritisch hinterfragen und dabei diesen Blogartikel als Inspiration nehmen, sind Sie schon auf dem richtigen Weg.
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Rouven Schäfer