Azubi-Recruiting im Zeichen der Corona-Krise

Lesezeit: 8 Min. AusbildungsmarketingPersonalmarketingRecruiting

In Deutschland hat die duale Ausbildung Tradition“, so heißt es auf der Themenseite Ausbildung des DIHK. Und weiter: “Unternehmen sorgen mit einer Ausbildung für genau die Fachkräfte, die sie später selbst benötigen.” Tatsächlich aber braucht es für eine gute Ausbildung auch gute Rahmenbedingungen – “für Unternehmen und Jugendliche gleichermaßen“. Und natürlich auch gutes Ausbildungsmarketing, über das potenzielle Kandidaten überhaupt erst auf das Unternehmen aufmerksam werden und gutes Azubi-Recruiting, um beste Einstellungsbedingungen zu gewährleisten. Aufgrund der Corona-Krise sind derzeit aber sowohl die Rahmenbedingungen für eine gute Ausbildung als auch ein (gutes) Ausbildungsmarketing akut gefährdet.

Informationen für Azubis und Ausbildungsbetriebe bei den IHK Mangelware

Abgesehen davon, dass auf einer zentralen Plattform für Rat suchende Unternehmen keinerlei Informationen über Ausbildung und Ausbildungssuche im Kontext der Corona-Pandemie veröffentlicht werden, fällt mir ein weiterer Aspekt sofort ins Auge: Auf der Themenseite Ausbildung werden ausschließlich Jugendliche als Zielgruppe adressiert. Das zeigt eine engstirnige Betrachtung des Themas, die sich auch in den ausbildenden Unternehmen fortpflanzt (in diesem Kontext verweise ich gerne auf das Kapitel 4.1.1 Ausbildung (Schüler) in meinem Buch Karriere-Websites mit Wow!-Effekt).

Keinen einzigen Hinweis finden informationshungrige Unternehmen nicht nur beim DIHK nicht, auch andere IHK lassen ihre Mitglieder und Azubi-Bewerber diesbezüglich im Regen stehen.

Keine Klarheit für Azubi-Bewerber auch in der IHK Lehrstellenbörse

Besonders fatal: die Leerstellenbörse der IHK als zentrales Portal für potenzielle Azubi-Bewerber offenbart ebenso einen Mangel an Informationen für den Nachwuchs. Übrigens, nein es handelt sich bei “Leerstellenbörse” keineswegs um einen Schreibfehler. Das, was hoffnungsfrohe an einer Ausbildung interessierte Jugendliche in der IHK Lehrstellenbörse antreffen, sind im wahrsten Sinne des Wortes “Leerstellen”: Inhaltsleere Informationen über die Ausbildungsinhalte, noch weniger vorhandene Informationen über den Ausbildungsbetrieb selbst und selten einen Ansprechpartner oder warum man sich nun gerade für diesen Ausbildungsbetrieb entscheiden sollte. Alles andere also als die oben genannten “guten Rahmenbedingungen”.

Unternehmen halten auch in Zeiten von Corona an Ausbildung fest

Tatsächlich scheinen Unternehmen aber auch in Corona-Zeiten an einer Ausbildung festhalten zu wollen (was auch nur klug ist, siehe unten). Das zumindest vermittelt eine aktuelle Umfrage der IHK Düsseldorf: 77 Prozent der Befragten geben an, gezielt nach einem oder mehreren Auszubildenden für das Ausbildungsjahr 2020 zu suchen. „Die Ausbildungsbereitschaft unserer Unternehmen ist auch in Zeiten von Corona hoch“, mit diesen aufmunternden Worten fasst Jens Peschner, Leiter Berufsbildungsmarketing und -projekte der IHK Düsseldorf, die Ergebnisse der Blitzumfrage zusammen. Angst vor Corona müssen Bewerber im Bewerbungsprozess nicht haben, denn 72 Prozent der Unternehmen wollen dazu “digitale Vorstellungsgespräche” nutzen.

