Es vergeht ja kaum ein Tag, an dem findige Dienstleister, die den “Fachkräftemangel” als Goldesel für sich entdeckt haben, nicht irgendein lausiges launiges Arbeitgebersiegel an die Frau (HR und insbesondere Recruiting ist überwiegend weiblich dominiert) oder den Mann bringen wollen. Da ich nun selbst als “Arbeitgeber der Zukunft” nominiert wurde, ist es mal wieder Zeit, vor diesem Arbeitgebersiegel-Bullshit zu warnen, von denen primär diejenigen profitieren, die sich Siegel und Zertifikate ausdenken, nicht aber die (sich selbst im Wege stehenden) Unternehmen.
[Hinweis: Dieser Artikel wurde von mir am 31. Mai 2023 aktualisiert und um Richtigstellungen ergänzt, um die mich der DIND, Herausgeber des Siegels “Arbeitgeber der Zukunft”, gebeten hat.]
Arbeitgebersiegel beliebtes Geschäftsmodell
Neben unzähligen Kooperationsanfragen von Online-Casino-Betreibern oder deren SEO-“Agenturen”, die ich nahezu täglich bekomme, erhalte ich unzählige Pressemitteilungen, von denen ich mangels Relevanz den wenigsten Beachtung schenke. Letzte Woche erhielt ich jedoch eine Meldung, die nicht nur mein Interesse (und Erstaunen) weckte, sondern die ich aus Gründen gerne mit Ihnen teilen möchte.
Denn während sich FOCUS mittlerweile zähneknirschend im Rahmen einer großangelegten Kampagne bei getäuschten Recruitern und Bewerbern für seine Augenwischerei mit dem “Beste Arbeitgeber”-Siegel entschuldigt, rücken andere Anbieter von Arbeitgebersiegeln nach. Dass ich als “Arbeitgeber der Zukunft” nominiert wurde, ist natürlich eine große Ehre.
Arbeitgebersiegel als Geheimwaffe im “War for Talents”?
“Lieber Herr Knabenreich“, so heißt es in der E-Mail. Und weiter:
“Wir alle wissen, wie schwer es momentan ist, Fachkräfte und Talente zu finden [Anmerkung: Wir alle wissen aber auch, dass dieser Fachkräftemangel von den Unternehmen selbst verschuldet ist]. Um den Mittelstand in Deutschland im Wettbewerb um wertvolle Arbeitskräfte zu unterstützen, verleiht das Deutsche Innovationsinstitut DIND die Auszeichnung Arbeitgeber der Zukunft [Anmerkung: inwieweit dieses Arbeitgebersiegel beim Wettbewerb um wertvolle Arbeitskräfte unterstützen soll, bleibt unbeantwortet. Doch dazu später mehr]. Schirmherrin dieser Initiative ist Brigitte Zypries, Bundeswirtschaftsministerin a. D. [Anmerkung: Die ist entweder Best Buddy des Siegel-Erfinders Sie ist praktischerweise nicht nur Schirmerrin des Siegels, sondern Herausgeberin des DUP-Magazins, was wiederum das Sprachrohr des DIND ist und braucht vermutlich im Ruhestand eine gewisse Zulage, um sich selbigen zu versüßen.].
Nun wird es interessant:
“Um qualifizierte Unternehmen für diese Auszeichnung herauszufiltern, sind wir als unabhängige Redaktion in regelmäßigem Austausch mit Beratern und IHK-Experten und analysieren interessante Arbeitgeber in einem umfassenden Prüfverfahren. Ein Kriterium ist der digitale Auftritt im Netz. Bei dieser Analyse hat ihre Firma die erforderliche Bewertung erreicht und ist für das Siegel „Arbeitgeber der Zukunft“ nominiert.”
Wurden Sie auch als “Arbeitgeber der Zukunft” nominiert?
