06. Dezember 2016
kununu auf Stimmenfang: Weichgespült und stärker als jeder Betriebsrat
Lesezeit: 6 Min. Employer BrandingHR
Vor Kurzem schrieb ich noch über den Stellenwert von kununu bei Bewerbern respektive Arbeitgebern. Was die Ergebnisse der Social Media Personalmarketing Studie 2016 in diesem Kontext so hervorbringen, ist schon interessant. Interessant ist aber auch, wie kununu versucht, Stimmen respektive Bewertungen einzufangen. Und da scheint fast jedes Mittel recht…
kununu ist Suaheli und steht für unbeschriebenes Blatt. Ein unbeschriebenes Blatt sind viele der Unternehmen für ihre potenziellen Mitarbeiter tatsächlich. Mittlerweile sind zwar seit Gründung im Jahr 2007 viele Blätter beschrieben worden, aber um sich als Bewerber einen umfassenden Eindruck über einen potenziellen Arbeitgeber machen zu können, sind es noch relativ wenige. Zumindest, wenn man einmal die Anzahl der Bewertungen in ein Verhältnis zu den bewerteten Unternehmen setzt. Aktuell gibt es “über 1.404.000 Bewertungen zu rund 287.000 Unternehmen.” bzw. “bereits 1.407.000 authentische Erfahrungsberichte über Gehalt, Betriebsklima und Bewerbungsprozesse zu 288.000 Unternehmen“.
Relevanz von Arbeitgeberbewertungsportalen
Egal, für welche Zahl Sie sich entscheiden: Im Durchschnitt macht das (sehr großzügig gerechnet) 5 Bewertungen pro Unternehmen. Klar, bei einem Unternehmen mit 5 Mitarbeitern sind 5 Bewertungen exorbitant viel. Aber ein Unternehmen wie bspw. Siemens mit alleine 114.000 Mitarbeitern in Deutschland wurde nicht einmal von 2 Prozent seiner Mitarbeiter bewertet. Wobei das bei größeren Unternehmen ohnehin immer so eine Sache ist und die Bewertungen immer im Kontext zur Abteilung bzw. zum Bereich gesehen werden müssen.
Laut einer von kununu beim Branchenverband BITKOM in Auftrag gegeben “Studie” unter 803 Befragten ab 14 Jahren lesen 29 Prozent Bewertungen von Arbeitgebern. Wiederum drei Viertel davon lassen sich durch diese Erfahrungsberichte in ihrer Job-Entscheidung beeinflussen.
Wie schon oben geschildert, klingen über 1,4 Millionen Bewertungen erst einmal viel. Man muss dazu wissen, dass es sich dabei um alle jemals auf kununu aufgelaufenen Bewertungen handelt. D. h. hier fließen die Bewertungen aus mittlerweile 10 Jahren ein seit Going Live im Juni 2007. Gut, das ist kein kununu-spezifisches Problem, das ist ein Problem eigentlich aller Bewertungsportale. Trotzdem. Oder gerade deswegen. Es müssen mehr und es müssen aktuelle Bewertungen her.
Mitarbeiter als “Image-Builder”?
Und diese Problematik mit den fehlenden Bewertungen hat kununu natürlich auch erkannt. Und tut daher momentan scheinbar alles dafür, um zusätzliche Stimmen einzufangen. Was eigentlich eine Aufgabe der Unternehmen wäre (und irgendwie trotz aller Bemühungen nicht ganz so zufriedenstellend klappen will), übernimmt nun freundlicherweise das Portal aus Wien selbst. Klar, seit dem Verkauf für 12 Millionen Euro seinerzeit an XING (“xununu“), die wiederum Tochter von Burda Digital sind, lastet ein hoher Erwartungsdruck auf dem Unternehmen, welches seine Startup-Mentalität spätestens mit Ausscheiden der Gründer ad acta gelegt hat. Wobei einer der Gründer nun als “Berater” bei kununu USA wieder auftaucht (kununu ist seit Kurzem auch auf dem US-Markt präsent und versucht Glassdoor Paroli zu bieten). Ein anderes Thema, soll uns nicht interessieren.
Ich bin ein großer Freund von Arbeitgeberbewertungsportalen. Wie es der Zufall so will, ist das (von der Anzahl der Gesamtbewertungen und Reichweite) größte nun einmal kununu. Wie sich deutsche Arbeitgeber dort präsentieren, was kununu sich so einfallen lässt und welche Relevanz diese Portale bei Bewerbern haben, darüber hatte ich schon mehrfach berichtet. U. a. in den Artikeln
Arbeitgeberbewertungsportale und Arbeitgebersiegel: Überbewertet!
Arbeitgeberbewertungsportale verändern das Personalmarketing
Transparenz durch Arbeitgeberbewertungsportale – Fluch für Unternehmen, Segen für Bewerber?