Peschner empfiehlt “Ausbildungssuchenden dringend, die Hände nicht in den Schoß zu legen, sondern sich jetzt aktiv um einen Ausbildungsplatz zu bewerben.” Ich hingegen empfehle Ausbildungsbetrieben, die auch zu Zeiten von Corona (strategisch vorausschauend denkend) ausbilden, dringend, dies auch zu kommunizieren und jegliche Unsicherheit, die potenzielle Azubis nun plagt, zu zerstreuen.

Keine Infos über den Umgang mit Corona in den Ausbildungsangeboten

Dieser Appell scheint mehr als notwendig. Denn für potenzielle Kandidaten ist es nicht ersichtlich, dass Unternehmen in der aktuellen Lage ausbilden. Wie auch bei den Stellenanzeigen für ausgebildete Fachkräfte schweigen sich die meisten Unternehmen dazu aus. Wer und wie viel Unternehmen das sind, die trotz Corona ausbilden, lässt sich indes schwer ermitteln, da die Suchfunktionen von Ausbildungsportalen, wie Azubiyo, aubi-plus, meinestadt oder auch ausbildung.de schlichtweg als unterirdisch zu bewerten sind. Von der Jobbörse der Arbeitsagentur ganz zu schweigen. Eine Stichwortsuche, etwa nach Ausbildungsinhalten, Neigungen oder Kompetenzen, ist hier nämlich nicht möglich.

Lediglich der Stellentitel oder die Kategorisierung wird bei einer Suchanfrage bei den einzelnen Leerstellenbörsen Lehrstellenbörsen berücksichtigt. Ausnahme ist lediglich die Ausbildungsplatzbörse azubi.de. Hier finden sich aber lediglich in sieben (7!) der zum Zeitpunkt der Recherche 49.570 Ausbildungsplätze auflistenden Plattform Hinweise wie dieser:

Azubi-Recruiting: Hinweise bezüglich Corona finden sich bei Ausbildungsstellen nur selten

Wie im Kontext der Ausbildung mit Corona umgegangen wird, bleibt Azubis verborgen

Hinweise wie dieser “Auch während Corona sind Kennenlerngespräche Kontaktlos über Skype etc. möglich.” sind (inkl. Rechtschreibfehler) die Ausnahme. Ob Unternehmen ihre Bewerbungsgespräche nach wie vor direkt vor Ort, nur mit entsprechenden Schutzmaßnahmen oder per Telefon-/Video-Interview führen oder die Vorstellungsgespräche gar auf später verschoben werden, bleibt einem potenziellen Azubi-Bewerber in den meisten Fällen verborgen.

Auch, ob die Ausbildung möglicherweise im Homeoffice erfolgt, ob es virtuellen Unterricht per Videokonferenz, Selbstlernaufgaben, virtuelle Fragestunden oder Video-Tutorials gibt und eine Betreuung des Azubis mithilfe von Telefon-Gesprächen oder möglicherweise sogar gar nicht erfolgt, erfährt der Betroffene wohl maximal auf Anfrage, nicht aber auf den Karriereseiten oder in Stellenanzeigen.

Vergesst die Auszubildenden nicht!

Dabei warnt Heike Solga, Direktorin der Abteilung Ausbildung und Arbeitsmarkt beim Wissenschaftszentrum Berlin ganz unmissverständlich: „Vergesst die Auszubildenden nicht!“ Das betrifft nicht nur jene, die aktuell in der Ausbildung sind und nicht wissen, wann und wie der Berufsschulunterricht wieder aufgenommen wird, das sind eben auch jene, die derzeit einen Ausbildungsplatz suchen und die mit der Unsicherheit leben müssen, ob ein Betrieb überhaupt ausbildet und wann und wie Tests und Bewerbungsgespräche stattfinden. Nehmen wir die Zahlen von oben, so sind es gerade einmal 0,01 Prozent der ausbildenden Unternehmen, die im Rahmen ihres Ausbildungsmarketings potenziellen Azubis diese Unsicherheit nehmen.

Steht die Duale Ausbildung vor dem Kollaps?

So fragt sich auch die Ausbildungsexpertin Felicia Ullrich durchaus zu Recht, ob die Duale Ausbildung gar vor dem Kollaps stehe. Zwar sei die Nachfrage nach Online-Tests für Auszubildende vor dem Hintergrund der Corona-Krise um 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, so die Mitgründerin des Anbieters für Online-Testverfahren, u-form Testsysteme. Auch die Nachfrage neuer Kunden nach Online-Testverfahren habe sich um ein Drittel erhöht.