BÄM! Arbeitgeber der Zukunft. Ich. Wow! Welche Freude! Was habe ich mich über dieses wunderbare nachträgliche Geburtstagsgeschenk gefreut, welches mich nur einen Tag später erreichte! Ich weiß allerdings nicht, wie diese Analyse funktioniert (damit geht es mir wahrscheinlich wie 98 Prozent der Personalisten da draußen, die irgendwelche Siegel kaufen), aber besonders sauber haben hier weder das “Deutsche Innovationsinstitut für Nachhaltigkeit und Digitalisierung” noch irgendwelche Berater oder IHK-Experten recherchiert. Denn erstens bin ich Einzelunternehmer, zweitens hätte eine wirklich ordentliche Recherche gezeigt, was ich von solchen Bullshit-Arbeitgebersiegeln halte: schlichtweg nichts.
Arbeitgebersiegel arglistige Täuschung und wettbewerbswidrig?
Tatsächlich halte ich den Großteil der (Arbeitgeber-)Siegel sogar für wettbewerbswidrig und nehme sie als arglistige Täuschung wahr (mit dieser Einschätzung bin ich nicht alleine). Zum einen werden Arbeitgeber hier oft für etwas ausgezeichnet, das sich bei näherer Betrachtung als so gar nicht vorhanden erweist (was allerdings für eine Vielzahl an Siegelmachern gilt, deren Geschäftsmodell immer nach der gleichen dubiosen Masche funktioniert). Zum anderen stellen sie meiner Meinung nach auf gleich mehrfache Weise eine arglistige Täuschung dar:
Es handelt sich um Augenwischerei gegenüber Jobsuchenden, die arglistig über die Eigenschaften eines Arbeitgebers getäuscht werden. Ob diese gerne gekauften und ohne jegliches aktives Zutun der Unternehmen erworbenen Arbeitgebersiegel allerdings überhaupt eine Wirkung bei diesen entfalten, dazu weiter unten mehr.
Es handelt sich um Augenwischerei gegenüber Arbeitgebern selbst, die arglistig darin getäuscht werden, dass man ihnen verspricht, diese Siegel würden aufgrund ihrer (vermeintlich) positiven Außenwahrnehmung als Unternehmen eine Art Wunderwirkung entfalten, die dann die ach so schwer zu findenden Talente und Fachkräfte ins Haus spülen.
Das UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) besagt im Wesentlichen, dass ein Unternehmer einen Verbraucher nicht in die Irre führen und den Verbraucher so zu einer geschäftlichen Handlung veranlassen soll. Genau das passiert hier: Ein Arbeitgeber führt Jobsuchende in die Irre und soll ihn zu einer Bewerbung veranlassen. Diese führt ihn im Zweifelsfall bildlich gesprochen in den “Vorhof der Hölle”, über den man sich natürlich bspw. via kununu hätte informieren können.
Eine Verifizierung der Auskünfte findet nicht statt
Tatsächlich gibt die Website des “Arbeitgeber der Zukunft”-Siegelmachers über den Stellenwert dieser Auszeichnung selbst eine ziemlich eindeutige Auskunft über die Seriosität. In den Lizenzbestimmungen heißt es nämlich:
“Die Prüfung durch die DIND GmbH erfolgt auf Grundlage frei zugänglicher Informationen und der erteilten Auskünfte des geprüften Unternehmens. Eine Verifizierung findet nicht statt. […] Die Prüfergebnisse erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit. […] Nach Einwilligung in die Lizenzbedingungen erfolgt die Verwendung der Prüfergebnisse und des damit verbunden Siegels durch das ausgezeichnete Unternehmen auf eigene Gefahr.
Wenn eine Verifizierung nicht stattfindet, wenn die Prüfergebnisse gar keinen Anspruch auf Richtigkeit haben, wie es die Macher vom Arbeitgeber der Zukunft-Siegel selber schreiben, so ließe sich das mit anderen Worten so auf den Punkt bringen: Die Ergebnisse dieses Siegels sagen eigentlich gar nichts aus.
Moment mal, kennen wir so etwas Ähnliches nicht vom FOCUS-Siegel “Deutschlands letzte beste Arbeitgeber” (von denen es übrigens immer mehr gibt – wobei der Beste eigentlich immer der Beste ist. Und nicht einer von 1.000 Besten. Aber das nur am Rande.)? Die weisen auch klar auf die Nicht-Repräsentativität ihrer Daten bzw. ihres Rankings hin.
