Robot Recruiting: Künstliche Intelligenz stößt bei Bewerbern auf wenig Gegenliebe

Lesezeit: 8 Min. Recruiting

In meinen Recruiting Trends für 2018 prognostizierte ich unter anderem, dass dieses Jahr auch ganz im Zeichen der Künstlichen Intelligenz und von Recruiting-Chatbots und Sprachassistenten wie Alexa steht. Klar, viel geredet wurde drüber. Dass, was man aktuell auf so manchen Karriere-Websites oder anderswo findet, ist aber eher dazu geeignet, Bewerber zu verschrecken, als für die von mir postulierte perfekte Candidate Experience zu sorgen. Insofern ist es doch mal so zum Ausklang des Jahres ganz interessant zu wissen, was Bewerber zum Thema KI im Recruiting, zu Robot Recruiting und dem Einsatz von Recruiting Chatbots sagen. Drei Untersuchungen, die in den letzten Monaten erschienen sind, geben dazu spannende Einsichten.

Wenn denn Bewerber überhaupt was dazu sagen können, denn während wir hier in unserer Filterblase wie ganz selbstverständlich von Recruiting sprechen, versteht so mancher Kandidat da draußen nur Bahnhof. Auch die Abkürzung HR ist längst nicht so geläufig, wie so mancher glauben mag. Das ist für diese Menschen in etwa genauso nachvollziehbar, wie Stellentitel, die plötzlich zum m und w noch ein d, ein a oder ein i hinzugesellt bekommen. Aber das nur am Rande. Schließlich wollen wir wissen, was Bewerber davon halten, wenn auf einmal Kollege Roboter bzw. Stanley, der Chatbot bzw. Algorithmen bzw. dubiose Profiler über die Personalauswahl entscheiden. Okay, letzteres bitte streichen. Kein Bewerber würde einen solchen Ansatz für voll nehmen.

Da ist es doch hilfreich, dass dieses Jahr diverse Untersuchungen zum Thema erschienen sind, die sich mit der Akzeptanz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Recruiting bzw. im Bewerbungsprozess auseinandersetzen. In Anbetracht der oben gemachten Anmerkungen schadet es mit Sicherheit nicht, noch einmal darzustellen, was “Künstliche Intelligenz” eigentlich ist. Denn ganz so einfach ist es nicht, wie man auf Wikipedia oder dem sehr lesenswerten Artikel Künstliche Intelligenz – zwischen Hype und Realität auf heise online nachlesen kann:

“Künstliche Intelligenz (KI, auch Artifizielle Intelligenz (AI bzw. A. I.), englisch artificial intelligence, AI) ist ein Teilgebiet der Informatik, welches sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem Maschinellen Lernen befasst. Der Begriff ist insofern nicht eindeutig abgrenzbar, als es bereits an einer genauen Definition von „Intelligenz“ mangelt. Dennoch wird er in Forschung und Entwicklung verwendet. Hinsichtlich der bereits existierenden und der als Potenziale sich abzeichnenden Anwendungsbereiche gehört künstliche Intelligenz zu den wegweisenden Antriebskräften der Digitalen Revolution.” Quelle

Insbesondere die Social Media Personalmarketing Studie bietet da interessante Einblicke bezüglich des Einsatzes dieser “wegweisenden Antriebskräfte der Digitalen Revolution“. Befragt wurden Studenten und Absolventen genauso wie Fach- und Führungskräfte und Unternehmen. Und während die Unternehmen an eine weiter zunehmende Digitalisierung im Recruiting glauben, sehen die Kandidaten das eher skeptisch.

Kandidaten sehen KI und Digitalisierung im Recruiting eher skeptisch - Social Media Personalmarketing Studie 2018

Kandidaten sehen Digitalisierung im Recruiting und KI im Bewerbungsprozess eher skeptisch

Je nachdem, welchen Nutzen der Einsatz von KI respektive Algorithmen respektive Robot Recruiting dem Bewerber verspricht (oder was sich die Befragten vorstellen), steigt oder sinkt die Akzeptanz der Bewerber.

