22. Oktober 2020

Jobsuche in der Corona-Krise: Wenn Bewerber im Dunkeln tappen
Im April hatte ich darüber berichtet, dass nur ein geringer Prozentsatz der Stellenanzeigen auf StepStone darüber Aufschluss liefert, ob Unternehmen trotz
weiterlesen20. Mai 2020
Lesezeit: 13 Min. Employer BrandingHRPersonalmarketingRecruiting
Bisher bedeutete Homeoffice in vielen Unternehmen fünf Tage im Monat auch mal von Zuhause aus arbeiten zu dürfen. Selbst vermeintlich agil arbeitende Unternehmen wollten Kontrolle über ihre Mitarbeiter und sahen es am liebsten, wenn diese in ihren nach neuesten Erkenntnissen der Ergonomie und Büroraumgestaltung optimierten “New Work-Offices” ihren Dienst versahen. Und dann kam Polly Corona. Auf einmal wurden Mitarbeiter (zumindest bei Arbeitgebern, die ihrer Pflicht zur Fürsorge nachkommen und denen das Wohl ihrer Mitarbeiter wirklich am Herzen liegt) ins “Zwangs-Homeoffice” verbannt. Was für Unternehmen bisher unvorstellbar schien, ist dank eines launischen Virus auf einmal möglich und im Zweifelsfall sogar produktiver als die Arbeit im Büro. Und ganz nebenbei wirkt sich “Telearbeit” oder “Remote Work”, wie das Ganze neudeutsch heißt, auch auf die Arbeitgeberattraktivität und als Turbo fürs Recruiting aus.
Während andere despektierlich von “Pandemie Office” sprechen, schließlich sei, “wer im Kinderzimmer arbeitet, nebenbei den Fünfjährigen beschäftigen muss und mit einer grottigen Internetverbindung zu kämpfen hat”, nicht produktiv (dem stimme ich unter den genannten Voraussetzungen sogar zu), bahnt sich das bisherige Stiefkind deutscher Unternehmen erfolgreich seinen Weg an die Spitze. Schon vor der Krise gab es Unternehmen, die die Potenziale von Homeoffice respektive Remote Work (auch im Recruiting) sahen und nun kommen immer mehr Befürworter dazu.
Der Begriff “Homeoffice” greift eigentlich zu kurz. Vielmehr geht es um “Telearbeit”, oder neudeutsch “Remote Work”, also die Arbeit, die ohne Probleme außerhalb des Unternehmensbüros erledigt werden kann – ob das nun wirklich von Zuhause oder von der Berghütte, im Co-Working-Space, unter Palmen, im Café oder Hotelzimmer sitzend erfolgt, spielt bei der Betrachtung der Potenziale keine große Rolle. Unter dem schönen deutschen Begriff “Telearbeit” werden Arbeitsformen verstanden, “bei denen Mitarbeiter ihre Arbeit ganz oder teilweise außerhalb der Gebäude des Arbeitgebers verrichten. Oft wird auch von Mobilarbeit oder von mobiler Arbeit gesprochen“. Beim Homeoffice findet diese Arbeit zu Hause statt, bei Remote Work arbeitet man von da, wo es einem Spaß macht. Mich für meinen Teil verschlägt es da öfter mal ins Café, in die Berghütte oder irgendwo in die freie Natur, je nachdem, was so anliegt.
Sven Astheimer beschreibt in der F.A.Z. die Corona-Krise als “das vermutlich größte Weiterbildungsprogramm für Unternehmen und ihre Mitarbeiter der Geschichte.” “Buchstäblich über Nacht“, so Astheimer weiter, “mussten Millionen Beschäftigte ihren Beruf plötzlich in den eigenen vier Wänden ausüben, sich mit neuer Kommunikationssoftware anfreunden und dabei oftmals noch die Familie am Laufen halten.” In der großen Mehrheit der Fälle klappt das per Corona-Dekret verordnete Homeoffice sogar so gut, dass immer mehr Arbeitgeber im Kontext der Lockdown-Lockerungen nun auf die Idee kommen, den Anteil ihrer Telearbeiter zu erhöhen und das Homeoffice zum neuen Standard zu erheben.
