24. Juni 2013
Das Internet ist für viele Neuland. Zumindest im Personalmarketing.
Lesezeit: 11 Min. Employer BrandingPersonalmarketingRecruiting
Ach ja, die gute alte dicke Tante Angie. Was gab es doch für einen Aufschrei, der durch die gesamte Republik hallte, als sie anlässlich der Pressekonferenz zu Obamas Besuch in Berlin sagte: “Das Internet ist für uns alle Neuland“. Selten so gelacht, Frau Merkel. Und so dachten viele und die Medien (und nicht nur die) hatten endlich mal wieder was, um das Saure-Gurken-Sommerloch zu stopfen. Aber vielleicht hat Frau Merkel ja doch recht? Auch wenn sie das natürlich in Bezug auf das Späh-Programm Prism und die Gefahren, die im bösen Internet lauern, gemeint hatte. Aber wie sieht es eigentlich mit der Nutzung des Internets für Personalmarketing und Employer Branding aus? Steckt da vielleicht doch ein Fünkchen (wenn nicht sogar ein großer Funken) Wahrheit hinter?
Um es vorweg zu nehmen. Ja, es steckt. Schauen wir uns das Ganze mal etwas genauer an. 1995 gab es die ersten Ansätze von Karriere-Websites bei deutschen Unternehmen. Ebenso gingen da die ersten deutschen Stellenbörsen an den Start. Jobpilot, Jobware und stellenanzeigen.de zählen zu den Pionieren eines bis heute rasant wachsenden Marktes. Wirft man einen Blick auf die Website jobboersenfinder.de, so findet man da Stand heute 1.582 Jobbörsen. 1.582. Und nicht nur Monster oder das Arbeitsamt. Das wäre dann auch schon die erste Lehre, die wir daraus ziehen können.
Die Vielfalt an Online-Jobbörsen ist für viele Neuland
Ja, das Internet ist für viele Neuland. Nämlich wenn es darum geht, die Potenziale von Online-Jobbörsen zu nutzen. Denn hier – so ist zumindest meine Erfahrung im Gespräch mit vielen Personalverantwortlichen – setzt man in der Tat gerne auf einige wenige, wenn nicht sogar nur eine einzige Jobbörse. Meistens werden Monster oder Stepstone genannt. Und meistens ist man dann wirklich nur bei der einen, weil einem der findige Vertriebler einen Rahmenvertrag aufgeschwatzt hat, der so viel Geld kostet, dass für andere Jobbörsen kein Geld mehr da ist (und dass das Kontingent des Rahmenvertrags in vielen Fällen gar nicht ausgeschöpft wird, steht noch mal auf einem ganz anderen Blatt :-)). Dabei ist bei der Auswahl einer Jobbörse doch immer darauf zu achten, diejenige auszuwählen, welche die jeweilige Interessenten- respektive Zielgruppe bedient (im Zweifelsfall bzw. in den meisten Fällen also NICHT Monster), da sonst mal wieder die Bemühungen am Bewerber vorbei laufen. Das mag zwar wie eine Binsenweisheit klingen – wenn dem aber so wäre, warum verhalten sich dann viele Personalverantwortliche so?