Zuletzt hatte ich über ein in meinen Augen lesenswertes Buch berichtet, kununu für Dummies, in dem Ex-kunununianerin Tamara Frast wertvolle Tipps für den Umgang mit dem Arbeitgeberbewertungsportal gibt. Sowohl für Bewerber als auch für Unternehmen. So heißt es bspw. unter der Überschrift “Mitarbeiter als Imagebuilder” in Kapitel 7 auf Seite 57:
“Ihre Mitarbeiter nehmen […] eine wichtige Funktion als Imageträger ein […]. Jede einzelne Äußerung und Handlung trägt zum Arbeitgeber-Image bei, das unmittelbar die gesamte Unternehmensmarke beeinflusst: Wie bei einem Mosaik entsteht dann ein mehr oder weniger positives Bild.”
Genau. Ein Bild, das je nach dem entweder negativ oder positiv ausfallen kann. Weiter heißt es: “Bei aller erwünschter Offenheit und Authentizität gilt bei kununu Fairness als oberstes Prinzip.”
In Kapitel 13 wird dann mit Legenden aufgeräumt, die sich um die Plattform kununu ranken. Im Kontext dieses Artikels scheint mir insbesondere Legende #3 ganz interessant:
“kununu ist eine Schönwetterplattform, man kann keine negativen Bewertungen abgeben.”
Mach Deinen Arbeitgeber zum Besten?
Dass man sehr wohl negative Bewertungen abgeben kann, ist hinlänglich bekannt (deswegen ist kununu ja auch nach wie vor bei vielen Personalern und Geschäftsführern weithin gefürchtet). Das soll hier nicht zur Debatte stehen. Dass kununu von sich behauptet, keine Schönwetterplattform zu sein, führt meines Erachtens aber den Wortlaut der aktuell durch die E-Mail-Postfächer der Nation geisternden (und mir von Kopf schüttelnden Personalisten freundlicherweise weitergeleiteten) xununu-Newsletter doch eher ad absurdum. Oder was denken Sie, wenn Sie Zeilen wie diese lesen:
“Mach Deinen Arbeitgeber zum Besten“, so die Überschrift. Und weiter geht’s mit “Dein Arbeitgeber braucht Dich und Du brauchst Deinen Arbeitgeber – so viel steht fest. Doch jetzt kannst Du sogar noch mehr tun. Du kannst dazu beitragen, dass Dein Arbeitgeber zu den Besten gehört.” kununu eine Schönwetterplattform? Niemals! :-)
Aber irgendwie doch besser als dieser Newsletter, der zu Recht nicht so gut bei den Empfänger ankam. Während das eine klar in die Kategorie Schönfärberei geht, kann man hier schon fast von Hetze sprechen. Neutral geht auf jeden Fall anders.
“Ihre Tastatur ist stärker als jeder Betriebsrat“, heißt es dort. Und, bereits im Einstiegssatz: “Interessenvertretungen sind eine gute Sache. Immer vorausgesetzt, sie vertreten wirklich Ihre Interessen und keine von Kompromissen weichgespülte Pauschalmeinung.”
Hm. Ich weiß nicht recht. kununu schreibt sich “Fairness” und “Authentizität” auf die Fahnen und will keine “weichgespülte (Pauschal)-Meinungen“. Produziert selbige aber nicht nur durch “Express”-Bewertungen, sondern nun auch durch beeinflussende und wenig neutrale Newsletter. Klar, das nächste (nicht repräsentative!) Focus Top-Arbeitgeber-Ranking wirft große Schatten. kununu – quo vadis?
Update: Kurz nach Veröffentlichung des Artikels erreichten mich Mails von Menschen, die ebenfalls diese oder ähnliche Bewertungsaufforderungen bekommen haben. “Liebe Karrieremenschen, Workaholics & Work-Life-Balancer, immer schön nicken und lächeln – das ist die Devise. Aber damit ist jetzt Schluss! Verraten Sie uns, was Sie über XXXX wirklich denken!“, heißt es in einem weiteren Beispiel.
Wie wäre es also, wenn wir einmal den Spieß umdrehen und Sie xununu verraten, was Sie über diese aggressiven und reißerischen Aufforderungen wirklich denken? Halten Sie mich gerne auf dem Laufenden, wenn auch Sie betroffen sind oder verraten Sie mir und meinen Lesern Ihre Meinung!
Update 2: Mittlerweile erhielt ich eine E-Mail von kununu, die ich auszugsweise gerne zitiere:
“Um besser zu verstehen, welche Trigger die User am meisten bewegen, einen Erfahrungsbericht zu schreiben, testen wir gerade verschiedene Wordings in unseren Bewertungsaufrufen. Konkret schauen wir uns an, inwieweit wertende Aufrufe zu anderen Bewertungen führen. Das heißt, dass wir aktuell neben den positiven auch tendenziell mehr kritisch hinterfragende Bewertungsaufrufe verschicken. Beides, um Menschen in unterschiedlicher Motivationslage anzusprechen und zu mobilisieren.”
Das erklärt auch, warum es unterschiedliche Tonalitäten in den Mails gibt. Kritisiert werden übrigens beide Ansätze. Aber wer dient auch schon gerne als unfreiwilliges Versuchskaninchen? ;-)
Anonym
Carsten Marquardt