Und auch die Mitarbeiter selbst entdecken die Vorteile, die das Homeoffice ihnen bietet. Das, was jahrelang nicht möglich schien und oft nur einzelnen Mitarbeitern unter der Hand gewährt wurde, wird Corona sei Dank zum neuen Standard. Und beschleunigt auf diese Weise auch die Personalgewinnung, für die sich längst der Begriff Recruiting etabliert hat.
“Die vergangenen Wochen haben gezeigt, wie viel im Homeoffice möglich ist – das ist eine echte Errungenschaft, hinter die wir nicht mehr zurückfallen sollten.” Olaf Scholz
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Ich habe einmal ein paar Zahlen zusammengetragen, die derzeit im Kontext Corona und/oder Homeoffice im Umlauf sind und die Vorteile der Telearbeit verdeutlichen. So arbeitet gemäß einer Yougov-Studie aktuell jeder fünfte Erwerbstätige (22 Prozent) wegen Covid-19 im Homeoffice oder in Telearbeit (das sind Schätzungen zufolge etwa doppelt so viel wie vor Corona). Bei den Befragten überwiegen die positiven Aspekte:
Einer Umfrage von gmx.de zufolge wollen 29 Prozent der Befragten weiterhin im Homeoffice arbeiten. Laut einer Studie des Anbieters GoTo wünschen sich sogar mehr als die Hälfte der befragten Deutschen (55,2 Prozent), permanent im Homeoffice zu arbeiten. Die Vorteile, die hier fürs Homeoffice angeführt werden, sind in etwa deckungsgleich mit den oben genannten:
“Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll im Homeoffice arbeiten können – auch wenn die Corona-Pandemie wieder vorbei ist”. Hubertus Heil
Bei unseren Nachbarn in Österreich ist der Wunsch nach Homeoffice nach der Corona-Krise noch eindeutiger: Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber sind dafür, die Telearbeit beizubehalten, so das Resultat einer Umfrage des Portals karriere.at.
72 Prozent der 600 befragten Arbeitnehmer wollen zwar nicht unbedingt jeden Tag ins Homeoffice, aber auf jeden Fall die Wahl haben. 21 Prozent wünschen sich, auf Dauer remote zu arbeiten. Nur 5 Prozent der Befragten wollen lediglich in Ausnahmefällen auf das Arbeiten von Zuhause zurückgreifen.
Bei den Arbeitgebern zeigt sich ein ähnliches Bild: 73 Prozent der befragten HR-Manager, Geschäftsführer und Führungskräfte möchten ihren Mitarbeitern auch nach Corona die Wahl zwischen Homeoffice und Unternehmensbüro ermöglichen. 16 Prozent sind sich sogar sicher, dass ihre Mitarbeiter nicht an den Firmenarbeitsplatz zurückwollen.
Werfen wir noch einen Blick auf eine Erhebung der Arbeitsmarktforscher vom IAB, zunächst einmal aus der Sicht der Arbeitgeber:
Diese Vorteile stehen für die Arbeitnehmer im Vordergrund:
Auch die Zusammenarbeit mit anderen Teams scheint im Homeoffice gut zu klappen. Das zumindest legen die Ergebnisse einer StepStone-Studie nahe:
„Einige Leute dachten, dass alles auseinanderfallen wird – aber das passierte nicht.“ Mark Zuckerberg
Wirft man einen Blick auf die o. g. Ergebnisse, so wird schnell klar, dass Homeoffice und Remote Work (aka Telearbeit) auch Auswirkungen auf das Recruiting haben. In einer spontan in unserer achten #KeineHRAlleinZuhaus-Session durchgeführten Umfrage, teilen 37 Prozent der Teilnehmenden die Meinung, dass das Homeoffice ein Turbo fürs Recruiting sei, 47 Prozent haben keine Meinung und 16 Prozent glauben nicht an die von mir beschworene Beschleunigung.
Dabei liegen die Vorteile, die Remote Work und Homeoffice fürs Recruiting haben, unübersehbar auf der Hand.