Wie auch immer, kehren wir zurück zu den Karriere-Websites, die 1996 bspw. so aussahen:
Während das den einen oder anderen zum Schmunzeln bringen mag, so muss ich sagen, hey, Bertelsmann war damals seiner Zeit weit voraus. Selbst heute, wir schreiben das Jahr 18 n. Going live der ersten Karriere-Website in Deutschland, ja, selbst heute sehen viele Seiten so aus. Wenn überhaupt. Denn auf der Seite von damals hier gibt es weit mehr als nur das Posten von Jobs. Gut, seien wir ehrlich. Hier werden sogar keine Jobs veröffentlicht. Das kam erst später. Aber es gibt Infos zum Einstieg ins Unternehmen, über Karriere-Perspektiven und einiges mehr. Gut, Bilder waren damals Fehlanzeige. Videos sowieso. Auch der gute alte “Weiter-Button” führt den Nutzer da durch die Website. Aber lassen Sie uns ruhig noch ein wenig nostalgisch bleiben und einen weiteren Screenshot betrachten, bevor ich Sie in die traurige Realität entführe:
Karriere-Websites – für viele Unternehmen Neuland
Ich befasse mich ja nun seit 2003 mit dem Thema Personalmarketing im Internet. 2004 habe ich die Karriere-Websites der 50 größten deutschen Arbeitgeber in Deutschland einer umfassenden Analyse unterzogen. Weil mir wohl langweilig war, habe ich es dabei aber nicht belassen, sondern habe mir auch noch die Recruiting-Prozesse der Unternehmen angeschaut. Dazu habe ich mich nicht nur fiktiv bei allen Unternehmen beworben (bei drei der Unternehmen warte ich bis zum heutigen Tag auf eine Antwort). Nein, ich habe noch einen Fragebogen verschickt, über den ich den Recruitingprozess der einzelnen Unternehmen abgefragt habe. Warum ich Ihnen das erzähle? Das kann ich Ihnen sagen. Das Fazit meiner wissenschaftlichen Arbeit war damals:
“Wie sich […] zeigte, wird der Einsatz des Internets in der Praxis seinen Möglichkeiten nur bedingt gerecht. Selbst Unternehmen, die das Internet als Zeit- und Kosten sparendes Personalmarketing-Instrument erkannt haben, setzen die Ziele eines effizienten Online-Personalmarketings potenzielle Mitarbeiter über das Internet mit umfangreichen Informationen zu versorgen, qualifizierte Bewerber zu einer Bewerbung zu motivieren und den Bewerbungsprozess zu verkürzen nicht konsequent um. So bietet sowohl die Ausgestaltung der Personal-Websites als auch die Umsetzung in den Personalabteilungen noch vielfältige Ansätze für Verbesserungen.”
Das war 2004. Heute, wir schreiben das Jahr 2013, es sind also noch mal neun, also insgesamt 18 Jahre nach Einführung der ersten Karriere-Websites in Deutschland, hat sich nichts an der Tatsache geändert. Klar, haben sich die Verhältnisse gebessert. Aber mal ganz ehrlich: Alle Welt spricht vom Fachkräftemangel und ein großer Teil deutscher Unternehmen nutzt das Internet nicht, um sich als Arbeitgeber zu präsentieren? Auch einer meiner Kunden hatte bisher im Rahmen seiner Webpräsenz nur zwei Seiten für das Thema Jobs & Karriere übrig. Eine mit rudimentären Infos über das Unternehmen als Arbeitgeber selbst, eine mit den Stellenangeboten. Nun, das wird sich in Kürze ändern und er darf sich über eine umfangreiche Karriere-Website erfreuen, die dann wohl als Benchmark (nicht nur) für Einzelhandelsunternehmen gelten darf. Aber Schluss mit der Eigenwerbung, kommen wir zum Kern zurück.
Jüngst gab es mal wieder die Veröffentlichung einer BITKOM-Studie. Nun sind diese Studien (wie viele andere auch) mit Vorsicht zu genießen, sind sie doch oftmals sehr oberflächlich und ist nicht klar nachzuvollziehen, wie die Ergebnisse zustande kommen. Aber diese Ergebnisse zeigen doch sehr klar, wie es um die Nutzung des Internet durch Unternehmen bestellt ist. Nämlich schlecht. Fast jedes fünfte Unternehmen in Deutschland besitzt nämlich keine eigene Homepage. Wobei der Begriff Homepage hier natürlich mal wieder umgangssprachlich und nicht ganz korrekt verwendet wird. Die Homepage ist nämlich nur die Startseite einer Website. Und die wiederum ist das Gesamtkonstrukt der einzelnen Seiten. Aber das nur am Rande.