Dummheit muss bestraft werden
Abgesehen davon, dass so viel Dummheit der Siegelkäufer natürlich bestraft werden muss (oft reicht es, den gesunden Menschenverstand einzuschalten. Aber klar, der ist nun mal unterschiedlich ausgeprägt), sehe ich auch eine negative Auswirkung auf das Arbeitgeber-Image von Unternehmen, die sintflutartig mit solchen Kauf-Siegeln werben und damit ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Dann hätten wir da auch noch den (vermeintlichen) Wettbewerbsvorteil, den die mit dem Siegel ausgezeichnete Arbeitgeber gegenüber den nicht ausgezeichneten haben. Ein Wettbewerbsvorteil, der je nach Siegel oft auf falschen Tatsachen oder einer kompletten Fehleinschätzung beruht. Übrigens eine Auffassung, die bspw. auch die Website “Testwatch” teilt, die solchen Auszeichnungen “schlicht Irreführung von Jobsuchenden und Verbrauchern” bescheinigt. Eine etwas differenziertere Einschätzung des Siegels liefert der Artikel Arbeitgeber der Zukunft: Was steckt hinter dem Siegel?.
Möglicherweise wurden Sie ja auch als Arbeitgeber der Zukunft nominiert? Wenn nicht, lesen Sie hier, wie der DIND versucht, seine Siegel an die unbedarften Personaler zu bringen:
“Bei Interesse beantworten Sie bitte folgenden Fragen. Damit runden wir die Bewertung ab und stellen sicher, dass nur sehr qualifizierte Firmen das Siegel erhalten. Als Nominierter ist die Teilnahme am weiteren Prüfprozess für Sie kostenlos.” [Bitte beachten Sie die Betonung auf “am weiteren Prüfprozess”. Natürlich dürfen Sie tief in die Tasche greifen, um sich “Arbeitgeber der Zukunft” zu profilieren].
So funktioniert der kurze Weg zum “Arbeitgeber der Zukunft”
Nun gut, da ich schon mal als “Arbeitgeber der Zukunft” nominiert wurde, kann ich mir ja auch durchaus mal anschauen, wie der “weitere Prüfprozess” aussieht. Zunächst einmal gibt es da einen Fragebogen, der sage und schreibe ganze 11 Fragen umfasst. 11 Fragen, um an ein Arbeitgebersiegel zu kommen? Und dann auch noch “Arbeitgeber der Zukunft”! Wenn das kein Ansporn ist, diese Fragen zu beantworten. Fragen, die eigentlich Aussagen sind und die man auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten kann. Die abgefragten Punkte umfassen
Strategie (Marktumfeld, Planung),
Digitalisierung (Zukunftsfähigkeit, Investitionen in IT),
Kundenorientierung (Kunde als König, Service-Qualität, Einsatz von Software für bessere Kundenkommunikation,
Wohlgemerkt, das ist kein Audit. Es handelt sich um eine Selbsteinschätzung, die dann in etwa so aussieht:
Zu guter Letzt gibt es eine Frage, die man beantworten kann, aber nicht muss: Was macht Ihr Unternehmen besonders? In maximal drei Sätzen darf man hier beschreiben, was das Unternehmen auszeichnet. Das Siegel “Arbeitgeber der Zukunft” basiert also primär auf einer Selbsteinschätzung anhand von 11 Fragen.
[Hier werde ich um Richtigstellung gebeten:
“Dies ist so nicht richtig und erweckt bei einem durchschnittlichen Rezipienten den unzutreffenden Eindruck, die Vergabe des “Arbeitgeber der Zukunft” Siegels beruhe in erster Linie auf der Selbsteinschätzung der Unternehmen. Tatsächlich basiert unser Siegel – wie Sie es auch später in Ihrem Beitrag erwähnen – auf einem zweistufigen Prüfverfahren. Auf unserer Website wird die Gewichtung offen und transparent dargestellt. Dabei kommt dem digitalen Außencheck bezüglich der Auszeichnung als “Arbeitgeber der Zukunft” eine größere Bedeutung zu. Während bei dem digitalen Außencheck insgesamt maximal 300 Punkte erzielt werden können, kann ein Unternehmen bei dem Smart Company Check (der “Selbsteinschätzung”) maximal 200 Punkte erzielen.”
