11. Februar 2020
DAX 30 überzeugen mit perfekter Bewerbervermeidungsstrategie
Lesezeit: 9 Min. Karriere-WebsitesPersonalmarketingRecruiting
Eigentlich wollte ich mir nur einen aktuellen Überblick über die Google-for-Jobs-Aktivitäten der DAX 30 verschaffen, die ja seinerzeit eher unrühmlich abgeschnitten hatten. Als ich die einzelnen Karriere-Websites diesbezüglich aufsuchte, glaubte ich meinen Augen kaum zu trauen, so desaströs war der Eindruck, den nahezu jedes der Unternehmen hinterließ. Von einer kandidatenzentrierten Mitarbeiteransprache hat man offenbar in keinem der DAX 30-Unternehmen gehört. Besonders verstörend: Ein Unternehmen existiert nicht einmal als Arbeitgeber. Dass das weder ein gutes Licht auf den Stellenwert des Recruitings wirft, noch zu einer positiven Wahrnehmung bei potenziellen Bewerbern beiträgt, dürfte eigentlich klar sein. Lesen Sie hier meine ernüchternde Bestandsaufnahme.
Zum Deutschlandstart von Google for Jobs warf ich damals einen Blick auf die Aktivitäten der DAX 30. Schließlich, so meine naive Annahme, rekrutieren die DAX 30 global und sind deswegen bestens aufgestellt für Googles Jobsuche. Immerhin hatte man ja vorher zwei Jahre ausreichend Zeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich entsprechend aufzustellen. Wie meine Leser wissen, fiel meine Bestandsaufnahme verheerend aus. Auch an anderer Stelle bescheinigte man den DAX 30 in Sachen SEO, SEA und Google for Jobs ein mangelhaftes Abschneiden.
Stellenwert des Recruitings bei DAX 30 offenbar eher unbedeutend
Im Rahmen der Vorbereitungen für diverse Vorträge zum Thema Google for Jobs wollte ich wissen, was die Unternehmen in den vergangenen Monaten dazu gelernt haben – bzw. ob überhaupt irgendetwas passiert ist. Die Hoffnung stirbt schließlich zuletzt und das muss sie wohl auch, denn was sich die vermeintlichen Vorzeige-Unternehmen da leisten, lässt jede Hoffnung auf Besserung fahren. Was mir zudem ins Auge fiel, war die vorbildliche Bewerbervermeidungsstrategie, die die Unternehmen betreiben.
Wir sprechen hier nicht vom Mittelstand und von Familienunternehmen. Die Rede ist hier von den DAX 30, also den “30 größten und liquidesten Unternehmen des deutschen Aktienmarktes”, die rund 80 Prozent der Marktkapitalisierung börsennotierter Aktiengesellschaften in Deutschland repräsentieren. Da dürfte man doch eigentlich erwarten, dass sich das auch in der Professionalität der Karriere-Auftritte und einer wertschätzenden kandidatenzentrierten Bewerberansprache widerspiegelt. Dürfte man. Aber tatsächlich zeigt sich eine Arroganz, die einem potenziellen Bewerber die Rolle eines lästigen Bittstellers vermittelt. Anders lässt sich die zur Perfektion getrimmte Bewerbervermeidungsstrategie der DAX 30 ansonsten kaum begründen.
Auffindbarkeit, Jobsuche und Bewerbung im Fokus
Bei meiner Betrachtung habe ich mich auf die neuralgischen Punkte Auffindbarkeit, Jobsuche und Bewerbung fokussiert:
- Wie gut ist der Karriere-Auftritt auffindbar?
- Ist die Jobsuche unmittelbar auf der Karriere-Startseite implementiert?
- Ist eine Freitextsuche mit Autovervollständigen möglich, werden alle Inhalte des Stellenangebots durchsucht?
- Ist eine Bewerbung ohne Anmeldung möglich?