  • 64 Prozent der befragten Studenten und Absolventen finden es akzeptabel, wenn ihnen über ein erweitertes automatisiertes Matching alternative Jobs im Unternehmen angeboten werden, wenn sie auf die angestrebte Stelle nicht optimal passen (51 Prozent der Fach- und Führungskräfte).
  • 52 Prozent finden es akzeptabel, wenn die Technik einige Teilaufgaben abnimmt, solange die wichtigsten Aspekte der Interaktion menschlich/persönlich bleiben (42 Prozent der Fach- und Führungskräfte sehen das so).
  • 10 Prozent der Studenten und Absolventen (13 Prozent der Fach- und Führungskräfte) finden es akzeptabel, wenn die Interaktion – zumindest in der frühen Informations- und Bewerbungsphase – stark über Chatbots stattfindet. Was Stanley wohl dazu sagt? Oder all die Unternehmen, die aktuell in blindem Aktionismus Chatbots auf ihren Karriereseiten oder anderswo einführen?
  • Gar nicht gut ankommen (bisher) Sprachassistenten, die entweder eine Jobsuche auslösen oder die sogar Vorab-Interviews mit Kandidaten führen: Lediglich 5 Prozent (Studenten/Absolventen) bzw. 7 Prozent (Fach-/Führungskräfte) finden ersteres akzeptabel. Zurecht, denn was da bisher existiert, ist noch stark optimierungsbedürftig. Noch weniger Bewerber können sich mit Prescreening-Interviews mittels sprachgesteuerter digitaler Assistent(inn)en anfreunden. Man stelle sich das mal vor: Alexa führt ein Bewerbungsinterview. Wer will das schon? Und überhaupt, wo bleibt da die Gleichberechtigung? Und so sind es hier dann auch nur noch 3 bzw. 5 Prozent, die einen solche Einsatz akzeptabel finden.
  • Komplett einpacken können Anbieter wie Precire: Lediglich 1 Prozent der Befragten findet es akzeptabel, wenn künstliche Intelligenz eingesetzt wird, um die Persönlichkeit auf Basis von Sprachkonstrukt, Stimme, Tonlage, Pausen etc. analysiert wird. Abgesehen davon, dass Schädeldeuten auch in einer 4.0-Version nicht funktioniert, eine nachvollziehbare Einschätzung.

Und eine ganz klare Absage gibt es auch gegen einen stark von Algorithmen und künstlicher Intelligenz dominierten Auswahlprozess. Eine Entscheidung, die von der Bauchentscheidung einzelner Personen abhängig ist, ist den Befragten dann doch lieber. Oder anders gesagt:

Solange es einfach noch nicht taugt, ist den Bewerberinnen und Bewerbern der dösige Personaler halt doch noch lieber.

Danke für diesen wunderbaren Tweet, lieber Personalleiter!

Logisch, denn wer will sich schon von einem Roboter einstellen lassen? Mehr interessante Erkenntnisse zum Thema KI im Recruiting aus Sicht der Bewerber und Recruiter gibt es in der kompletten Social Media Personalmarketing Studie.

