Everybody’s Darling is Everybody’s Depp – auch im Employer Branding!

Lesezeit: 9 Min. Employer BrandingRecruiting

Entgegen der Annahme vieler (Recruiting-Verantwortlichen etwa, oder auch Marketingagenturen, die erkennen, dass man mit dem “Fachkräftemangel” und dem Buzzword “Employer Branding” den Unternehmen viel Geld aus der Tasche ziehen kann, auch wenn man eigentlich gar nichts von der Materie versteht) bedeutet Employer Branding nicht „Marketing für alle und jeden“. Keiner kann jedermanns Liebling sein. Die Franz Josef Strauß zugeschriebene Redewendung “Everybody’s Darling is Everybody’s Depp” gilt eben auch fürs Employer Branding.

Arbeitgeber dürfen nicht Everybody’s Darling sein

Denn wenn dem so wäre, würden Sie jeden einstellen, der sich bei Ihnen bewirbt. Okay, wenn wir ganz ehrlich sind, ist das das Standardvorgehen der meisten Unternehmen. Klar, dass das nicht besonders effektiv ist. Schließlich kann keiner jedermanns Liebling sein und es allen recht machen (wollen). Wenn Sie die richtigen Mitarbeiter wollen, also diejenigen, die zu Ihrer Unternehmenskultur, Ihren Werten und in Ihr Team passen (und das unterstelle ich Ihnen einfach mal), dann dürfen Sie nicht Everybody’s Darling sein! Vielmehr müssen Sie als Arbeitgeber das Selbstvertrauen und den Mut haben, zu polarisieren und herauszukristallisieren, wer Sie sind und wofür Sie stehen, um auf diese Weise diejenigen zu erreichen, die sich mit den Aufgaben, der Vision, der Kultur und den Werten Ihres Unternehmens identifizieren.

Mut zur Ehrlichkeit fehlt den meisten Unternehmen

Den Mut zur Ehrlichkeit, der dringend notwendig wäre, haben jedoch die wenigsten Unternehmen. Und so überrascht es nicht, wenn bspw. die meisten Teilnehmer der Studie „Bewerbungspraxis 2016“ auf die Frage, was ihrer Meinung nach die größten Fehler sind, die im Recruiting passieren können und vermieden werden sollten, mit

Unehrlichkeit, Oberflächlichkeit und übertriebene Aussagen auf Karriereseiten und in Stellenanzeigen”

antworten. In die gleiche Richtung weist eine Untersuchung der Textinhalte auf den Karriereseiten der DAX30-Unternehmen. Demnach “dominiert ödes Reklamedeutsch mit seiner Anhäufung der immer gleichen Adjektive”. Die Unternehmen sind demnach alle “führend”, die Produkte “erfolgreich” (aber so was von!), ihre Visionen “klar” und “eindeutig”. Die Autoren von “Employer Telling: was Arbeitgeber aktuell wirklich zu sagen haben” konstatieren:

“Solche Unternehmen leiden an einer nur schwer zu heilenden Krankheit, die wir „akute gleichförmige Adjektivitis” nennen.“

Relevanz und Authentizität sind das A und O im Recruiting

Unternehmen leiden aber nicht nur an der schwer zu heilenden Krankheit der gleichförmigen Adjektivitis, sie leiden auch unter Irrelevanz und oft genug, so entsteht der Eindruck, unter Inkompetenz. Klar, Personal kann ja (angeblich) jeder.

Neben der Usability (Nutzbarkeit) sind Relevanz und Authentizität zwei ganz wesentliche Aspekte von Recruiting-Tools an sich und von einer guten Karriere-Website (und guten Stellenanzeige) im Besonderen. Genauer: relevante und “authentische” Inhalte. Alle drei Aspekte kommen in den meisten Fällen zu kurz. Gute Karriereseiten sind rar gesät, Jobsuch-Funktionalitäten und Bewerbungsprozesse, die wirklich eine 1a-Candidate Experience ermöglichen, schwerer zu finden, als eine Nadel im Heuhaufen.