Einer Befragung unter über 1.600 Bewerbern zufolge, erwarten über 60 Prozent den Link zur Karriere-Website in der Hauptnavigation. Das wichtigste Element einer Karriereseite stellt für über 90 Prozent die Jobsuche dar. Eine Freitextsuche nach Schlagworten aus der Stellenanzeige ist insofern unabdingbar, als viele Unternehmen ausschließlich mit Stellentiteln arbeiten, die zwar interne Begrifflichkeiten beinhalten, aber nicht die üblichen Berufsbezeichnungen sowie Aufgaben und Funktionen. Wohin das führt, zeigt bspw. der Nachwuchskräftegesamtkoordinator, der Referent Reservierung Spezial AVB/K oder der Kaufmensch. Und noch ein anderer Grund spricht für die Freitextsuche: so hat bspw. die Allianz 41 Funktionsbereiche in ihrer Jobsuchmaske aufgelistet. Abgesehen davon, dass es viel Freude macht, sich durch 41 Bezeichnungen zu scrollen, sind viele davon auch Böhmische Dörfer respektive spiegeln interne Bezeichnungen wieder. Schon der Dalai Lama sagt, dass zu viel Auswahl Unzufriedenheit schafft. Was würde er wohl zu all den unsäglichen Recruiting-Systemen sagen, die potenzielle Mitarbeiter ein fürs andere Mal vergraulen?
Dass eine Bewerbung mit Zwangs-Login eine Vielzahl an Bewerbungsabbrüchen zufolge hat, pfeifen nicht nur die Spatzen von den Dächern, das bringt auch eine simple Analyse der Abbruchquoten zum Vorschein (diese müsste man allerdings schon vornehmen). Umso verstörender die Anzahl der Unternehmen, die an dieser Bewerbervermeidungs-Methode festhält. Hier die Ergebnisse im einzelnen.
Nur 50 Prozent der DAX 30 platzieren den Karriere-Button in der Hauptnavigation
Schon grob fahrlässig mutet es an, wenn 50 Prozent der DAX 30 den Karriere-Button so gut verstecken, dass er vor den Blicken neugieriger Bewerber geschützt ist. Offenbar ist vielen Verantwortlichen immer noch nicht bewusst, dass jeder Besucher einer Website auch einen potenziellen Bewerber darstellt und dass es nicht nur einen Besuchertypen der Karriere-Website gibt. Und dass nur der geringere Teil der Arbeitsmarktteilnehmer auf Jobsuche ist. Der Großteil ist zwar im Job, aber dank unfähiger Führungskräfte, mangelnder Wertschätzung, sinnfreier Aufgaben oder schlechter Bezahlung sehr wohl empfänglich für neue Angebote. Solche Impulse können Unternehmen aussenden, wenn sie auf die Job-und-Karriere-Perspektiven aufmerksam machen, etwa durch die prominente Platzierung des Karriere-Buttons in der Hauptnavigation.
Die Hälfte der DAX 30 sind als Arbeitgeber unsichtbar
Ein Unternehmen (Telekom) schießt aber den Vogel ab: geht man dort auf die Website (mit durchschnittlich 30 Millionen Besuchern im Monat immerhin eine der 100 meistbesuchten Websites in Deutschland überhaupt und damit einer der simpelsten Hebel, um aus Interessenten Bewerber zu generieren), so findet man da keinerlei Hinweise auf den Arbeitgeber, nicht mal im Footer.
Im Footer, also ganz unten auf der Website und damit gut geschützt vor neugierigen Blicken, platzieren übrigens 10 der DAX 30 ihren Hinweis und schließen damit die aus, die nicht aktiv auf Jobsuche sind. Durch einen Burger-Button wird die Auffindbarkeit bei zwei der Unternehmen erschwert. Auch Siemens verzichtet auf “Karriere” in der Hauptnavigation und setzt stattdessen auf Sekundär- und Footer-Navigation und versucht die Aufmerksamkeit mittels Teaser im Content-Bereich zu wecken. An sich ein guter Ansatz. Nur leider werden diese Elemente nicht mehr auf den Unterseiten des Unternehmensauftritts sichtbar und so bleibt in 50 Prozent der Fälle der Arbeitgeber unsichtbar.