Klar ist, dass Unternehmen, die Homeoffice anbieten (also richtig echte, flexibel gestaltbare Telearbeit), damit massiv auf ihre Arbeitgeberattraktivität einzahlen. Für 35 Prozent der Arbeitgeber stellt gemäß der oben erwähnten Erhebung des IAB die Steigerung der Arbeitgeberattraktivität einen wichtigen Grund dar, Homeoffice anzubieten. Dank Corona wird der Wunsch, der für viele potenzielle Mitarbeiter das Zünglein an der Waage bei einer Entscheidung pro oder contra eines Arbeitgebers war, nun endlich Wirklichkeit. Mobiles Arbeiten und flexible Arbeitszeiten sind nicht nur bei den Vertretern der Generation Y und Z ein als selbstverständlich angesehenes Benefit.
Ein Blick auf kununu zeigt, dass diesem Wunsch längst nicht bei jedem Unternehmen Rechnung getragen wird. Auch wenn dort 68.012 Unternehmen gelistet werden, die in ihren Mitarbeitervorteilen Homeoffice angeben, so sind es doch nur 7,2 Prozent der aktuell 944.405 auf dem Arbeitgeberbewertungsportal vertretenen Arbeitgeber. Da ist noch viel Luft nach oben.
Dass in Sachen Homeoffice noch viel Luft nach oben ist, zeigt umso mehr der “kununu Corona Employer Transparency Ticker”. Stand Mitte Mai haben bereits 42.674 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ihre Erfahrungen zum Umgang ihres Arbeitgebers mit dem Thema Corona geteilt. Die dort geteilten Erfahrungen belegen zwar, dass Homeoffice in vielen Unternehmen sehr gut funktioniert, zeigen aber auch, wo es noch Luft nach oben gibt.
Insgesamt geben 60 Prozent der kununu-Nutzer an, dass es in ihrem Job grundsätzlich möglich sei, von zu Hause zu arbeiten. Nur knapp die Hälfte (48 Prozent) nutzen dieses Potenzial allerdings tatsächlich. Am weitaus größten ist die Diskrepanz in der Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung. Obwohl 87 Prozent angaben, dass Homeoffice möglich sei, nutzen dies nur 59 Prozent. Auch in den Branchen Bau und Architektur besteht Nachholbedarf, ebenso in der Administration und Verwaltung. Hier liegt die Differenz zwischen möglicher und tatsächlicher Nutzung ebenfalls über 20 Prozent.
Am meisten verbreitet ist Homeoffice laut Angaben der kununu-Nutzer in der Markforschung, gefolgt von den Branchen Internet sowie Kunst und Kultur. Wenig überraschend: Am häufigsten wird Telearbeit in der IT genutzt, am seltensten im Bereich Gesundheit, Pflege und Soziales. Hier liegt das ungenutzte Potenzial jeweils bei etwas mehr als 8 Prozent. Die Werte aller Branchen zeigt die nachfolgende interaktive Grafik:
Klar sollte sein: Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Homeoffice ermöglichen und auf diese Weise Flexibilität zeigen (und selbstverständlich die erforderliche Infrastruktur bereitstellen und ihre Mitarbeiter auch anderweitig unterstützen), werden im Wettbewerb um neue Mitarbeiter die Nase vorn haben.
Nun ist es egal, wo das Unternehmen seine Angel auswirft: Mit einem Arbeitsplatz im Homeoffice respektive dank Remote Work erweitern sich die Recruiting-Möglichkeiten nahezu exponentiell (so wie das Virus ;-)). Der Teich, in dem alle Unternehmen fischen, wird zum Ozean. Schließlich ist es wirklich wurscht, ob der neue Kollege, die neue Kollegin auf Phuket, in Paris, Pinneberg oder Philadelphia sitzt und ob er oder sie der Arbeit in Shorts, in Flipflops, im Pyjama oder im Zweireiher nachkommt, solange denn das Arbeitsergebnis stimmt.
Mit der Telearbeit werden auch Standortnachteile obsolet. Es ist nicht mehr erforderlich, mit seinem Unternehmen vom (vermeintlichen) Kuhdorf in die (vermeintlich) attraktivere Großstadt zu ziehen, wenn der Mitarbeiter von all überall auf der Welt seinem Job nachkommen kann.
