22. Februar 2019
IKEA: Unmögliches Möbelhaus mit unmöglichem Bewerbungsprozess
Lesezeit: 7 Min. Employer BrandingKarriere-WebsitesRecruiting
Sie alle kennen das unmögliche Möbelhaus aus Schweden. Mit diesem Slogan ging IKEA 1975 in Deutschland an den Start. Während es mittlerweile “Wohnst du noch oder lebst du schon?” heißt, ist der Bewerbungsprozess bei IKEA in der Tat unmöglich. So etwas nennt sich dann wohl Markenkonsistenz. Übertragen auf den Bewerbungsprozess könnte es dann “Verzweifelst du noch oder bewirbst du dich schon?” heißen. So in etwa zumindest. Denn eine Bewerbung bei IKEA stellt potenzielle Bewerber vor eine echte Herausforderung. Aber warum soll für die Bewerbung etwas anderes gelten, als für den Aufbau der Möbel?
IKEA Karriere-Website schwer auffindbar
Schon alleine der Weg zur Karriere-Website von IKEA gleicht einem Spießrutenlauf. Gut, das an sich ist nichts Außergewöhnliches. Unternehmen wie Lufthansa, Bahn, Telekom, REWE, Audi und viele andere verschenken auf genau dem gleichen Weg immense Ressourcen (die die Unternehmen nicht einen Cent, sondern maximal Überzeugungskraft seitens HR kosten würden, ihnen aber auf einen Schlag Tausende Bewerber brächten). Der Karriere-Button gehört ohne Wenn und Aber in die Hauptnavigation einer Website. Aber das hatte ich an anderer Stelle ausführlich dargestellt. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Karriere-Website nicht mobil optimiert ist. Ich meine klar, wir schreiben erst das Jahr 2019. Immer mehr Menschen besitzen ein Smartphone und nutzen dieses auch, um damit “mobil” nach Jobs zu suchen. Und es ist auch nicht relevant, dass Google bereits 2015 damit begonnen hat, nicht mobil optimierte Websites abzustrafen. Warum also sollte man eine mobil optimierte Karriere-Website haben, wenn 20 Prozent der DAX-Unternehmen auch keine haben?
Der unmögliche Bewerbungsprozess des unmöglichen Möbelhauses
Landet ein potenzieller Bewerber dann aber doch über Umwegen auf der Stellenbörse und will sich bewerben, erlebt er eine weitere Überraschung. Zunächst scheint alles in Ordnung. Wie auf so vielen anderen Karriere-Websites auch, kann sich ein potenzieller Bewerber in der Jobbörse über passende Jobs informieren.
Er kann filtern nach Land (gut, dass Deutschland hier nicht an erster Stelle angezeigt wird und man sich erst bis D durchscrollen muss. Und gut, dass wir in Deutschland sind, was soll dann erst ein Bewerber in Zypern denken? Und gut auch, dass die Suche nicht per AJAX funktioniert, wäre auch zu einfach und so verändert sich das Suchergebnis erst, wenn man auf “Suche” klickt), Standort, Arbeitsbereich, Sprache der offenen Stelle (!), Vollzeit/Teilzeit und “Job-Möglichkeiten”. Wobei es sich um letzteres handelt und was der Unterschied zum Arbeitsbereich ist? Eine gute Frage. Die beantwortet nur ein Klick auf den Filter selbst (auch da ist IKEA nicht alleine). Wenn ein potenzieller Bewerber dann auch noch weiß, welchem der folgenden 29 (!) “Arbeitsbereiche” er sich zuordnen kann, ist er schon wieder ein Stück weiter. Zur Auswahl stehen
- E-Commerce,
- Buchhaltung,
- “Controlling- Business Navigation” (das heißt wirklich so. Ich frage Sie: Woher soll ein Bewerber wissen, worum es sich handelt? Controlling, klar. Aber “Business Navigation”?),
- Design & Produktentwicklung,
- Administration,
- Business Development,
- Einkauf,
- Engineering & Technology,
- Expansion,
- “Exploration, Co-Creation & Innovation” (klar, was damit gemeint ist, oder?),
- Health & Safety,
- Interior Design & Visual Merchandising,
- IT,
- Kundenservice & Kasse,
- Leadership & Management,
- Legal,
- Logistik,
- Marketing & Kommunikation,
- Material Innovation,
- Personal,
- Produktion,
- Projektmanagement,
- Property & Facility Management,
- Qualitätsmanagement,
- Real Estate & Leasing,
- Restaurant (IKEA Food),
- Risk & Compliance,
- Sustainability,
- Verkauf.
Erfahrungsgemäß wissen die Kollegen in HR nicht einmal, welchem Bereich sie die Stelle zuordnen sollen. Wie soll es ein potenzieller Bewerber da wissen?
Wie das Bewerben bei IKEA geht, verrät einem aber die Website: Zunächst einmal hilft einem die “Suchmaschine, eine Stelle zu finden, die dich interessiert“. In zweiten Schritt heißt es “Sende uns dein Anschreiben und deinen Lebenslauf mit allen Informationen, die wir über dich wissen sollten. Denk daran, ein gutes und interessantes Anschreiben sagt oft viel mehr über dich aus als viele Abschlüsse“. Ich würde ergänzen “denk daran, ein schlechter und nutzerunfreundlicher Bewerbungsprozess sagt oft viel mehr über dich aus, als leere Employer-Branding-Phrasen”. Denn wenn es darum geht, sich bei IKEA zu bewerben, tut sich ein riesengroßes Problem auf. Eine Bewerbung ist bei IKEA (fast) unmöglich. Wie kann das sein, werden Sie fragen, immerhin hat IKEA über 1.800 Stellen (davon über 300 in Deutschland) ausgeschrieben! Machen die das denn nur zum Spaß? Oder sind die Jobs vielleicht nur für IKEA Family-Mitglieder zugänglich?
