20. Juli 2023
Jobtitel vs. Skills: Ein Plädoyer für die Volltextsuche
Lesezeit: 11 Min. PersonalmarketingRecruitingStellenanzeigen
Seitdem ich diesen Blog betreibe, immerhin seit 2010, schreibe ich darüber, wie wichtig der Jobtitel (oder auch Stellentitel) für den Erfolg einer Stellenanzeige ist. Ohne guten Stellentitel keine Auffindbarkeit. Ohne Auffindbarkeit keine Bewerber. Eigentlich eine ganz einfache Gleichung. Das hindert Recruiter aber nicht an besonders kreativen Stellenbezeichnungen. Und wenn sich dann keiner bewirbt, ja Herrgott, dann liegt’s eben am Fachkräftemangel. Doch ist der Jobtitel wirklich so wichtig? Hat er in Zeiten von KI und einer sich immer schneller drehenden (Berufs-)Welt nicht langsam, aber sicher ausgedient? Gibt es nicht wichtigere Suchkriterien?
Sind die aktuellen Suchmöglichkeiten von Jobbörsen noch zeitgemäß?
Warum haben eigentlich so viele Unternehmen Probleme, ihre Stellen zu besetzen? Warum finden potenzielle Bewerber und Unternehmen so selten zusammen (obwohl das Potenzial eines Perfect Match gegeben wäre)? Sind die Suchfunktionen in Jobbörsen, Karriereportalen und unternehmenseigenen bzw. von ATS-Dienstleistern bereitgestellten Jobboards eigentlich noch zeitgemäß? Letzteres lässt sich glasklar mit einem “Nein” beantworten. Doch schauen wir einmal genauer hin.
Potenzielle Bewerber suchen nicht nach den kreativen Wortschöpfungen der Recruiter
Ein wesentlicher Grund dafür, dass Unternehmen und Bewerber nicht zusammenkommen, sind (neben inhaltlich wenig ansprechenden und an der Zielgruppe vorbeigehenden Stellenanzeigen) die Jobtitel bzw. Stellenbezeichnungen. Diese sind, wie ich es mantraartig seit Jahren immer wiederhole, entscheidend für die Auffindbarkeit. Und damit für Bewerbungen.
315.000 unterschiedliche Jobtitel. An einem Tag.
Tatsächlich zählte im Jahr 2016 die Jobbörse indeed an einem Durchschnittstag rund 315.000 unterschiedliche Stellentitel auf ihrem Portal. So viele verschiedene Berufe gibt es gar nicht. Wohl aber mehr oder weniger kreative und extrem generische Berufsbezeichnungen. Das ist wie bei den Geschlechtern: Da gibt es auch nur zwei, aber eine schier unüberschaubare Anzahl von Geschlechtsidentitäten. Ähnlich ist das mit den Stellenbezeichnungen, die gar nicht fancy oder generisch genug sein können. Und so wird aus dem Fensterputzer eben der “Vision Cleaning Engineer”, aus dem Förster der “Wildlife Control Operator”, aus dem Office Manager der “Powerpoint Ninja”, aus dem Hotelrezeptionisten die “Coole Nachteule” und aus dem Aktuar der “Referent Reservierung Spezial AVB/K“. Hinzu kommen Wortschöpfungen wie “Data Scientist als Fachfunktion (F4) im Bereich Audit Digital, AI & Data Analytics bei Corporate Audit”, “Sachbearbeiter*in (m/w/d) für Aufgaben im Zusammenhang mit den Stellenbesetzungen in den Kindertageseinrichtungen”, “SB Technik, Wartung+Pflege”, “Praxis-Fortzubildender Produktmarketing” oder “Nachwuchskräftegesamtkoordinator“.
Zu den generischen Lieblingen unter den Jobtiteln zählen in den Recruiting-Abteilungen bspw. “Mitarbeiter”, “weitere Mitarbeiter”, “Sachbearbeiter”, “Referenten”, “Projektmanager” oder “Recruiter”. Nicht zu vergessen sind die ebenfalls hoch im Kurs stehenden firmeninternen Abkürzungen.
Jobtitel enthalten in der Regel nicht die Begriffe, nach denen gesucht wird
Alle diese Stellenbezeichnungen haben eines gemeinsam: Ein potenzieller Bewerber würde nicht danach suchen. Die Begriffe, nach denen ein potenzieller Bewerber suchen würde, sind nicht im Jobtitel enthalten. Die Suchfunktionalität der meisten Jobbörsen (die in vielen Fällen nur den Stellentitel indexiert) ist nicht in der Lage, die Suchintention der Nutzer zu erfassen. In der Folge bleiben Stellen unentdeckt. Und Stellen unbesetzt.
