Recruiting-Clip mit Gender-Fail: Können nur Männer Lidl?

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Zufälle gibt’s: da schaue ich also gerade den Film “Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit” (Originaltitel “On the Basis of Sex”) – ein Spielfilm über die jüngst verstorbene Richterin am Supreme Court und Kämpferin für Frauenrechte Ruth Bader Ginsburg, deren Tod bzw. deren Nachbesetzung die USA zurück in die Steinzeit führen wird -, da wird mir auf LinkedIn ein Recruiting-Clip von Lidl in die Timeline gespült. Ein Clip, der zeigt, dass Führungspositionen bei Lidl offenbar Männern vorbehalten sind und Frauen an den Herd, aber zumindest nicht auf die Karriereleiter, gehören.

Noch unter der Einwirkung des Films stehend, stieß mir der Clip noch übler auf, als er es wohl sonst getan hatte. Es scheint, als hätte Lidl nichts vom Sparkassen-Birkenfeld-Desaster gelernt. Bei diesem Gender-Fail von 2013 hieß es auf einem Plakat: “Gestern noch in der Schule – heute schon auf der Karriereleiter”. Zu sehen war zwei junge Männer, die sich den Spitzenplatz auf der Leiter teilten. Zu ihren Füßen: junge Frauen, die den Sprung mal gerade maximal auf die unterste Sprosse geschafft hatten. Wenn überhaupt.

Von der Sparkasse Birkenfeld nichts gelernt

Recruiting-Clip mit Gender-Fail: Können nur Männer Lidl? 1 KSK Birkenfeld Kategorie abschreckendste Stellenanzeige

Der Recruiting-Clip von Lidl folgt im Grunde genau dem gleichen Muster. Herr der Schöpfung hat die (Anzug-)Hosen an, Frau findet sich in der Rolle der Statistin wieder.

Nicht lange fackeln, sondern brennen - Recruiting-Genderfail von Lidl

“Als Verkaufsleiter (m/w/d) mehr wollen und mehr möglich machen als woanders. Schnell viel Verantwortung übernehmen und wissen, worauf es ankommt. Kannst du Lidl? Bewirb dich jetzt auf jobs.lidl.de”,

so heißt es im dazugehörigen Post auf LinkedIn. Ergänzend müsste es wohl heißen “Aber nur, wenn du ein Mann bist”.

Können nur Männer Lidl?

Denn auch wenn die Frau links im Bild zwar Hosen anhat, schafft diese es eben nicht auf die Leiter respektive die Treppe, die die “Verkaufsleiter” visualisieren soll. Diese erklimmt souverän – natürlich ein Mann (in diesem Falle zwar nicht alt, aber natürlich weiß). Seine Kompetenz und die Übernahme von Verantwortung signalisieren nicht nur der professionelle Blick aufs Handy, sondern auch das akkurat gescheitelte Haar und das unter den Arm geklemmte Klemmbrett. Der Mann, weiß es eben nicht nur, worauf es ankommt, der kann auch Lidl!

Die bevorzugte Rolle des Mannes wird auch in dem krampfhaften, um Pseudo-Diversität bemühte, “(m/w/d)” deutlich. Klar, dass da m, wie männlich markant, dreifach gebrannt, vorne steht. Ein Anfang wäre es gewesen, das w dem m voranzustellen und damit zu signalisieren, dass Frauen bevorzugt werden (was dann wieder eine klassische Text-Bild-Schere gewesen wäre. Schließlich ist von einer Frau als Verkaufsleiterin auf der Verkaufsleiter weit und breit nichts zu sehen). Wobei ich ja an anderer Stelle mehrfach breit dargelegt hatte, warum die Darstellung des “(m/w/d)” absoluter Humbug ist und es wesentlich charmantere Formen der “geschlechtsneutralen” Darstellung gibt.

Apropos charmant: Im Sinne der Gleichberechtigung und der Chancengleichheit wäre es auch charmant gewesen, der jungen Dame einen Platz auf der Treppe zu gewähren, anstatt ihr die Rolle der unterlegenen untergebenen und dem Herrn dienenden Sachbearbeiterin zuzuweisen.

Lidls Verkaufsleiter-Genderfail_captured

Irgendwie passt das alles nicht so recht zu dem, was man auf der Lidl-Karriere-Website unter dem Punkt “Chancengleichheit” nachlesen kann. Da heißt es (inklusive Rechtschreibfehlern, fett hervorgehoben habe ich):

“Wir schätzen die Fähigkeiten und Ideen unserer Mitarbeiter […]  Für uns ist es selbstverständlich, allen Respekt entgegenzubringen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Religion. Jeder hat bei uns die gleichen Chancen, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln und jeder erhält das gleiche Gehalt bei gleicher Position. Und Frauen in Führungspositionen ist bei uns keine Seltenheit: 55% unserer Filialen werden beispielsweise von Frauen geführt.”