Azubi-Recruiting gerät ins Stocken

Dennoch gerät in vielen Unternehmen derzeit das Azubi-Recruiting ins Stocken. Viele Unternehmen reduzieren ihre Ausbildungsplätze teilweise auf null, andere Unternehmen erhalten aufgrund der allgemeinen Verunsicherung und fehlender Kommunikation mit potenziellen Kandidaten im Speziellen, weniger Bewerbungen. Darüber hinaus sind Ausbildungsbetriebe in vielen Fällen offenbar damit überfordert, ihre Einstellungsverfahren auf kontaktlose Varianten, wie etwa digitale Bewerbungsgespräche, umzustellen oder fahren ihre Bemühungen komplett zurück. “Für Ausbildungsbetriebe hat der Stillstand in der Personalgewinnung fatale Folgen”, konstatiert Felicia Ullrich, “denn sie können nicht einfach nach ein paar Monaten Pause wieder anfangen.

Im Gegensatz zum “klassischen” Recruiting gibt es im Azubi-Recruiting nämlich einige Besonderheiten. Etwa der feste Ausbildungsbeginn, der sich aus dem Start der Berufsschulen im September eines Jahres ergibt. Auszubildende, die nicht zum 1.8. oder spätestens zum 1.9. eines Jahres eingestellt werden, sind für das Ausbildungsjahr dann so gut wie verloren. Dieser Rückstand sei kaum wieder aufzuholen, sodass in der Folge die Unternehmen auf ihren Ausbildungsplätzen für 2020/2021 sitzen bleiben. Und so warnt auch der Präsident der Handwerkskammer Hans Peter Wollseifer zu Recht davor, dass „jeder Azubi, der zukünftig nicht mehr ausgebildet werden kann, den Fachkräftemangel massiv verschärfen wird“.

Schon vor Corona war die Lage des Lehrstellenmarktes nicht unproblematisch, wie der neue nationale Berufsbildungsbericht unterstreicht.

Ohne Azubis geht es nicht

Dank Covid-19 verschärft sich das Ganze nun. Jetzt hängt nicht nur ein kompletter Ausbildungsjahrgang in der Luft, Unternehmen vertun aufgrund eingeschränkter oder eingestellter Aktivitäten zudem die Chance, die “händeringend” gesuchten Nachwuchskräfte für sich zu gewinnen. In der Folge fehlen die Azubis, die jetzt nicht eingestellt werden, in drei Jahren als Fachkräfte, bringt es Ullrich auf den Punkt.

Nicht-akademische Fachkräfte nicht nur in systemrelevanten Berufen wichtig

Das bleibt nicht ohne Folgen: Gerade jetzt wird nämlich deutlich, dass insbesondere die sogenannten “systemrelevanten” Unternehmen wie Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser, Hersteller von medizintechnischen Produkten, Logistikdienstleister oder Supermärkte nicht ohne eine große Zahl nicht-akademischer Fachkräfte möglich sind. Aber auch allen anderen Unternehmen sei geraten, langfristig zu denken – schließlich jammert ein Großteil doch schon seit Jahren darüber, keine geeigneten Azubis zu finden (was in der Regel an mangelnden Aktivitäten und überzogenen Anforderungen der Unternehmen liegt).

Lockdown im Azubi-Recruiting unbedingt vermeiden

Auch durch die Corona-Krise besonders hart betroffene Branchen, wie Hotellerie und Gastronomie, Touristik oder Automobil- und Zuliefererindustrie werden künftig nicht auf gut ausgebildete Fachkräfte verzichten können. Und der Bewerbermarkt ist hart umkämpft: So zeigen die Ergebnisse der noch unveröffentlichten „Azubi-Recruiting Trends 2020“, dass aktuell jeder Azubi-Bewerber im Durchschnitt rund drei Ausbildungsangebote erhält. Azubis haben demzufolge die freie Wahl beim potenziellen Wunsch-Ausbildungsbetrieb und werden demzufolge auch nach Corona schwer zu rekrutieren sein.