Neue Berufsbezeichnungen und Jobprofile Ursache für unbekannte Jobtitel
Die OECD schätzt, dass in den nächsten zehn Jahren mehr als eine Milliarde Arbeitsplätze – fast ein Drittel aller Arbeitsplätze weltweit – durch Technologie verändert werden. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Jobtitel. Teilweise sind die kruden Wortschöpfungen der Recruiter also auch auf pure Verzweiflung zurückzuführen. Verzweiflung deswegen, weil immer mehr Jobs entstehen, die es bis dato nicht gab, wo das Kind aber irgendeinen Namen braucht. Die Hoffnung der Recruiter ruht dabei häufig auf den Jobbörsen: StepStone, indeed, Jobware, kimeta & Co. werden es dank cleverer Kategorisierung schon richten. Oder auch nicht. Denn sich ausschließlich darauf zu verlassen, wäre grob fahrlässig.
Stellenbezeichnungen, die niemand kennt
Neue Stellenbezeichnungen gibt es auch bei Ausbildungsberufen. Da heißen altehrwürdige Ausbildungsberufe auf einmal ganz anders, weil es einfach hipper oder (vermeintlich) zeitgemäßer klingt. Insbesondere wenn die Bezeichnung ganz aktuell ist, haben auch diese Stellen bezüglich der Auffindbarkeit ein Nachsehen. Werden diese doch weder von der Azubi-Jugend noch von den wichtigsten Multiplikatoren, den Eltern, gesucht. Schlicht und einfach, weil man sie nicht kennt, noch nie von ihnen gehört hat. Wenn dann Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben, war’s eben wieder der Fachkräftemangel.
Und so dauert es dann eben ein Weilchen, bis Jobprofile und Ausbildungsberufe bzw. der dazugehörige Jobtitel wie “Gestalter für immersive Medien”, “Medizinischer Technologe”, “Fachkraft Küche”, “Fachmann für Restaurants und Veranstaltungsgastronomie”, “Fahrzeuginterieur-Mechaniker”, “Entbindungspfleger”, “Prompt Engineer”, “Elektroniker für Gebäudesystemintegration”, “Head of Service Process Management” in der breiten Masse bzw. potenziellen Zielgruppe die nötige Bekanntheit erlangen.
Und dann sind da noch alte Hasen und Häsinnen, die irgendwann mal vor vielen Jahren in einen Beruf eingestiegen sind und die – weil sie aufgrund KI wegrationalisiert wurden – nun nach über 20 oder mehr Jahren das erste Mal wieder auf Jobsuche sind. Auch die werden Opfer der von vielen Unternehmen erfolgreich vorangetriebenen Bewerbervermeidungsstrategie.
Jobtitel spiegeln nur selten wider, was der Bewerber mitbringen soll
Wie schon oben beschrieben, suchen die wenigsten nach den kruden Jobtiteln, die sich so mancher Recruiter verzweifelt zusammenklöppelt. Nehmen wir mal zwei Beispiele aus der IT: Ein PHP-Entwickler, der nach “PHP” sucht, wird keine Jobs finden, die als “Softwareentwickler” ausgeschrieben sind, wenn der Begriff nicht im Jobtitel oder an anderer Stelle vorkommt – etwa in den Aufgaben oder den Anforderungen. Ein IT-Systemadministrator wird eine passende Stelle nicht finden, wenn diese als Netzwerkadministrator ausgeschrieben ist. Ein Projektmanager im E-Commerce wird sich wahrscheinlich einen Wolf suchen, bevor er unter all den generischen als “Projektmanager” ausgeschriebenen Stellen die richtige findet.
Und wer würde wohl gezielt nach Stellenbezeichnungen wie “Cloud Consultant”, “Growth Hacker”, “People & Culture Manager”, “AI Specialist”, “Big Data Developer”, “Delivery Lead”, “Customer Success Specialist” oder “Enterprise Account Executive” suchen?
Jobbörsen und E-Recruiting-Systeme kennen nur die Stellenbezeichnung
Schwierig vor all dem oben geschilderten wird es dann für den potenziellen Bewerber, die passenden Jobs zu finden. Insbesondere die Stellenportal-Lösungen von E-Recruiting-Anbietern sind dabei wahre Bewerbervermeider. Auch die “klassischen” Jobbörsen können sich nicht mit Ruhm bekleckern. Während es zwar mittlerweile einige ATS-Anbieter gibt, die mit einer (funktionierenden) Volltextsuche mehr als die Suche nach dem Jobtitel ermöglichen (was allerdings eher die Ausnahme als die Regel darstellt), ist dies bis dato (Juli 2023) bei keiner einzigen der (großen) Jobbörsen in Deutschland möglich. Zwar bieten sowohl StepStone als auch kimeta eine Möglichkeit, die Jobs nach Kompetenzen zu filtern, eine zufriedenstellend funktionierende Volltextsuche, die den gesamten Inhalt der Stellenanzeige, insbesondere bei der Kombination mehrerer Begriffe, berücksichtigt, gibt es aber trotz aller KI-Versprechungen nicht.