Nun könnte man ja sagen, ja, das trifft ja nur auf die kleinen Unternehmen zu. Die großen haben doch alle eine. Wenn das denn mal stimmen würde: Nahezu alle großen Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten haben eine Homepage (96 Prozent), bei den KMU sind es 82 Prozent, heißt es bei BITKOM. Das sind 4 respektive 18 (!) Prozent zu viel. Wie drückt es BITKOM-Präsident Prof. Dieter Kempf so treffend aus: „Wer auf seine Visitenkarte im Netz verzichtet, verschenkt die Chance, sich seinen Kunden zu präsentierten und vor allem neue Kunden zu gewinnen“. Recht hat er. Übertragen auf unserer Verhältnisse heißt das: “Wer auf seine Visitenkarte als Arbeitgeber im Netz verzichtet, verschenkt die Chance, sich seinen Bewerbern zu präsentieren und vor allem neue Mitarbeiter zu gewinnen“. Was leider nicht gefragt wurde, wie viele dieser Unternehmen denn über eine eigene Karriere-Website verfügen. Ich würde mal schätzen, dass es höchstens 40 Prozent sind (damit meine ich nicht das ausschließliche Präsentieren von Stellenangeboten!). Vielleicht auch mehr.
Auch hier muss ich Frau Merkel leider wieder Recht geben. Das Internet ist für viele Neuland. Zumindest im Personalmarketing.
Social Media – Neuland mit ungewissem Ausgang
Aber ich bin noch nicht am Ende. Auch wenn es darum geht, “alternative” Formen zu nutzen, stehen deutsche Arbeitgeber oftmals vor unlösbaren Aufgaben. Wie nutzt man nur dieses verflixte Social Media, von dem alle reden? Warum haben wir eigentlich noch keine eigene Facebookseite? Was ist eigentlich dieses Facebook? Brauchen wir nicht auch einen Mitarbeiter-Block oder wie das heißt? Wie kann man eigentlich Kandidaten auf Xing ansprechen? Und wie kann ich Arbeitgeberbewertungen am besten ignorieren? Hier stürzen sich viele in wildem Aktionismus (oder in wilder Panik, man weiß es nicht genau) auf alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist und so sprießt eine Facebookseite nach der anderen aus dem Boden, die von keinem oder nur wenigen beachtet wird. Stellt einen Block ins Internet, weil der nette Referent (der im Übrigen selber nicht bloggt, aber auf anderen Blogs davon gelesen hat, dass man bloggen soll) das ja gesagt hat. Und wundert sich, dass der nicht gelesen wird. Kunststück, weil er nicht gefunden wird. Oder stellt vermeintlich lustige oder originelle Videos ins Internet, die der Reputation des Arbeitgebers mehr schaden, als nutzen. Egal, Hauptsache Youtube, Hauptsache viral. Oder schreibt per Gießkanne potenzielle Bewerber via Xing an, deren Profil zwar rein gar nicht auf die Stelle passt, aber besser ganz viele anschreiben, als gar keinen. Natürlich ganz zu schweigen von all den Unternehmen, die sich zwar als Arbeitgeber im Social Web präsentieren wollen, der Zugang zum Internet aber per se gesperrt ist.
Auch da, liebe Ängie: you are totally right. Internet ist zwar nicht für uns alle, aber unfuckingfassbar viele, Neuland!
Neuland Mobile Recruiting
Und dann jetzt dieser neue Hype. Dieses mobile Recruiting oder wie das heißt. Der arme deutsche Personaler wird wirklich von einem Trend nach dem anderen überrollt. Wie soll man da nur reagieren. Da hat man es endlich geschafft und richtet als letzter Nachzügler so eine Facebook Karriereseite ein, weil der nette Referent (der im Übrigen selber keine Facebookseite hat, aber auf anderen Blogs oder in Spiegel online gelesen hat, dass man so was unbedingt braucht) das ja gesagt hat. Und wundert sich, dass die nicht angenommen wird.
Und dann spricht auf einmal keiner mehr von Social Media, sondern von Mobile Recruiting. Und gerade das mobile Internet ist wirklich noch relativ unentdeckt. Schaut man sich mal nach deutschen mobil optimierten Karriere-Websites um, so gibt es da ein wenig Licht, aber gaanz viel Schatten. Viele Websites sind nicht mal ansatzweise mobil optimiert. Eine besondere Spezies sind dann die Seiten, die einen auf mobil machen, wo man dann aber wenn es ans Eingemachte geht, wieder auf die stationäre Website geführt wird. WTF? Wenn ich doch die Inhalte mobil konsumieren will, dann möchte ich eben nicht auf die Desktop-Variante geführt werden. Eine Herausforderung sind auch die vielen Formate und Betriebssysteme. Eine am Nutzer orientierte mobil optimierte Karriere-Website zu erstellen, ist schon eine gewisse Herausforderung. Aber bei all den ganzen unterschiedlichen Browser- und Handytypen und den unterschiedlichen Betriebssystemen: tun Sie mir einen Gefallen, vergessen Sie mobile Karriere-Apps. Warum, das lesen Sie hier.