Dass das Siegel “Arbeitgeber der Zukunft” also “primär auf einer Selbsteinschätzung” beruht, ist also möglicherweise – hier bitte ich um Nachsicht, liebe Leserin, lieber Leser – eine nicht ganz zutreffende Fehleinschätzung meinerseits, die ich auf Basis der Mail und der Darstellung auf der DIND-Website getroffen habe. Richtigstellung Ende]
An diese “Methodik”, “Smart-Company-Check” genannt, knüpft dann ein “digitaler Außen-Check” statt. Hier führt das DIND “eine Analyse der digitalen Berühungspunkte des Unternehmens sowie dessen Markenauftritts durch. Dies beinhaltet etwa die Webseite, die Social-Media-Kanäle und ein professionelles Social Listening“. Was von der Güte solcher “professionellen Social Listenings” zu halten ist, hatte ich schon anderer Stelle, beim Siegel “Deutschlands begehrteste Arbeitgeber” oder auch “Höchste Fairness im Job” ausgeführt. Ebenfalls Siegel, die ihr Geld nicht wert sind.
Abgesehen davon – war denn nicht die Analyse meiner Website überhaupt erst der Auslöser, mich für das Siegel zu nominieren? Wie auch immer, nach meiner Selbsteinschätzung (dem Smart-Company-Check) und dem digitalen Außen-Check geht’s dann ans Eingemachte. Aber so richtig! Denn gemeinsam mit “Top-Experten unterschiedlicher Disziplinen” wird jetzt irgendwas bewertet und ausgewertet. Dabei erfolgt die Bewertung “mittels eines Punktesystems anhand fest definierter Kriterien”. Maximal 500 Punkte können für die Auszeichnung erreicht werden. Ausgezeichnet werden Unternehmen ab einer Mindestpunktzahl von 300.
Vom Siegel “Arbeitgeber der Zukunft” profitiert vor allem einer: Der Siegelmacher
Sie sehen, hierbei handelt es sich um eine unglaublich dedizierte, tiefgehende, fundierte Analyse, die ein Höchstmaß an Präzision und Transparenz seitens des Arbeitgebers erfordert. Egal, ob dies in der Gegenwart oder der Zukunft erfolgt. Im Grunde sollte die Beantwortung der Fragen bereits ausreichen, um das begehrte Siegel zu bekommen.
[Auch hier bitten mich die Macher des Siegels um Richtigstellung, denn auch hier habe ich mit meiner Aussage, dass die “Beantwortung der Fragen bereits ausreichen sollte”, gemäß DIND den Sachverhalt misinterpretiert. Nun das ist das Problem bei Ironie: nicht jeder versteht sie. “Ironie offenbart, dass linguistische Regeln nicht ausreichen, eine Äußerung zu verstehen“, sagt der Sprachforscher und Philosoph Nicola Spotorno. „Man könnte davon ausgehen, dass, wenn jemand die Bedeutung der Wörter und die grammatikalischen Regeln einer Sprache beherrscht, auch jeden Satz versteht. Dem ist aber nicht so.“, so Spotorno. Und weiter: “Ironie sei ein Beispiel dafür, wie Gesagtes und Gemeintes divergieren.”
Nun denn, hier also die Richtigstellung.
“Auch damit erwecken Sie den unzutreffenden Eindruck, das Siegel könne allein durch die Beantwortung der Fragen aus dem Smart Company Check erlangt werden. Richtig ist jedoch, das teilnehmende Unternehmen durch den Smart Company Check maximal 200 Punkte erlangen können. Um als “Arbeitgeber der Zukunft” ausgezeichnet zu werden, muss ein Unternehmen allerdings mindestens 300 Punkte erhalten. Aufdiesen Umstand wird auf unserer Website unter https://dind.info/sieqel/arbeitqeber-der-zukunft/ auch klar und deutlich hingewiesen. Um als “Arbeitgeber der Zukunft” ausgezeichnet zu werden, muss ein Unternehmen nach unserem Prüfverfahren ausreichend Punkte im digitalen Außencheck erlangen, der nach klar definierte Bewertungskriterien erfolgt. Für den digitalen Außencheck werden unter anderem Bewertungen Dritter, der digitale Auftritt des Unternehmens, technisch wie auch inhaltlich, sowie Bewertungen von Mitarbeitenden analysiert.”