Ein schlechter und nutzerunfreundlicher Bewerbungsprozess sagt oft viel mehr über den Arbeitgeber aus, als leere Employer-Branding-Phrasen
Nun, es dürfte klar sein, dass das “unmögliche Möbelhaus aus Schweden” auch einen unmöglichen Bewerbungsprozess haben muss. Hier setzt sich einfach die Firmenphilosophie fort, klare Sache! Das nennt man Konsistenz. Und Glaubwürdigkeit, ein gaaanz wichtiger Punkt beim Employer Blending Branding. Aber zurück zum unmöglichen Bewerbungsprozess. Nachdem man also glaubt, ein passendes Stellenangebot gefunden zu haben, klickt man auf die entsprechende Stelle, die dann auch aufpoppt. Genauer gesagt, poppt dann nicht die Stelle auf, sondern eine Vorschau der Stelle. Aha.
Meldest du dich an oder bewirbst du dich schon?
Um sich bewerben zu können, muss der (noch) geneigte potenzielle Bewerber also zunächst einen weiteren Klick tätigen, den auf den Button “Stellenausschreibung ansehen” nämlich. In einem neu öffnenden Fenster wird der Bewerber von einer unstrukturierten, schlecht erfass- und lesbaren Stellenanzeige erschlagen (die betrifft insbesondere Schriftgröße, Abstände und Formatierung. Nur am Rande sei erwähnt, dass auch die Stellenanzeige nicht mobil optimiert ist und Sie in der Zeit, in der die Stellenanzeige – auf dem Smartphone (sofern sie dort überhaupt lädt) – lädt, durchaus einen Kaffee trinken gehen können). Einen Bewerbungsbutton indes sieht er nicht.
Okay, zugegeben. Jetzt tue ich IKEA unrecht. Natürlich gibt es einen Bewerbungsbutton. Den entdeckt man aber erst auf den zweiten Blick. Wenn man diesen denn noch riskiert. Gaaaaanz unten, möglichst unauffällig, dass ihn ja keiner entdeckt, kauert er sich verschämt links unten in die Ecke. Selbst der Button “An einen Freund senden” ist auffälliger. Immerhin lässt sich aber erkennen, wer hinter diesem katastrophalen E-Recruiting-System steckt: Nein, nicht wie alle erwarten, ist es diesmal nicht etwa SAP bzw. Successfactors (warum eigentlich Successfactors? Weil das System ein garantierter Erfolgsfaktor ist, um Bewerber abzuschrecken? Wahrscheinlich, ja.), sondern IBM. Also, wenn Ihnen an Ihren Bewerbern gelegen ist, vergessen Sie nicht nur Successfactors, sondern IBM bzw. Brassring. Ein weiteres Bewerbermanagementsystem aus der Hölle gewissermaßen.
Der potenzielle Bewerber ist nun aber in einem Dilemma. Er hat nämlich die Wahl zwischen “Auf Stelle bewerben” und “Anmelden” – dieser Link wiederum ist gaaaanz oben rechts in der Ecke versteckt. Wieder einmal zeigt sich, dass Anbieter von E-Recruiting-Software Ahnung davon haben mögen, wie man Bewerberdaten bestmöglich verwaltet. Neben SEO haben sie auch von UX definitiv noch nie gehört.
Ein unmöglicher Bewerbungsprozess als garantierter Erfolgsfaktor, Bewerbungen zu vermeiden
Im Zweifelsfall macht so ein potenzieller Bewerber also gar nichts von beidem und bewirbt sich lieber woanders. Denn glücklicherweise gibt es andere Arbeitgeber, die einen nicht so unmöglichen Bewerbungsprozess anbieten und einen potenziellen Bewerber im Sinne einer “candidate-first-Philosophie” in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellen. Auch wenn ein “unmöglicher Bewerbungsprozess” von einem “unmöglichen Möbelhaus” erwartet werden mag, es dürfte sich kaum positiv auf die eingehenden Bewerbungen auswirken. Auf eine positive Candidate Experience definitiv nicht. Und eine negative Candidate Experience wiederum hat nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf den Erfolg des Unternehmens an sich. Aber dass eine schlechte Candidate Experience die Reputation als Arbeitgeber schädigt und Millionen kostet, hatte ich an anderer Stelle ja schon ausgiebig ausgeführt.
Besonders frappierend finde ich das Ganze, weil das Unternehmen laut Aussage von IKEAS Recruiting-Chefin eine “humanistisch geprägte Unternehmenskultur” habe, die von Wertschätzung gekennzeichnet sei. Der Bewerbungsprozess wird demnach “darum auch von Konzernseite als Dialog betrachtet, an dessen Ende die Frage beantwortet wird: „Hast du ein Talent, das du bei Ikea einsetzen kannst, mit dem du ein Zuhause bei uns findest?““. Ja, das Talent, sich überhaupt durch diesen Bewerbungsprozess durchzuwursteln.
Übrigens: Es ist tatsächlich egal, auf welchen Button der Bewerber klicken würde. Ob auf “Anmelden” oder “Auf Stelle bewerben”, der potenzielle Bewerber landet immer auf der Anmeldemaske. Ob er dann wirklich noch Lust hat, wage ich zu bezweifeln. Je nach Studie brechen zwischen 10 und 70 Prozent der Bewerber bei solchen haarsträubenden Prozessen ab. Wie hoch die Abbruchquote bei IKEA ist, kann ich nur raten. Dass sie im oberen zweistelligen Bereich liegt, dürfte aber gewiss sein.
E-Recruiting und Employer Branding: Lassen Sie uns über Bewerbungsformulare sprechen
Johannes Mattern
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Thomas Höhmann
Theresa