Employer Brands sind Mogelpackungen

Im Zeitalter von Buzzword-Bingo und Reizüberflutung sind wirklich wirksame Arbeitgebermarken eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Mal ganz unter uns, so ganz im Vertrauen: Kennen Sie eigentlich eine einzige solcher Arbeitgebermarken? Hand aufs Herz: Sind die meisten „Employer Brands“ nicht eher Mogelpackungen, die eher dem „kreativen“ Geist einer der wie Pilze aus dem Boden schießenden Employer Branding-Agenturen entspringen als der Realität? Ausnahmen ausgenommen. Natürlich.

Jedes Unternehmen macht Employer Branding. Immer.

Ohnehin “macht” jedes Unternehmen Employer Branding, ob bewusst oder unbewusst, spielt dabei kaum eine Rolle. Leider vergessen aber die meisten Unternehmen bei all ihren schillernden Arbeitgebermarken mit launigen Claims und originellen Bildmotiven den wichtigsten Aspekt, der eine Arbeitgebermarke neben Relevanz auch nach außen erlebbar macht, nämlich den Bewerbungsprozess, der in der Regel auf der Karriereseite startet, dort aber aufgrund von Zwangsregistrierung oder mit irrelevanten Formularfeldern gespickten Bewerbungsformularen auch direkt wieder zum Erliegen kommt.

Everybody's Darling is Everybody's Depp - auch im Employer Branding

Arbeitgeber wollen von allen geliebt werden und scheuen die Differenzierung

Fakt ist: Die meisten Arbeitgeber wollen von allen geliebt werden und scheuen die Differenzierung. So funktioniert aber weder zielgruppenzentriertes Recruiting noch eine wirksame Arbeitgebermarke. Mit bis zur Perfektion getrimmten Hochglanzbildern, die eine idealisierte Arbeitswelt darstellen (die aber in der Regel nicht der Realität entspricht) und austauschbaren Floskeln à la “Wir sind die Größten, die Schönsten, die Tollsten” oder “Bei uns steht der Mitarbeiter im Mittelpunkt“ gewinnt man keinen Blumentopf, geschweige denn neue Mitarbeiter.

Als Arbeitgeber zu den Ecken und Kanten stehen

Umso wichtiger ist es, dass Sie als Arbeitgeber offen zu Ihren Ecken und Kanten stehen und authentisch und glaubwürdig zu zeigen, wie Sie wirklich sind. Wenn einem potenziellen Kandidaten nicht gefällt, was er sieht und liest – sorry! (für ihn. Und gut für Sie, denn Sie ersparen sich das Sichten unpassender Bewerbungen und viel Zeit und Geld). Aber wenn es ihm gefällt, wird er sich gerne bewerben. So etwas nennt man dann Selbstselektion. Ich kann es gar nicht oft genug sagen: Sie wollen nicht möglichst viele (oder irgendwelche) Bewerber, Sie wollen die, die passen! Die vor allem zu Ihrem Unternehmen, zu Ihrer Unternehmenskultur passen. Jobskills kann man sich schnell aneignen. Jemanden dahin zu trainieren, dass er zur Chemie des Unternehmens passt oder Ihre Werte mitträgt, wird dagegen nicht funktionieren.

Die Wechselwilligkeit der Arbeitnehmer zunutze machen

Wohin eine eher kurzsichtige Personalauswahl führt, zeigt die Tatsache, dass 37 Prozent der Arbeitnehmer trotz einer teilweise recht hohen Zufriedenheit im Job durchaus wechselbereit sind. Zu diesem Schluss kommen gleich zwei verschiedene Studien (onlyfy/forsa, EY). 18 Prozent der deutschen Arbeitnehmer haben bereits innerlich gekündigt (Gallup). Diese Wechselbereitschaft und/oder Unzufriedenheit sollten Sie sich unbedingt zunutze machen, indem Sie als Arbeitgeber die richtigen Signale senden (Stichwort: Karriere-Button) und für eine 1a-Candidate Experience sorgen. Letzteres ist aber eher nicht möglich, wenn sie z. B. ihre Jobs per iframe einbinden und/oder auf ATS-Lösungen vertrauen, die aufgrund der Dysfunktionalität dieser Lösungen zumeist eher Bewerbungskiller als Bewerbungsbringer sind.