Richtigstellung Ende]
Immerhin ist dieses Procedere schon mehr, als das etwa beim FOCUS Top-Arbeitgebersiegel erforderlich ist. Dieses bekommt man ohne jegliches Zutun inklusive verbriefter Nicht-Repräsentativität – dafür muss man aber auch deutlich tiefer in die Tasche greifen. Moment mal, werden Sie sagen, ich dachte der “Arbeitgeber der Zukunft” wäre kostenlos.
Kostenlos ist nur der Prüfprozess
Sie sind wirklich sehr naiv. Wenn Sie genau gelesen haben, wird Ihnen nicht entgangen sein, dass der weitere Prüfprozess kostenlos ist. Auch darf das Unternehmen einmalig über die “Arbeitgeber der Zukunft“ berichten, ohne dass dafür auch nur ein Cent fällig wäre. Doch dann wird’s teuer. Angenommen, Sie würden mit dem Siegel ausgezeichnet und Sie wollten damit werben, müssen Sie natürlich tief in die Tasche greifen. Je nachdem, wie groß Ihr Unternehmen ist, zahlen Sie zwischen 1.490 (Startup) und 6.900 Euro (mehr als 200 Mitarbeiter). Pro Jahr. Aber hey, das Geld investiert man doch gerne, wenn man dumm ist, nicht bereit ist, in sinnvolle Recruiting-Maßnahmen zu investieren und sich mitten im “War for Talents” befindet. Schließlich erhält man dafür diese schicke Urkunde, unterschrieben von Brigitte Zypries, “Bundeswirtschaftsministerin a. D.”, mit der man sein Büro oder auch seine Mitarbeitertoilette schmücken kann.
Mit dem als “Arbeitgeber der Zukunft”-Siegel ausgezeichnete Unternehmen werben mit falschen Behauptungen
Fragwürdig ist ja auch, wie sich so manches Unternehmen für dieses Siegel feiert und mit seiner Auszeichnung als “Arbeitgeber der Zukunft” wirbt. Ein paar Beispiele gefällig?
“Das Siegel bestätigt die Qualitäten von XXX als Arbeitgeber und ist wesentlicher Baustein zur Personalbindung und -gewinnung.” [Wenn ein solches Siegel wesentlicher Baustein der Personalbindung und -gewinnung ist, dann gute Nacht!]
“Das Innovationsinstitut zeichnet Unternehmen aus, die sich besonders zukunftsorientiert aufstellen. So stellt das Unternehmens-Siegel für interessierte Bewerber:innen ein Qualitätsmerkmal auf diesem Gebiet dar. Ein mehrstufige Prüfprozess, der einer Auszeichnung vorausgeht, stellt sicher, dass alle Kriterien erfüllt sind.” [Ein Prüfprozess, der alles andere als aussagekräftig ist, Kriterien, die keiner überprüft. Denn eine Verifizierung der Auskünfte durch das DIND findet nicht statt (siehe unten)].
“Bei allen 8 Themen konnte XXX mit einer sehr hohen Punktzahl, insgesamt 96%, überzeugen. […] Dies alles [das Unternehmen hat sich selbst bis auf in zwei Kategorien in jeder Kategorie 10 Punkte vergeben] hat das Deutsche Innovationsinstitut für Nachhaltigkeit und Digitalisierung stark beeindruckt und wir haben damit das Siegel „Arbeitgeber der Zukunft“ sehr erfolgreich erringen können.”
“Das Deutsche Innovationsinstitut für Nachhaltigkeit und Digitalisierung (DIND) hat XXX mit zwei Preisen in den Kategorien “Arbeitgeber der Zukunft” und “Top Service” ausgezeichnet. Initiatoren der Awards sind neben dem DIND auch das Deutsche Institut für Service und Qualität (DISQ) sowie das Bundeswirtschaftsministerium” [Frau Zypries war zwar mal Bundeswirtschaftsministerin, das macht das Bundeswirtschaftsministerium aber noch längst nicht zum Mit-Initiator des eher unseriös einzuschätzenden Siegels].