Somit entfallen bei Kandidaten, die gerade ein Haus gebaut, eine Familie gegründet haben oder wo man sich fragt, wo die/der Liebste unterkommt, die Überlegungen, wie man es anstellt, wenn man von Hamburg nach Kleinkleckersdorf zieht. Im “War for Talents” werden potenzielle Mitarbeiter viel eher bereit sein, einen Arbeitsplatzwechsel in Betracht zu ziehen, Kandidaten können (und werden sich) unabhängig vom Standort bewerben.
Auch anderweitig ergeben sich bei Remote Work Vorteile in der Personalauswahl: Denn nun ist es egal, ob der Kandidat, schwarz, weiß, blond oder braun, behindert, dick ist oder unangenehm riecht. Alle Faktoren, die Menschen bewusst oder unbewusst beeinflussen, spielen im Homeoffice keine Rolle mehr (sollten sie natürlich auch vorher nicht, aber Hand aufs Herz, wir wissen alle, dass das so ist und selbst “KI” nicht vorurteilsfrei entscheidet).
Ein großes Nadelöhr, welches unsere Recruiting-Bemühungen bisher unnötig erschwert hat, die Abstimmungsprozesse mit Vorgesetzten, Fachabteilungen und Kandidaten, wird dank Homeoffice und Remote Work nun auch auf ein Minimum reduziert, schließlich können alle Beteiligten nun deutlich schneller virtuell zusammenkommen. In der Folge bedeutet das eine Reduzierung der Time to hire!
Und, logischerweise ist da nicht nur die Effizienz und der Produktivitätsgewinn zu erwähnen (die oben genannten Zahlen belegen das, auch eine über einen Zeitraum von zwei Jahren durchgeführte Studie zeigt, dass Mitarbeiter, die ihren Job remote erledigten, deutlich produktiver waren, als die Kollegen, die nach wie vor im Unternehmensbüro saßen, eine weitere Studie kommt im Grunde genommen zum gleichen Ergebnis), die Homeoffice und Remote Work mit sich bringen, sondern auch der Kostenvorteil.
Sei es bei den Recruiting-Prozessen selbst (so entfallen bspw. die Reisekosten für alle Beteiligten, die Umwelt wird aufgrund weniger Emissionen geschont), aber auch die Prozesskosten werden geringer, bei schnelleren, effizienteren Prozessen, ganz zu schweigen von der Cost of Vacancy oder eben bei den Kosten für die Büroflächen und im Zweifelsfall auch für die Einrichtung der Arbeitsplätze. Tatsächlich stehen die Kostenersparnisse aber nicht im Vordergrund, Homeoffice einzuführen: Gemäß IAB bieten nur 10 Prozent der Betriebe mobiles Arbeiten an, um die Nutzung der vorgehaltenen Büroflächen zu optimieren.
In der Folge führen Homeoffice und Remote Work also zu erhöhter Bewerberzufriedenheit, ist doch klar! Und das wiederum führt zum letzten Punkt:
Ist der Bewerber zufrieden und die Fachabteilung ist es auch, dann profitiert natürlich letztendlich das Recruiting.
Fazit
Wer nun immer noch glaubt, Homeoffice und Remote Work wären kein Turbo fürs Recruiting, dem ist kaum zu helfen. Ein Gesetz für ein Recht auf Homeoffice, wie es unser derzeitiger Arbeitsminister anpeilt, würde ich auf jeden Fall befürworten und sollte definitiv im Sinne aller Beteiligten (also der Unternehmen, deren Mitarbeitern und natürlich auch von Bewerbern) sein.
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22. Oktober 2020
Im April hatte ich darüber berichtet, dass nur ein geringer Prozentsatz der Stellenanzeigen auf StepStone darüber Aufschluss liefert, ob Unternehmen trotz
weiterlesen26. Mai 2020
“Leider tendiert die digitale Kompetenz der Personaler gegen null”. Dieses Zitat greife ich bei passenden Gelegenheiten immer wieder gerne auf.
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Sandra Zober
Robert