Jobbörsen kennen nur Suche nach Stellentiteln, keine Volltextsuche
Zudem können die angebotenen Auswahlmöglichkeiten der Kompetenzfelder kaum das abdecken, was es an Kompetenzen oder “Skills” gibt. Das Businessnetzwerk und mittlerweile zur Mega-Meta-Jobbörse und zum Business-Facebook mutierte LinkedIn zählt beispielsweise über 40.000 verschiedene dieser Skills bei seinen Mitgliedern. Diese lassen sich schwerlich via Filter abbilden. Über eine Volltextsuche wäre der Zugang deutlich einfacher, jeder, der nach entsprechenden Begriffen sucht, könnte fündig werden. Und deutlich schneller zu einem passenden Job gelangen, als das derzeit bei einer Suche nach Stellentitel, Branche und Standort möglich ist.
Clevere Matching-Algorithmen pfeifen auf den Jobtitel
Die Schwierigkeit (oder sollte ich sagen: das Unvermögen? Nein, das wäre zu harsch. Denn es gibt tatsächlich diverse (s. o.) Stolpersteine, die es nahezu unmöglich machen, Stellentitel zu formulieren, nach denen auch gesucht wird), dass Stellen aufgrund unpassender Stellentitel nicht aufgefunden werden, machen sich findige Recruiting-Dienstleister wie etwa hijob zunutze. Auf dieser Plattform lädt ein Bewerber seinen Lebenslauf hoch, dieser wird wiederum mit den Stellenanzeigen der Unternehmen gematcht und auf Basis von Lebenslauf und Anforderungsprofil (nicht des Stellentitels) bekommt ein Bewerber dann Jobs angeboten, nach denen er im Zweifel nicht einmal im Traum gesucht hätte. Auch der StepStone-Ableger totaljobs (UK) versuchte mit KI-Chatbots, den Interessenten zum Bewerber zu machen und ihm Jobs vorzuschlagen, die er vor Beginn der Jobsuche nicht einmal auf dem Zettel hatte. Deutsche StepStone-Nutzer sollen bei der Jobsuche von ChatGPT profitieren können.
Hat der Jobtitel also ausgedient?
Natürlich hat der Stellentitel nicht ausgedient. Dafür haben wir einen viel zu heterogenen Arbeitsmarkt mit unterschiedlichsten Jobs, Unternehmen, Branchen, Prozessen, Marktteilnehmern und Entwicklungen. Während altbewährte “Standard-Stellentitel” in vielen Fällen noch gut funktionieren, ist es bei besonders fancy Jobtiteln nicht der Fall. Unternehmen tun gut daran, ihre Mitarbeiter nicht anhand von Jobtitel bzw. Stellenbezeichnung und Berufserfahrung zu suchen, sondern auf Basis der Kompetenzen, Stärken, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Talente (ich fasse alle die Punkte im Folgenden unter dem Begriff “Skills” zusammen) potenzieller Bewerber.
Eine Suchmöglichkeit nach Skills führt zu mehr und passenden Bewerbungen
Das aber setzt voraus, dass potenzielle Bewerber auch die Möglichkeit haben, genau danach zu suchen. Nur bedingt hilfreich scheint mir hier die Möglichkeit, über Filter verschiedene Kategorien auszuwählen – viel zu unterschiedlich sind die individuellen Profile (LinkedIn zählt über 40.000 dieser Skills, siehe oben), sodass dort längst nicht alle Aspekte abgebildet werden könnten. Viel sinnvoller scheint mir eine gut funktionierende Volltextsuche, die es ermöglicht, den kompletten Inhalt der Stellenanzeige zu durchforsten und als (gewichtetes und möglichst plausibles) Suchergebnis auswirft.
Das Problem bleibt aber bestehen, dass das wiederum nur dann zufriedenstellend funktioniert, wenn alle relevanten Anforderungen im Stellenprofil berücksichtigt werden. Und daran scheitert es dann wieder, wie ein Blick auf die zumeist generisch formulierten Stellenanzeigen respektive Anforderungsprofile offenbart. Oder anders gesagt: Shit in, Shit out.