Auch die Deutsche Telekom feiert sich, sogar mit Video, auf Facebook: “Die Deutsche Telekom wurde vom deutschen Innovationsinstitut als Arbeitgeber der Zukunft ausgezeichnet.” Eieiei. Hat die Deutsche Telekom so etwas wirklich nötig? Nun gut, mit gut gefüllten Konzernkassen schaut man nicht so aufs Recruiting-Budget und geht wohl gern auf Siegel-Einkaufstour.
Arbeitgebersiegel? Kenn’ ich nicht!
Es ist schon beschämend mit anzusehen, wie Unternehmen mit solchen Kaufsiegeln schönfärben und (potenzielle) Bewerber hinters Licht führen. Wobei … Bewerber bzw. Jobsuchende sind längst nicht so dumm, wie so mancher siegelgeiler Personalist. Denn die messen solchen Auszeichnungen keinen Pfifferling bei. Die Einzigen, die an die Siegel glauben, bzw. glauben, dass sie mit solchen Auszeichnungen als “attraktiver Arbeitgeber” wahrgenommen werden, sind die Unternehmsvertreter, die diese Lizenzen kaufen. Und so resümiert auch der geschätzte Bloggerkollege Marcus K. Reif in seinem Blog:
“Die Wirkung [von Arbeitgebersiegeln] auf den externen Arbeitsmarkt und damit auf die wichtigen Zielgruppen potenzieller Bewerberinnen und Bewerber ist allerdings als gering einzustufen.”
Und weiter:
“Ich lasse mich auch gerne korrigieren, aber meiner Meinung nach sind viele Personalabteilungen mangels Transparenz oder Wissen auch bewusst den Schritt gegangen, sich ein Siegel oder einen Award zu besorgen, um nach innen eine gewisse Berechtigung für ihr Tun zu erhalten.”
Du musst dich nicht korrigieren lassen, Marcus. Passt.
Jobsuchende können mit Arbeitgebersiegeln wenig anfangen
Und so bestätigt bspw. eine bereits 2019 durchgeführte Studie von Employer Telling unter 1.052 Personen, die sich in mindestens einem Bewerbungsprozess befinden, unsere Thesen eindrucksvoll: 82 Prozent der Befragten konnten auf Nachfrage kein (!) ihnen bekanntes Arbeitgebersiegel nennen (damit sind diese nicht alleine, andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen). Selbst als man ihnen eine Liste mit zehn Siegeln vorlegte, die derzeit häufig von Arbeitgebern unter Stellenanzeigen oder auf Karrierewebseiten verwendet werden, gaben immer noch 39 Prozent der Bewerber an, keines davon zu kennen. Und selbst bei einer gestützten Nachfrage erreicht das “bekannteste” Siegel nur einen Bekanntheitsgrad von 28 Prozent.
Nach meiner persönlichen (!) Einschätzung würde das Siegel “Arbeitgeber der Zukunft” bei einer erneuten Befragung wohl nicht einmal 0,1 Prozent erreichen (ich kann mich natürlich irren, und irren ist bekanntlich menschlich). Die einzigen, die diese Auszeichnung kennen, sind in erster Linie die Unternehmen selbst, die sich das Siegel stolz an die Brust heften.
[Hier kritisieren die Arbeitgeber-der-Zukunft-Macher meine persönliche Einschätzung als falsche Tatsachenbehauptung und stellen fest: “Eine aktuelle Umfrage aus dem Jahr 2023 hat vielmehr gezeigt, dass unser “Arbeitgeber der Zukunft” Siegel in kurzer Zeit bereits einen erheblichen Bekanntheitsgrad erlangt hat.” Um welche Umfrage es sich dabei handelt und wer wann wie und wo befragt wurde, wird leider nicht erwähnt. Auch eine diesbezügliche Recherche meinerseits ergab leider keine Ergebnisse. Zum Thema Ironie siehe oben.].
Und so bringt es Sascha Theisen, einer der Studienautoren, treffend auf den Punkt:
„Die Betreiber von Arbeitgebersiegeln konzentrieren sich in ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf die lukrative Seite der Arbeitgeber, die für den Einsatz der Siegel zahlen. Denjenigen, denen die Prädikate aber Orientierung in der Jobsuche bieten sollen, sind sie größtenteils unbekannt.”