Mehr Ehrlichkeit im Employer Branding, bitte!

Fakt ist: Der Großteil der Nutzer merkt sehr schnell, ob das, was Sie als Arbeitgeber von sich behaupten, auch den Tatsachen entspricht. Ein schneller Abgleich auf Google, kununu, Glassdoor oder in Bewerbercommunitys bringt die Wahrheit schnell ans Tageslicht. Außerdem wird Ihr neuer Mitarbeiter spätestens in der Einarbeitungsphase merken, ob das, was Sie ihm auf der Karriere-Website oder im Vorstellungsgespräch in schillernden Farben gemalt haben, auch eingehalten wird. Im schlimmsten Falle mit der Folge, dass der händeringend gesuchte Kandidat schneller wieder weg ist, als Sie für Nachschub sorgen können. „Top“-Bewertung auf kununu und Co. inklusive! Dazu gehören neben irrelevanten Arbeitgebersiegeln auch die weitverbreiteten Stockfotos, die streng genommen den Tatbestand der irreführenden Werbung erfüllen. Ehrlich währt am längsten. Das gilt auch für die Bewerberkommunikation! Oder um es mit den Worten von Ronald Dacey, einem fiktiven Charakter aus der Serie Start-up, zu sagen:

“Lügen, Bruder, das ist der Scheiß, der uns vergiftet.”

Auf gut Deutsch: Lügen, das Vorgaukeln einer heilen Welt und das Verschweigen wichtiger Tatsachen, das ist das, was Employer Branding als Mogelpackung entlarvt. Employer „Blending“ eben. Also pures Blendwerk zu dem viele Unternehmen neigen.

Nur wenn Nachteile nicht verschwiegen werden, kann Selbstselektion funktionieren

Warum sollten Sie nur die Vorteile kommunizieren und die Nachteile verschweigen? Wenn Sie so feige und Ihren Recruiting-Erfolg konterkarierend agieren, geht das in jedem Fall nach hinten los! Je früher Sie offen und ehrlich die Fakten auf den Tisch legen (bzw. auf Ihrer Karriereseite oder in Ihrer Stellenanzeige offenlegen), desto besser erspart es beiden Seiten eine Enttäuschung (Stichwort: Selbstselektion!). Je transparenter und ehrlicher Sie gegenüber potenziellen Kandidaten sind, desto größer ist die Chance, dass diese für sich abgleichen können, ob es zwischen Ihnen funken könnte oder nicht. Wenn Sie mit diesen Informationen aber hinterm Berg halten, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn sich die “Falschen” bewerben.

So erfährt bspw. der Bewerber auf der Karriere-Website von Seibert Media nicht nur alles rund um die Bewerbung, über das Unternehmen selbst oder die Rollen der Mitarbeiter, sondern bekommt neben Vorteilen und Chancen auch gleich die Nachteile und Defizite schwarz auf weiß präsentiert. Und so heißt es da unmissverständlich:

„Wir erwarten von Bewerbern, dass sie sich selbstkritisch hinterfragen, ihre Verbesserungspotenziale identifizieren und diese offen kommunizieren. Das müssen wir auch. Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, ein Schlaraffenland zu sein. Auch bei uns gibt es Situationen, Strukturen und Prozesse, die verbessert werden können und verbessert werden müssen.“

Das ist mutig und konsequent zugleich. Mutig, weil sich viele abgeschreckt fühlen und sich nicht bewerben werden. Konsequent, weil es schonungslos offen und ehrlich ist und diejenigen überzeugen wird, die zum Unternehmen passen und die geschilderten „Defizite“ gern in Kauf nehmen. Auch Seibert weiß, dass es nicht “Everybody’s Darling” sein kann (und will). Lassen Sie sich von einem solchen Beispiel inspirieren und vermitteln Sie nicht den Eindruck einer für alle passenden perfekten (Arbeits-)Welt, die es ohnehin nicht geben kann. Wenn “ein Programmierer im Zweifelsfall bei Google, IBM oder einem DAX-Konzern mehr verdienen kann“, so wie man es ebenfalls bei Seibert auf der Karriere-Website lesen kann, machen Sie kein Geheimnis daraus, weisen aber auf andere Annehmlichkeiten hin, die das Arbeiten bei Ihnen so erstrebenswert machen.

