28. Juli 2017
Die Bahn macht jetzt auf Kumpel: Willkommen, Du passt zu uns!
Lesezeit: 4 Min. Employer BrandingKarriere-WebsitesPersonalmarketing
Auch die Deutsche Bahn macht nicht vor der “Entschlipsung” und vor der virenartig um sich greifenden “VerDUzung” der Unternehmenswelt halt. Ob es nun dort intern auf den Konzernfluren “Hey, Richard” (Lutz, der neue Konzernchef), “Servus, Ulrich” (Weber, Personalvorstand) oder “Moin, Kerstin” (Wagner, Leiterin Personalgewinnung) heißt, entzieht sich meiner Kenntnis. Auf jeden Fall werden bei der Bahn nun die Bewerber geduzt. Ob Du das willst, oder nicht. “Willkommen, Du passt zu uns!” heißt es seit April bei der Bahn.
An sich finde ich den Ansatz gar nicht so übel, tue ich mich mit dem Sie doch immer sehr schwer. Dass ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, hier sieze, ist meiner guten Kinderstube geschuldet. Erstens kenne ich Sie nicht (alle), zweitens bin ich Angehöriger der Generation X und drittens drückt es meines Erachtens Respekt aus. Vielleicht sorgt es aber auch für die nötige Distanz. Wer weiß das schon. Auch wenn ich es lieber habe, geduzt zu werden ;) Da fühle ich mich gleich etwas jünger. Außerdem trägt es zu einem angenehmeren Umgang bei.
Willkommen, Du passt zu uns
Egal, zurück zum Du. Die Bahn setzt jetzt auf selbiges. Dabei ist es ihr egal, ob es sich um Azubi, Student oder alte Hasen handelt. Das Du wird durchgezogen. Gnadenlos. Wir sind eben alle alte Kumpels!
“Wer im Wettbewerb um Ingenieure, Lokführer oder Elektroniker die Nase vorn haben will, braucht gute Argumente. Mit der neuen Kampagne werden wir die Bahn noch stärker als guten und sicheren Arbeitgeber positionieren“,
wird Personalvorstand Ulrich (Weber) in der offiziellen Pressemitteilung zitiert. Und weiter: “Der Arbeitsmarkt sei „ein hartes Pflaster“, daher müsse man sich als Arbeitgeber mehr denn je anstrengen, um auf dem Bewerbermarkt zu punkten.” Da hat der Ulrich verdammt noch mal recht. Echt. Der Arbeitsmarkt ist ein hartes Pflaster. Da muss man sich schon was einfallen lassen, so wie bspw. Bäcker Ströck aus Wien oder der Caritasverband in Düsseldorf. Aber – auch wenn mir der neue Karriere-Auftritt recht gut gefällt und er einen Quantensprung gegenüber der Vorherigen darstellt – gehört zu solchen Anstrengungen auch das Anbiedern per Du?
Ich meine, vielleicht tue ich der Bahn damit unrecht. Ich bin (wenn es nicht gerade wieder eine Verspätung gibt, weil es einen “Notarzteinsatz” am Gleis gab) begeisterter Bahnfahrer. Als langjähriger Kunde habe ich eine bestimmte Außenwahrnehmung von der Bahn. Und da will das “Du” einfach nicht so recht passen. Und die Bahn ist eben nicht IKEA. Oder ein cooles Startup. Aber der Richard wird das schon richten.
Ganz konsequent wird das “Du” im Übrigen dann doch noch nicht durchgezogen. Ein kleines Gallisches Dorf Das Bewerbermanagement-System leistet massiven Widerstand und wehrt sich mit Händen und Füßen. Respektive einem beharrlichen “Sie”.
Auch der Bewerberkorrrespondenz hat man innerhalb der letzten 3 Monate die Frischzellenkur noch nicht angedeihen lassen. Puh. Glück gehabt. Da fühlt man sich doch gleich wieder viel besser aufgehoben. Stellen Sie sich vor, Sie würden sich per “Du” bei der Bahn bewerben…
“Liebe Kerstin, auf eurer Website bin ich aufmerksam geworden auf diesen superduperduften Job als regionaler Ressourcenmanager…. Gerne bewerbe ich mich … Blablabla…
Liebe Grüße, Dein Henner”
Und ob man sich auch ganz wie selbstverständlich im Bewerbungsgespräch duzt?
Bahn verschenkt massive Potenziale in der Bewerberansprache
Mal wieder spannend, da wird in eine Hochglanz-Kampagne ein Riesen-Budget gepumpt und nachdem dem Bewerber dann ein Gefühl des Willkommens vermittelt wurde, wird er direkt wieder vergrault. Wieder einmal zeigt sich, dass Bewerbermanagement-Systeme der “Feind im Bett” des Recruiters sind. Wie auch immer. Mit “Willkommen, Du passt zu uns.” präsentiert sich die Deutsche Bahn eben nicht nur ehrlich wie nie, sondern auch “nicht perfekt.”
Und das “nicht perfekt” bezieht sich eben auch aufs Recruiting. Und wie man selbst im Video offen zugibt (sehr sympathisch), steht man eben erst am Anfang. Also besteht noch Hoffnung. Schließlich will der Richard den mehr als 180 Jahre alten Konzern vor allem in Sachen Digitalisierung ein gutes Stück voranbringen. Und da stehen die Chancen durchaus nicht schlecht, dass er beim E-Recruiting anfängt und endlich einmal den stinkenden Moloch SAP abstößt. Die Hoffnung stirbt schließlich zuletzt. Die Auswahl an E-Recruiting-Anbietern, die cloudbasierte Lösungen anbieten, ist indes sehr überschaubar. Aber das ist eine andere Baustelle.
Und noch etwas, ganz am Rande: Die Bahn fragt sich, wie man in Zeiten von Fachkräftemangel und sinkenden Schülerzahlen 80.000 Mitarbeiter – rund 8.000 pro Jahr – in den nächsten zehn Jahren rekrutieren soll. Einen Tipp hätte ich da schon noch: Wie wäre es, die monatlich rund 30 Millionen Besucher der Bahn-Website auf den Arbeitgeber Bahn aufmerksam zu machen? Oder aber die über 10 Millionen Nutzer des DB Navigators – so, wie Tinder es macht? Ganz zu schweigen von den Lautsprecherdurchsagen selbst. Ziemlich naheliegend, wie ich finde. Die Zugriffe auf die Karriere-Website würden exorbitant steigen, die Anzahl der Bewerbungen ebenfalls. Was meinst du, Richard?
Die Bahn ist Ihnen zu hip mit Ihrem Geduze? Sie sehnen sich nach einem bodenständigen Job im Personalmarketing? Kein Problem, hier sind sie, die…
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Martin