Arbeitgebersiegel ohne Wirkung bei Bewerbern
Wir halten fest: Auch wenn Arbeitgebersiegelmacher bzw. deren lästigen Vertriebler immer wieder mit der Außenwirkung von Arbeitgebersiegeln argumentieren: Diese ist kaum vorhanden. Auch wenn Arbeitgeber das gerne hätten: Ein noch so “gutes” Arbeitgebersiegel macht aus einem schlechten Arbeitgeber keinen guten. Die in der Studie am häufigsten genannten Bedenken im Umgang mit Arbeitgebersiegeln stehen im Kontext von mangelnder Transparenz. Ein Studienteilnehmer bringt das so auf den Punkt:
„Da man mittlerweile nur noch Siegel für alles Mögliche und überall sieht, ist dies nun wirklich kein aussagekräftiges Prädikat mehr.“
“In meinen Augen werden Rankings und Siegel inflationär verwendet, unter zweifelhaften statistischen Erhebungen ermittelt und sind daher häufig wertlos.”
Investieren Sie lieber in Mitarbeiter-Events, als in Arbeitgebersiegel
Sie sollten das Geld, welches Sie für welches Arbeitgebersiegel auch immer, ausgeben, sinnvoller investieren. Etwa in zielgruppengerechtes Recruiting oder einen nutzerorientierten Bewerbungsprozess. Selbst, wenn Sie dieses Geld in die nächste Mitarbeiterfeier investieren oder den Betrag einer sozialen Einrichtung spenden, ist das Geld besser angelegt. Glauben Sie mir. Arbeitgebersiegel machen sich zwar gut auf Karriereseiten, in Stellenanzeigen oder auf sonstigen Kommunikationsmitteln, deren Aussagekraft ist aber begrenzt und der Stellenwert bei Bewerbern noch begrenzter. Aber vom “Fachkräftemangel” betroffenen Unternehmen kann man ja bekanntlich alles verkaufen, wenn es eine Lösung gegen die ausbleibende Bewerberflut verspricht.
Zu guter Letzt …
Natürlich habe ich mich riesig über meine Nominierung gefreut, schließlich hat man nicht alle Tage die Möglichkeit, “Arbeitgeber der Zukunft” zu werden. Das brachte ich dann auch in einer entsprechenden Mail zum Ausdruck:
“Lieber Herr XXX,
was für ein Bullshit 😉.
Haben „Fachkräftemangel“ nur die Unternehmen, die nicht bereit sind, etwas zu tun. Sei es in Sachen Personalmarketing-Maßnahmen, sei es im Recruiting, sei es für die bestehenden und die kommenden Mitarbeiter. Es gibt kein Recht auf Mitarbeiter. Auf gute schon gar nicht. Endlich trennt sich die Spreu vom Weizen! Das ist gut so. Letztendlich existiert dieser „Fachkräftemangel“ also nur in den Köpfen dieser Menschen.
Ich bin ein Einzelunternehmen. Also kein Arbeitgeber. Denn ich vergebe keine Arbeit. Sehr schlecht recherchiert 😉
Das Siegel wird natürlich funktionieren und auch angenommen (allerdings nur von leichtgläubigen aka dummen Unternehmensvertretern). Weil Unternehmen derzeit jeden Strohhalm ergreifen, um sich gegen den „Fachkräftemangel“ zu wappnen. Wobei wir alle wissen, dass diese Siegel reine Augenwischerei sind und nichts bewirken. Maximal in den Taschen derer, die diese Siegel vergeben. Also in Ihren. Auf Bewerber haben diese Siegel keine Auswirkungen.
Also, bitte verschonen Sie mich mit diesem Bullshit. Danke.
Beste Grüße”
Update: Tatsächlich wurde ich dann doch noch vonseiten des “Arbeitgeber der Zukunft”-Teams kontaktiert. Allerdings nicht in Bezug auf meine E-Mail, sondern auf den oben stehenden Blogartikel. In einem Schreiben wurde ich um eine Richtigstellung der von mir – ihrer Meinung nach – falsch oder unvollständig wiedergegebenen Darstellung gebeten. Der Bitte komme ich gerne nach. Die Richtigstellung/Ergänzung habe ich in den Text eingearbeitet. Eins lasse ich mir aber nicht nehmen: Meine freie Meinung zu äußern, Klartext zu reden und ironische Seitenhiebe zu verteilen. Denn das macht die DNA dieses Blogs aus. Und das seit mittlerweile mehr als 13 Jahren.