Auch auf der Karriereseite des Industrie-Unternehmens DAW, etwa für den Bereich “Produktion & Logistik” bleiben keine Fragen offen. Von der Beschreibung des Schichtmodells über Angaben zur Teamgröße oder zum Gehalt bis hin zur Darstellung von Fakten, wann der Job ungeeignet sein könnte – das Unternehmen geht mutig mit potenziell abschreckenden Fakten um und ermöglicht so eine erste Selbstselektion.

Employer Branding Blending ist ein Bumerang

Mehr Ehrlichkeit im Employer Branding würde Arbeitgebern gut zu Gesicht stehen. Eine gerne vorgegaukelte Welt ohne Defizite glaubt Ihnen ohnehin kein Mensch. Es liegt auf der Hand, dass sich eine realitätsferne Schönfärberei schnell als Bumerang erweisen wird. Dann nämlich, wenn die mittels hochglanzpolierten Employer Blendings herbeigeeilten Fachkräfte mit der Unternehmensrealität konfrontiert werden und feststellen, dass diese nichts mit den blumigen Versprechungen zu tun hat. Und in der Folge dem Unternehmen schneller Lebewohl sagen, als der gesamte Recruiting-Prozess gedauert hat. Mit Inhalten, die auf die Bedürfnisse und Erwartungen potenzieller Fachkräfte einzahlen und die adressieren, die zur Kultur und den Werten des Unternehmens passen (und einer entsprechend wertschätzenden Führungs- und Unternehmenskultur), wird das kaum passieren. Je transparenter Sie den Job, den Arbeitsplatz und die Unternehmenskultur darstellen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich nur diejenigen bewerben, die auch wirklich passen. Oder anders gesagt:

Wer Everybody’s Darling sein will, ist am Ende doch nur Everybody’s Depp. 

Kommentare (2)

personalmarketing2null

Dem habe ich nichts hinzuzufügen, denn genauso ist es leider. Ich habe das schon mehrfach am eigenen Leib erfahren. Wer nicht das schreibt, was die breite Masse lesen will (was ich selten tue), den versucht man schnell eines Besseren zu bekehren belehren. Dies und die stetig zunehmende Oberflächlichkeit dieses "Business Netzwerks" sind u. a. Gründe, warum ich diese Plattform nur sporadisch nutze. Was die politischen Themen angeht: Würden sich die Unternehmen mit dem gleichen Eifer um eine Top Candidate Experience kümmern, wie sie sich solchen Themen widmen, wäre die Bewerberwelt garantiert eine bessere (und das Recruiting erfolgreicher) ;-) Danke für den Kommentar!

Moritz

Die gesamten Social Media und insbesondere LinkedIn bestehen zum großen Teil aus Blending. Es wird nicht differenziert, weil man sich in einer digitalen Möchtegern Elite-Blase bewegt und sich gegenseitig für absolute Oberflächlichkeiten abfeiert und kopiert. Wer differenziert kann auf LinkedIn und Co. auch schnell in einen Empörungssturm geraten. Das sieht man aktuell vor allem bei politischen Themen, die aus meiner Sicht viel zu großen Platz im HR-Marketing einnehmen. Sapere aude :-)

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Moin! Ich bin Henner Knabenreich. Seit 2010 schreibe ich hier über Personalmarketing, Recruiting und Employer Branding. Stets mit einem Augenzwinkern oder den Finger in die Wunde legend. Auf die Recruiting- und Bewerberwelt nehme ich auch als Autor, als Personalmarketing-Coach, als Initiator von Events wie der HR-NIGHT oder als Speaker maßgeblich Einfluss auf die HR-Welt. Sie möchten mich für einen erfrischenden Vortrag buchen, haben Interesse an einem Karriere-Website-Coaching, suchen einen Partner oder Berater für die Umsetzung Ihrer Karriere-Website oder wollen mit bewerberzentrierten Stellenanzeigen punkten? Ob per E-Mail, XING oder LinkedIn - sprechen Sie mich an, ich freue mich auf Sie!
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