Akzeptanz von “Künstlicher Intelligenz” im Bewerbungsprozess

Auch die Bewerber-Studie von viasto hat sich mit der Akzeptanz von „Künstlicher Intelligenz“ im Bewerbungsprozess auseinandergesetzt. Demnach sind sich sogar 80 Prozent der Befragten sicher, dass „Künstliche Intelligenz“ die Personalauswahl von Arbeitgebern in Zukunft prägen wird. Allerdings fühlen sich 67 Prozent eher schlecht als recht auf die Veränderungen rund um ihre Jobsuche und Bewerbung vorbereitet. 47.3 Prozent der Befragten sehen den Einsatz von KI im Bewerbungsprozess eher skeptisch. Lediglich 26 Prozent stehen nicht-humanoiden Personalauswahlinstrumenten positiv gegenüber. Es gibt aber Licht am Horizont für alle, die zukünftig vermehrt auf einen “unmenschlichen” Ansatz setzen wollen: Wenn der konkrete Bewerbernutzen steigt, fällt die grundsätzliche Skepsis. Anders gesagt, sobald Stanley endlich in der Lage ist, einen gescheiten Dialog auf die Reihe zu bekommen, wird das Tool wohl auch gerne genutzt werden. Bis dahin ersetzt wohl nichts den echten Menschen, auch im Chat. Mehr als zwei Drittel der Befragten wiederum schätzen den Einsatz von Algorithmen positiv ein, wenn diese dabei helfen, den passenden Job zu finden – bei jungen Bewerbern zwischen 18 und 29 Jahren liegt die Zustimmung sogar bei 78 Prozent.

Künstliche Intelligenz darf dem Recruiter helfen, ihn aber nicht ersetzen

Grundsätzlich steht und die fällt die Akzeptanz also mit der Art der eingesetzten KI. Während der Einsatz von KI zur Analyse der Emotionen als sehr abschreckend empfunden wird (62,8 Prozent sind davon so gar nicht begeistert – Tschüss, Precire), liegen Stanley und andere Chatbots höher in der Gunst der Befragten: Hier lehnen nur 20,2 Prozent der Befragten einen entsprechenden Einsatz ab. Wahrscheinlich wird sich das ändern, wenn sie das erste Mal in Kontakt mit einem solchen künstlichen Recruiter getreten sind.

Lediglich 3,6 Prozent der befragten Bewerber hingegen finden es angebracht, wenn Kollege Roboter Auswahlprozesse in Zukunft komplett automatisiert bzw. auch Auswahlentscheidungen trifft. Selbst wenn KI nur Empfehlungen für eine Auswahlentscheidung gibt, die dann nur noch wohlwollend durch einen Recruiter abgesegnet werden müssen, geht das für die große Masse – 84.1 Prozent – doch entschieden zu weit. Die Meinung der Bewerber lässt also keine Zweifel offen: KI darf dem Recruiter helfen, ihn aber nicht ersetzen. Ob es so gut ist, dass die Mehrheit der befragten Bewerber es als beste Lösung empfindet, wenn KI und Personaler gemeinsam die Personalauswahl treffen? Zwar sprechen sich 59,5 Prozent dafür aus, die bisherige Erfahrung zeigt aber, dass auch das keine Lösung ist. Ganz einfach, weil KI so lange nicht vorurteilsfrei sein kann, wie sie mit Daten von (vorurteilsbehafteten – also allen) Menschen gefüttert wird.

Robo-Recruiting - nein danke - Robot by jungsang from the Noun Project

Der Einsatz von KI im Recruiting wird als wenig wertschätzend empfunden

Schauen wir uns zum Abschluss noch eine weitere Untersuchung an, die sich mit der Akzeptanz von KI im Bewerbungsprozess beschäftigt hat. Diesmal wurden Berufstätige befragt, die nebenberuflich studieren und sich in die Rolle eines Bewerbers versetzen sollten (!). Sie wurden mit drei Szenarien konfrontiert, bei denen Künstliche Intelligenz heute schon zum Einsatz kommt: der Einsatz eines (KI-basierten) Chatbots bei einer Stellenausschreibung (Szenario eins), die KI-basierte Vorauswahl von Bewerbern (Szenario zwei) und ein KI-basiertes Telefoninterview, das ein Persönlichkeitsprofil erstellt (Szenario drei). Auch bei dieser Umfrage gibt es eine klare Meinung, nämlich dass KI niemals den Menschen ersetzen kann (88,7 Prozent der Teilnehmer stimmten dieser Aussage zu). Nun sollten die Befragten alle drei Szenarien in ein Ranking mit den Plätzen eins, zwei und drei bringen und dabei auf Platz eins das Tool setzen, das sie selbst am ehesten bereit wären zu nutzen. Auf Platz eins landete (wieder einmal, wahrscheinlich, weil das einfach das gängigste Tool ist) der Chatbot, auf Platz zwei landete die Vorauswahl durch eine KI und auf Platz drei landete die Erstellung des Persönlichkeitsprofils durch ein Telefoninterview mit einer KI.