Und nicht nur das, auch die  Einstellungs-Verluste aus dem Jahr 2020 werden in der Folge nicht ohne Weiteres auszugleichen sein. “Ein “Lockdown im Azubi-Recruiting” hätte fatale Auswirkungen für die gesamte Volkswirtschaft”, warnt Ullrich, deshalb sei selbst ein temporärer Lockdown in der Gewinnung von Azubis unbedingt zu vermeiden. Andernfalls fehlen aufgrund der Versäumnisse genau die Fachkräfte, die die Unternehmen später selbst benötigen.

Jugendliche machen sich Gedanken über die Zukunftssicherheit ihrer Ausbildungsberufe

„Hast Du Dir bei der Entscheidung für Deinen Ausbildungsberuf Gedanken darüber gemacht, ob es diesen Beruf auch noch in Zukunft geben wird?“ Auf diese Frage antworten 75,3 Prozent der 5.754 an der Studie Azubi-Recruiting Trends teilgenommenen Jugendlichen klar und deutlich mit “Ja”.

Schön wäre es, wenn Ausbildungsbetriebe die Bedürfnisse und Erwartungen ihrer potenziellen Bewerber wahrnehmen und darauf eingehen würden. Davon sind wir derzeit aber scheinbar meilenweit entfernt. Ich gehe davon aus, dass auf die Frage “Haben Sie sich bei der Ansprache von Azubis Gedanken darüber gemacht, wie Sie sie trotz Corona für sich gewinnen können und wie Sie ihnen die Unsicherheit nehmen?” wahrscheinlich 98,7 Prozent mit “Nein” antworten würden. Tun Sie mir – und Ihren Azubis respektive Bewerbern – einen Gefallen und beweisen Sie das Gegenteil.

Corona-Stimmungsbarometer und Recruiting-Talk

Wie es aktuell tatsächlich um die Ausbildung respektive Ausbildungsplatzsuche im Kontext der Corona-Krise bestellt ist, soll eine Blitzumfrage unter Ausbildungsbetrieben und Azubi-Bewerbern ermitteln. Ich kann nur jeden ermuntern, daran teilzunehmen und bin gespannt auf die Ergebnisse!

Das Corona-Stimmungsbarometer erreichen Sie unter https://testsysteme.de/Studie oder für die Azubis unter https://ausbildungsstudie.de

Seien Sie auch gespannt auf den Recruiting-Talk am 7. Mai von 13.00 – 14.00 Uhr: Hier diskutieren Ute Neher (Telekom), Annina Hering (indeed), Wolfgang Brickwedde (ICR) und ich über den “Arbeitsmarkt in der Corona-Krise – wie hat er sich geändert, wer sucht noch und wie schwierig ist das jetzt?”. Hier geht’s zur Anmeldung.

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Ausbildungsvideos, die die GenZ will | Trends für die Ausbildung und Lehre

[…] Unternehmen. Leider sind diese nur vereinzelt zu finden und an dieser Stelle möchte ich auf den Artikel von Henner […]
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Moin! Ich bin Henner Knabenreich. Als Recruiting-Aktivist und Arbeitgebermarkenauftrittsoptimierer helfe ich Unternehmen, mit einer wertschätzenden und menschenzentrierten Ansprache passende Mitarbeiter zu finden. Mein Fokus: Karriereseiten, Stellenanzeigen und eine Bewerbungsarchitektur, die aus Interessenten Bewerber macht. Mein Wissen teile ich auch als Speaker, Personalmarketing-Coach, Berater und als Fachbuchautor der weltweit ersten Bücher über Karriereseiten und Google for Jobs. Ich hinterfrage den Status quo, lege gern den Finger in die Wunde und sage, was ich denke – und nicht, was alle hören wollen. Sie möchten mich für einen erfrischenden Vortrag buchen, eine wirklich funktionierende Karriereseite aufbauen, suchen einen Sparringspartner für Employer Branding oder wollen mit bewerberzentrierten Stellenanzeigen punkten? Dann kontaktieren Sie mich gern per E-Mail oder LinkedIn – ich freue mich auf Sie!
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