Jobsuche auf Karriere-Startseite? Fehlanzeige!
Die Jobsuche ist das wichtigste Element auf der Karriere-Website. Wäre es da nicht sinnvoll, die Suche unmittelbar auf der Startseite zu implementieren? Wohlgemerkt, die Suche und nicht den Link zu den sich möglicherweise auf einem externen Jobportal befindenden Jobs. Und das Ganze möglichst prominent platziert und nicht erst im letzten Drittel der Bildschirmseite. Zeit im Zeitalter von Sebstdarstellung, Information Overload und Fake News ist kostbar. Wie wäre es also, darüber hinaus die Inhalte für die einzelnen Zielgruppen (sofern es sie denn gibt) mit den passenden Jobs zu verknüpfen?
Auch hier zeigt sich der mangelhafte Stellenwert potenzieller Mitarbeiter (und eines professionellen Recruitings) bei den DAX 30-Unternehmen. Lediglich bei 14 Unternehmen ist die Jobsuche direkt auf der Startseite möglich. Andere verlinken lediglich, meistens mehr schlecht, als recht und nicht selten gut versteckt, auf den unternehmensinternen Stellenmarkt. Hier sind die Besucher, die aufgrund des via Karriere-Buttons ausgelösten Impulses nur mal eben schnell gucken wollten, ob vielleicht ein passender Job dabei ist, ganz schnell wieder weg. Und die kommen auch nie wieder.
Keine deutschen Jobs auf Startseite
Ganz schnell wieder weg sind die Nutzer auch, wenn beim Besuch der Job-Startseite zwar Stellen aus aller Herren Länder, aber keine einzige aus Deutschland angezeigt wird. Es ist kein Hexenwerk, anhand der Browsereinstellungen des Nutzers und/oder dessen IP, die passenden Jobs anzuzeigen. Und so bekommt man bei über der Hälfte der DAX 30 zwar Jobs aus Timbuktu, Tennessee und Tirana angezeigt, aber nicht einen aus München, Stuttgart oder Leverkusen. Lediglich 14 der DAX 30 sind so weitblickend und haben verstanden, dass deutsche Nutzer primär nach Jobs in Deutschland suchen.
Freitextsuche nach Jobs Fehlanzeige oder mangelhaft
Geht es um die Suche nach Fähigkeiten, Aufgaben, Kompetenzen oder allgemeingültigen Berufsbezeichnungen schauen potenzielle Bewerber bei 20 Unternehmen in die Röhre. Eine Autovervollständigen-Suche, wie wir sie von Google oder Amazon gewöhnt sind und die während der Eingabe passende Treffer anzeigt (und ebenfalls kein Hexenwerk darstellt), ist hier Fehlanzeige. Lediglich acht der DAX 30 ermöglichen eine Freitextsuche. Aber auch die verprellt einen Großteil möglicher Kandidaten, weil sie ausschließlich den Stellentitel indiziert oder auch gar nicht erst funktioniert. Eine Suche über Inhalte bspw. aus den Anforderungen oder Aufgaben ist nicht möglich. Und so entgehen bspw. PHP-Entwicklern Stellen, die nur als Webentwickler ausgeschrieben waren.
DAX 30 verprellen potenzielle Mitarbeiter erfolgreich mit Zwangs-Logins
Manche Menschen sind sehr hartnäckig und gelangen doch noch irgendwie zum passenden Stellenangebot. Spätestens hier werden dann die letzten potenziellen Kandidaten in die Flucht geschlagen. Entweder mit Zwangs-Logins, die eine Bewerbung ohne vorherige Registrierung unmöglich machen oder aber durch umständliche, mit unnötigen Abfragen vollgestopfte Bewerbungsformulare, die sich über anderthalb und mehr Bildschirmseiten erstrecken. Mehr als zwei Drittel der Unternehmen (19) verprellen ihre potenziellen Mitarbeiter mit einer Zwangs-Registrierung erfolgreich für immer.