Warum Skills das wichtigere Suchkriterium sind
Doch wenden wir uns einmal den Skills zu. Ich verstehe darunter in diesem Falle Fertigkeiten, Fähigkeiten, Kompetenzen, Talente, Qualifikationen und Stärken. Also alles, was ein Mensch kann – wie auch immer er zu diesen Eigenschaften gelangt ist. Ein Mensch, der in Beruf X tätig war, die und die Stärken mitbringt, um dieses oder jenes Problem mit diesem oder jenem Tool zu lösen, wird dies auch in seinem nächsten Job können. Das Problem – wie oben hoffentlich hinreichend geschildert – ist, dass er viele dieser Stellen nicht finden wird, weil der Fokus (bei Jobbörsen und im Recruiting) zu sehr auf dem Jobtitel liegt – und eben nicht auf dem, was ein Mensch kann. Ein grundsätzliches Problem im Recruiting.
Unternehmen achten nur auf Jobtitel und Erfahrung
Nehmen wir an, ein Unternehmen möchte eine Stelle als Nachwuchskräftegesamtkoordinator besetzen und schreibt diese entsprechend aus. Viele Unternehmen werden in der Regel ausschließlich die Bewerber in die engere Auswahl nehmen, die bereits Erfahrung als Nachwuchskräftegesamtkoordinator haben und bei der Suche nach einem Nachwuchskräftegesamtkoordinator sowohl die Stelle als “Nachwuchskräftegesamtkoordinator” ausschreiben als auch nach Bewerberprofilen von Menschen suchen, die bisher als Nachwuchskräftegesamtkoordinator tätig waren. Klar, grundsätzlich ein vernünftiger und sinnvoll erscheinender Ansatz, da diese Kandidaten wahrscheinlich viele der Fähigkeiten besitzen, die gesucht werden.
Unternehmen schöpfen möglichen Talentpool nicht aus
Abgesehen davon, dass auf der einen Seite Jobsuchende möglicherweise nur nach diesem Jobtitel suchen, weil sie a) eben gerade Nachwuchskräftegesamtkoordinator waren bzw. sind und b) gar nicht auf die Idee kommen, nach äquivalenten Stellen zu suchen, weil ihnen nicht bewusst ist, dass ihre Skills auch in anderen Rollen gefragt sein könnten (und sie die Erfahrung gemacht haben, dass HR bei der Auswahl sehr einseitig vorgeht und eben eher auf Erfahrungen und Jobtitel als auf die wesentlichen Eigenschaften schaut), schränken Unternehmen auf diese Weise ihren Talentpool stark ein.
Kreis potenzieller Kandidaten ließe sich um Vielfaches erhöhen
Arbeitnehmer in ähnlichen Berufen haben vielleicht noch nie eine Position als Nachwuchskräftegesamtkoordinator innegehabt, aber sie verfügen über viele der gleichen oder ähnlichen Skills, die das Unternehmen sucht. Wenn Unternehmen (bzw. Jobbörsen) es ermöglichen würden, über die Suchfunktion nach entsprechenden Skills zu suchen, anstatt nur nach Jobtitel, Einstiegslevel, Tätigkeitsbereich und Standort, und wenn Unternehmen darüber hinaus stärker auf Fähigkeiten, Fertigkeiten, Talente, Stärken und Kompetenzen und weniger auf Berufserfahrung achten würden, ließe sich der Kreis möglicher Kandidaten um ein Vielfaches vergrößern.
Volltextsuche macht Jobs auffindbar, die bisher aufgrund der Jobtitel unsichtbar blieben
Vor diesem Hintergrund wäre eine Volltextsuche, idealerweise in Kombination mit einer Autosuggest-Funktion, vermutlich zielführender als jede Suche nach Jobtiteln und würde Unternehmen und Bewerber schneller und besser zusammenbringen.
Skill-basiertes Recruiting erfordert Umdenken. Jetzt.
Das wiederum würde voraussetzen, dass ein Umdenken im Recruiting erfolgt. Und davon scheinen wir wiederum meilenweit entfernt, wie der LinkedIn Skill-Report zeigt: Bisher nutzen nur 40 Prozent der Personalverantwortlichen auf LinkedIn ein Skill-basiertes Recruiting. Diese wiederum sind sehr erfolgreich: Die Wahrscheinlichkeit, passende Kandidaten zu finden, ist laut LinkedIn Skills First Report um 60 Prozent größer, als bei denjenigen, die nicht auf Skill-based Recruitings setzen.
Wie viele Unternehmen respektive Jobbörsen auf Volltextsuche setzen, ist mir nicht bekannt. Klar sollte aber sein, dass ein Wandel hier dringend nottut.
Recruiter
Christian B. Rahe
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Recruiter
Christoph Metz