„Wenn ich für eine Firma ‚brenne‘ und mich dort bewerbe, dann möchte ich kein Telefoninterview mit einer Maschine […] Es würde mir zu verstehen geben, dass das Personal und ich als Bewerber dort nicht wertgeschätzt werden und dass ich damit rechnen kann, dass ich nach der Einstellung an der ‚digitalen Leine‘ arbeiten werde und nur eine Nummer im System bin.“ Quelle

Fazit

Auch wenn diese drei Untersuchungen unterschiedliche Ansätze haben, so ist das Ergebnis doch im Wesentlichen auf einen Nenner zu bringen: KI wird niemals den menschlichen Kontakt ersetzen können. Unternehmen tun gut daran, den Einsatz von KI gewissenhaft zu prüfen, ist er doch auch ein Indiz für die Unternehmenskultur. Wer sich also beispielsweise einen besonders wertschätzenden Umgang mit seinen Mitarbeitern auf die Fahnen respektive die Karriere-Website schreibt, sollte sich gut überlegen, ob ein Recruiting-Chatbot wirklich das Mittel der Wahl ist. Oder automatisierte Vorauswahlprozesse. Oder finden Sie eine Personalauswahl, einen Dialog mit einem Chatbot besonders wertschätzend? Wie ist Ihre Meinung zu dem Thema? Haben Sie gar schon Erfahrungen mit KI im Recruiting bzw. im Bewerbungsprozess gesammelt – sei es als Recruiter, sei es als Bewerber? Dann freue ich mich auf Ihre Kommentare!

Kommentare (3)

2018: Ernüchterung beim Thema KI? So einfach ist es auch nicht… | Recrutainment Blog

[…] das gelingt, nun das klappt das auch mit der Akzeptanz und wir tauschen am Ende nicht ein Elend (menschliche Auswahlfehler) durch ein anderes (maschinelle […]

personalmarketing2null

Hi Sven, danke dir für deine Meinung! Die ich im Wesentlichen sogar teile. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Stand heute wirkt vieles von dem, was bei Unternehmen im Einsatz ist, noch recht unausgereift. Aber Watson wird's bestimmt richten ;). Ich freue mich auf die Diskussion! Beste Grüße und schöne Feiertage! Henner

Sven Semet

Hi, sehr interessanter Bericht ... es wird meiner Meinung nach kein entweder oder geben, sondern nur ein sowohl als auch. D.h. eine KI wird zukünftig die Recruiter in der Form untersützen bessere Entscheidungen schnell zu treffen. Das kann auch für Kandidaten sehr positiv wirken. Ausserdem wir der Vorteil der Unvoreingenommenheit der KI sicherlich einen wesentlichen Vorteil beim Hiring zukünftig ermöglichen. Gerne diskutiere ich dies mit weiteren Interessierten in diesem Bereich. Gruss Sven
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Moin! Ich bin Henner Knabenreich. Seit 2010 schreibe ich hier über Personalmarketing, Recruiting und Employer Branding. Stets mit einem Augenzwinkern oder den Finger in die Wunde legend. Auf die Recruiting- und Bewerberwelt nehme ich auch als Autor, als Personalmarketing-Coach, als Initiator von Events wie der HR-NIGHT oder als Speaker maßgeblich Einfluss auf die HR-Welt. Sie möchten mich für einen erfrischenden Vortrag buchen, haben Interesse an einem Karriere-Website-Coaching, suchen einen Partner oder Berater für die Umsetzung Ihrer Karriere-Website oder wollen mit bewerberzentrierten Stellenanzeigen punkten? Ob per E-Mail, XING oder LinkedIn - sprechen Sie mich an, ich freue mich auf Sie!
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