Tja, ich mag es kaum sagen, aber wo die Angela Recht hat, da hat sie Recht. Das Internet ist für viele Neuland. Zumindest mobil.
Online-Kommunikation im Personalmarketing – Neuland
Erschreckend aber auch, welchen Stellenwert online basierte Personalmarketing-Maßnahmen in deutschen Unternehmen haben. Da bringt nun zum vierten Male index etwas Licht ins Dunkel. Was man da erfahren muss, tut weh. Verdammt weh. So geben zwar 54 Prozent der befragten Unternehmen an, dass die Gewinnung neuer Mitarbeiter eine große Bedeutung für den Unternehmenserfolg habe. Fragt man aber nach dem strategischem Stellenwert von Personalmarketing, so erkennen den nur 27 Prozent der Teilnehmer als hoch an. Nicht mal ein Drittel misst dem (strategischen) Personalmarketing also eine hohe Bedeutung bei. Wie war das noch mit dem Fachkräftemangel? In diesem Zusammenhang ebenfalls ernüchternd: 56 Prozent der Befragten definieren das Personalmarketing-Budget situativ. WTF? Was ist da los? Wie hoch muss den Unternehmen eigentlich das Wasser noch bis zum Hals stehen, bevor sie die Notwendigkeit sehen, Personalmarketing strategisch zu begreifen? Reichte das das Jahrhunderthochwasser nicht aus? Muss da erst der Weltuntergang kommen (kleiner Hinweis: dann ist es bereits zu spät!). Ich zitiere hier gerne auch noch mal aus “Wettbewerbsfaktor Fachkräfte”:
“Viele Unternehmen schöpfen die Möglichkeiten des Personalmarketings nicht voll aus – oder ihre Recruitingstrategie ist nicht weitsichtig genug angelegt und kann daher den identifizierten langfristigen Personalbedarf in verschiedenen Berufsgruppen nicht adäquat aufgreifen. Verbesserungen sind meist möglich in der Gestaltung von Medienauftritt, Hochschul- und Messeveranstaltungen sowie in der Online-Präsenz.”
Tja. Was soll ich da sagen. Werfen wir doch noch gemeinsam einen Blick auf die Personalmarketing-Praxis. Was in Sachen Personalmarketing wird denn nun bei den befragten Unternehmen eigentlich umgesetzt?
Wie man unschwer erkennen kann, wird die Online-Kommunikation sträflich vernachlässigt. Persönlich erschreckend finde ich die Tatsache, dass Facebook Karriereseiten den gleichen Stellenwert einnehmen wie ausführliche Karriereseiten im Web. Dabei erfolgt der Hauptzugang zu Informationen über den Arbeitgeber über Google (oder wenn Sie nun wegen Prism und Tempora ein wenig paranoid werden, meinetwegen auch über die Alternative ixquick). Und da haben wir dann auch den nächsten Punkt, warum unsere Frau Bundeskanzlerin Recht hat: Das Thema SEO ist für die meisten Unternehmen tatsächlich Neuland. Dabei werden sich die Inhalte einer gut gepflegten und suchmaschinenoptimierten Karriere-Website (oder eines Blogs) ohne Weiteres über Google auffinden lassen. Die Inhalte einer Facebook-Seite dagegen nicht :-).
Und damit bin ich am Ende meiner Ausführungen, warum Frau Merkel mit ihrer Aussage, so sehr ich sie auch (wie so viele andere) belächelt habe, richtig liegt, wenn sie sagt:
Das Internet ist für uns alle Neuland. Vielleicht nicht für alle. Aber für einen Großteil deutscher Arbeitgeber, wenn es darum geht, selbiges fürs Personalmarketing zu nutzen. Lassen Sie uns also die Scheu ablegen und die Potenziale nutzen, die es da gibt. Es lohnt sich!
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Helge Weinberg