Status quo in Sachen Google for Jobs nach wie vor desolat
Und wie sieht es aus mit dem Status quo in Sachen Google for Jobs?, werden Sie sich vielleicht fragen. Haben die Unternehmen hier hinzugelernt? Zwei berechtigte Fragen und eigentlich sollte man davon ausgehen, dass die “30 größten und liquidesten Unternehmen des deutschen Aktienmarktes” hier ihre Hausaufgaben gemacht hätten. Hätte, hätte, Fahrradkette. Auch hier sind die Ergebnisse desaströs, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Unternehmen nun fast ein weiteres Jahr hatten, ihre Hausaufgaben zu machen. In der Theorie haben die Unternehmen ihre Anstrengungen zwar verstärkt, sie scheitern aber leider an der Praxis und den Fähigkeiten, ihre Jobs Google-for-Jobs-fit zu machen. Dabei gibt es nun wahrlich genug Unterstützung, damit so etwas nicht passiert. Die Ergebnisse im Einzelnen:
Nur ein Drittel der DAX 30 fit für Google for Jobs
Waren es 2019 noch 16 Unternehmen der DAX 30, die nicht ansatzweise die Datenstandards erfüllten, so sind es im Februar “nur” noch 12 (40 Prozent!). Auch dies ein absolutes Armutszeugnis, was sehr schön zeigt, welchen Stellenwert das Recruiting in den Unternehmen genießt. 11 (im Vorjahr 8) der Unternehmen haben ihre Jobs so aufbereitet, dass sie bei Google auch von nicht aktiv Suchenden gefunden werden könn(t)en. Interessant auch, dass nun fast drei Jahre nach Einführung von Google for Jobs und trotz zahlreicher Artikel und “How-to’s” sowie eines Fachbuchs bei 7 Unternehmen noch so viele Fehler in der Aufbereitung gemacht werden, dass die Jobs trotzdem nicht aufgefunden werden. Selbst an so selbstverständlichen Datenfeldern wie dem eigenen Unternehmensnamen oder der vollständigen Adresse scheitern die Strategen. Manche Unternehmen erfinden sogar ihre eigenen Markups. Schöne Idee, aber leider nicht zielführend.
Dass 12 Unternehmen sich offenbar nicht einmal ansatzweise darüber Gedanken gemacht haben, dass sie dank Google for Jobs mehr Reichweite und Traffic erzielen, Kosten sparen und passendere Bewerber generieren könnten, zeigt einmal mehr den Stellenwert, den Recruiting in den “30 größten und liquidesten Unternehmen” einnimmt.
Employer Brand nimmt Schaden
Wenn nur ein Bruchteil dieser Liquidität mehr in die Recruiting-Budgets fließen würde, wäre allen geholfen. Potenziellen Bewerbern und den Unternehmen selbst, die ihre Stellen schneller und mit den passenden Mitarbeitern besetzen könnten. Eine Candidate Journey, die an jedem Kontaktpunkt ein professionelles Recruiting widerspiegelt, ist ein Weg, Respekt, Wertschätzung und Verantwortung gegenüber Bewerbern und potenziellen Mitarbeitern zu zeigen. Was wir bei den DAX 30 sehen, ist das pure Gegenteil davon. Welchen Schaden eine für immense Budgetsummen gekaufte kreierte Employer Brand durch eine solch verheerende Candidate Journey nimmt, darüber scheint sich kaum einer Gedanken zu machen.
Mehr zum Thema Karriere-Websites und Google for Jobs gibt’s von mir auch auf der Talent Pro!