PS: Natürlich gibt es neben dem hier von mir beschriebenen Siegel weitere Arbeitgebersiegel, deren Aussagekraft (für Bewerber) nahezu gleich null ist. Weitere Auszeichnungen, die Sie lieber kritisch beäugen sollten, sind Kaufsiegel wie z. B. FOCUS Top Arbeitgeber, Leading Employers, Deutschlands begehrteste Arbeitgeber, Höchste Fairness im Job, Most wanted Employer, Deutschlands beste Arbeitgeber (WELT), Deutschlands fairste Unternehmen, Deutschlands fairste Arbeitgeber (Euro), 1.000 Wertvollste Arbeitgeber für das Gemeinwohl (Wirtschaftswoche), „Deutschlands Beste Arbeitgeber“ (BILD).
Übrigens: Ein Urteil des Landgerichts Münchenkönnte dem (Arbeitgeber-)Siegel-Wildwuchs möglicherweise bald Einhalt gewähren. Demzufolge verstößt nämlich das so sogenannte FOCUS Ärzte-Siegel gegen das Irreführungsgebot. Das Siegel gleiche einem Prüfzeichen und erwecke fälschlicherweise den Eindruck sachgerechter Überprüfung der Mediziner, so das LG. Ein verwandtes “Bewertungsschema” liegt dem TOP-Arbeitgeber-Siegel des FOCUS (und unzähligen anderen dieser “Zertifikate”) zugrunde. Es bleibt also spannend.
Lieber Henner, das DIQP distanziert sich jetzt vom DIND da es dort schon zu Verwechselungen kam. https://www.diqp.eu/arbeitgeber-der-zukunft/ Viele Grüße Oliver
[…] genauer betrachtet. Auf den Seiten zum Siegel Arbeitgeber der Zukunft (Testwatch) und Arbeitgeber der Zukunft (Henner Knabenreich) können Sie sich über deren Einschätzung der Auszeichnung „Arbeitgeber […]
[…] meinem letzten Blogartikel hatte ich mich mit der “Güte” des Arbeitgebersiegels “Arbeitgeber der Zukunft” auseinandergesetzt (Spoiler: Der einzige, für den dieses Arbeitgebersiegel […]
Lieber Henner,
wenn es Dich nicht gäbe, müsste man dich erfinden. Inzwischen lese ich kaum noch Blogs, (schreib auch nur noch selten selbst welche), man wiederholt sich. Deine Blogs kommen aber dran! Kein Blatt vor den Mund nehmen, über ein paar aktuelle Hypes hinaus deutlich mehr Überblick zu haben (das Alter machts ;) , gegen den Strom schwimmen, Trendsettende entlarven, usw. Allerdings ist das Thema "Siegel" eine ziemlich einfache Beute. Mein Wunsch für das nächste Mal wäre Usability von Texten und der Bezug zur Kaufbereitschaft. Da kann alles rein wie, Anglizismen, Schablonentext, Gendern, Verkäufer- satt Käuferbezug, usw. - schöne Grüße, Johannes
Hallo, ich bin Henner Knabenreich. Seit 2010 schreibe ich hier über Personalmarketing, Recruiting und Employer Branding. Stets mit einem Augenzwinkern oder den Finger in die Wunde legend. Auf die Recruiting- und Bewerberwelt nehme ich nicht nur als HR-Blogger maßgeblich Einfluss, auch als Autor, als Personalmarketing-Coach, als Initiator von Events wie der HR-NIGHT oder als Speaker hinterlasse ich meine Spuren in der HR-Welt. Sie wollen mich für einen erfrischenden Vortrag buchen, haben Interesse an einem Karriere-Website-Coaching, suchen einen Partner oder Berater für die Umsetzung Ihrer Karriere-Website oder wollen mit bewerberzentrierten Stellenanzeigen punkten? Ob per E-Mail, XING oder LinkedIn - sprechen Sie mich an, ich freue mich auf Sie!
In meinem letzten Blogartikel hatte ich mich mit der “Güte” des Arbeitgebersiegels “Arbeitgeber der Zukunft” auseinandergesetzt (Spoiler: Der einzige, für
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