Lidl behandelt Frauen genauso wie männliche Kollegen

Und es werden nicht nur 55 % der Filialen von Frauen geführt, nein es sind sogar 73,4 % der Beschäftigten bei Lidl dem weiblichen Geschlecht zugehörend. Drei davon sind sogar in der Geschäftsleitung vertreten. Und die werden sogar, Zitat, “genauso behandelt wie ihre männlichen Kollegen“. Na ja, alles andere wäre ja auch noch schöner… Grundsätzlich spiele es in allen Positionen bei Lidl keine Rolle, welches Geschlecht man habe, verrät uns Janine ohne Nachnamen aus der Geschäftsleitung noch auf der Lidl-Karriereseite.

So haben “Frauen zum Beispiel einen anderen Blick auf Themen als Männer.“, heißt es dort. Welchen Blick sie wohl auf den Clip hätten? Zumindest entsteht der Eindruck, dass dieser oben auf die Spitze gerichtet sein muss, nämlich auf den Verkaufsleiter, der dann eben doch männlich ist – und nicht weiblich. Auch wenn die Motive der Stellenanzeigen zum Verkaufsleiter wiederum (ausschließlich) weibliche Modelle zeigen und vollkommen sinnfrei doppelt gegendert wird (Verkaufsleiter *in (m/w/d)), wirkt nach dem missglückten Clip die Aussage, Frauen hätten bei Lidl die gleichen Chancen wie Männer, eher wie ein blutleeres Lippenbekenntnis.

Das bestätigt auch ein Artikel in der Zeit, wonach es bei Lidl nur vereinzelt Frauen im Topmanagement gibt. Männer werden schneller befördert (was ja wunderbar der Clip widerspiegelt). Das Betriebsklima bei Lidl insgesamt sei frauenfeindlich. Männern schreibt man Kompetenz zu und Frauen Soft Skills wie Kommunikation (auch das zeigt der Clip eindrucksvoll).

Fördert Lidl frauenverachtende Werbung mehr als Frauen selbst?

Es wäre nicht das erste Mal, dass Lidl eher frauenverachtende Werbung veröffentlicht. Für die “Loch ist Loch”-Kampagne erntete der Discounter seinerzeit zurecht einen fetten Shitstorm. Und dann dieser fragwürdige Recruiting-Clip? Und das,  obwohl Lidl die Women’s Empowerment Principles unterzeichnet hat? Insbesondere von Punkt 1 (Etablierung einer gleichstellungsfreundlichen Führungskultur), Punkt 2 (Faire Behandlung aller Männer und Frauen im Erwerbsleben – Einhaltung und Förderung der […] Nichtdiskriminierung und Punkt 5 (Förderung des Unternehmertums von Frauen […] Respektierung ihrer Würde bei allen Marketingmaßnahmen) ist nicht viel zu sehen. Nun ja, unterzeichnet heißt ja nicht, dass man sich dran halten muss. Aber für die PR macht sich die  Unterzeichnung solcher Prinzipien ohne jeden Zweifel immer gut.

Fast hat man das Gefühl, Ruth Bader Ginsburg und Alice Schwarzer hätten den Kampf gegen die alten weißen Männer doch verloren. Schade, dass es die Goldene Runkelrübe nicht mehr gibt. Dem Lidl-Clip wäre ein Platz auf dem Sieger-Treppchen sicher gewesen.

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Moin! Ich bin Henner Knabenreich. Seit 2010 schreibe ich hier über Personalmarketing, Recruiting und Employer Branding. Stets mit einem Augenzwinkern oder den Finger in die Wunde legend. Auf die Recruiting- und Bewerberwelt nehme ich auch als Autor, als Personalmarketing-Coach, als Initiator von Events wie der HR-NIGHT oder als Speaker maßgeblich Einfluss auf die HR-Welt. Sie möchten mich für einen erfrischenden Vortrag buchen, haben Interesse an einem Karriere-Website-Coaching, suchen einen Partner oder Berater für die Umsetzung Ihrer Karriere-Website oder wollen mit bewerberzentrierten Stellenanzeigen punkten? Ob per E-Mail, XING oder LinkedIn - sprechen Sie mich an, ich freue mich auf Sie!
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