22. Mai 2024
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz kommt – Was bedeutet das für Karriereseiten?
Lesezeit: 9 Min. Karriere-WebsitesPersonalmarketing
Die Aufregung ist groß, Erinnerungen an die Einführung der DSGVO werden wach: Das Schreckgespenst Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) geht um und das eine oder andere Unternehmen verfällt in Leichenstarre. Schon wieder so ein Bürokratiemonster! Denn nach dem 28. Juni 2025 müssen (Produkte und) Dienstleistungen „barrierefrei“ gestaltet sein. Und das gilt auch für Webseiten. Aber ist hier ähnlich wie seinerzeit Eile geboten, gilt dieses Gesetz für alle – und vor allem: auch für die Barrierefreiheit von Karriereseiten? Too keep a long story short: Es kommt drauf an!
Barrierefreiheitsstärkungsgesetz soll Barrierefreiheit von Dienstleistungen gewährleisten
Zweck des „Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung anderer Gesetze“, wie das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in seiner ganzen Schönheit eigentlich heißt, ist es, „im Interesse der Verbraucher und Nutzer die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen zu gewährleisten“. Dadurch soll dann für „Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gestärkt und der Harmonisierung des Binnenmarktes Rechnung getragen werden.“ Dienstleistungen sind laut Definition wiederum dann barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Und dies ist bei den meisten Bewerbermanagementsystemen – ganz gleich, ob man nun behindert ist oder nicht – definitiv nicht der Fall.
Nur ein Bruchteil der (Karriere-)Websites ist barrierefrei gestaltet
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz betrifft auch die Barrierefreiheit von Webseiten. Das ist gut und wichtig, die Forderung nach barrierefreien Internetangeboten ist eigentlich schon ein alter Hut, wird aber in der realen Welt nur seltenst berücksichtigt – selbst dort, wo sie durch die “Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung – BITV 2.0” oder anderes Regelwerk schon längst vorgeschrieben ist (das gilt bspw. für Websites von Bundesbehörden, Verwaltungen und öffentlichen Einrichtungen). Tatsächlich sind laut der fortlaufenden Erhebung des WebAIM (Web-Accessability in mind, Institute for Disability Research, Policy, and Practice) lediglich 4 Prozent (von 1 Millionen) Websites barrierefrei gestaltet (immerhin hat sich der Wert seit 2020 verdoppelt).
Oder anders gesagt: Bei rund 96 Prozent der untersuchten Websites wurden WCAG-2-Mängel festgestellt. WCAG ist die Abkürzung für “Web Content Accessibility Guidelines“, die vom “World Wide Web Consortium” (W3C) entwickelt werden. Das W3C wiederum entwickelt Standards und Richtlinien für ein besseres Internet, die jedermann helfen sollen, ein Web zu schaffen, das auf den Prinzipien der Zugänglichkeit, der Internationalisierung, des Datenschutzes und der Sicherheit beruht. Die nachfolgende Grafik zeigt den prozentualen Anteil der Websites mit festgestellten WCAG-Konformitätsmängeln im Zeitverlauf – und verdeutlicht den dringenden Handlungsbedarf:
Ob man aber gleich ein ganzes Gesetz draus klöppeln muss und Unternehmen damit eine weitere Bürokratiehürde aufbürdet und Unsicherheit schürt, halte ich persönlich für übertrieben und zeigt einmal mehr den oft unnötig stark ausgeprägten Regulierungswahn der EU. Wie sinnvoll wäre stattdessen ein gesetzlich verordneter „barrierefreier“ Bewerbungsprozess und ein Verbot von Zwangsregistrierungen oder Pflichtfeldern à la „Wie haben Sie von uns erfahren?“. Im Nu würden mehr Bewerbungen im Postfach eintrudeln – egal ob nun von Menschen mit oder ohne Behinderung.
Maßnahmen, die durch das BFSG für Websites verpflichtend werden
Zu den Maßnahmen, die durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz für Websites verpflichtend werden, gehören unter anderem
- Alternativtexte für Bilder (“Alt-Tags”),
- übersichtliche, intuitiv nutzbare Navigation,
- geeignete Schriftgrößen,
- ausreichender Kontrast und
- eine klare, verständliche Sprache.
Letzteres schließt also streng genommen gegenderte Texte aus, da diese den Zugang zu und die Erfassbarkeit und Lesbarkeit von Informationen unnötig erschweren und für bestimmte Bevölkerungsgruppen nahezu unmöglich machen. Zusätzlich zu den genannten Maßnahmen ist ein “Barrierefreiheits-Disclaimer” verpflichtend, der selbstverständlich barrierefrei zugänglich sein muss.
Hat das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz Auswirkungen auf Karriere-Websites?
Aber die alles entscheidende Frage dieses Artikels ist es ja nicht, den Geisteszustand derjenigen infrage zu stellen, die sich diesen Bürokratie-Unsinn ausgedacht haben, der für viele Website-Betreiber mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein wird (die möglicherweise durch die Tatsache kompensiert werden, dass dank Barrierefreiheit mehr gekauft wird (und mehr Bewerbungen generiert werden) – laut Studien der Aktion Mensch nutzen Menschen mit Behinderung Online-Shops im Durchschnitt nämlich häufiger als Menschen ohne Behinderung und es liegt auf der Hand, dass in jeder Hinsicht barrierefreie Karriere-Websites und ATS zu mehr Bewerbungen führen), sondern zu klären, ob das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz auch Auswirkungen auf Karriere-Websites hat. Die Antwort ist einfach: Es kommt darauf an. Zumindest pauschal fallen Websites (und damit auch Karriereseiten) nicht unter das BFSG. Es gibt allerdings Ausnahmen.
Schauen wir uns also die Punkte des Gesetzes an, die möglicherweise Auswirkungen auf die im Kontext des BFSG gesetzlich verordnete Barrierefreiheit von Karriereseiten haben könnten:
Dem Gesetzestext zufolge gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zunächst einmal für (bestimmte, im Gesetzestext explizit genannte) Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 gegenüber Verbrauchern erbracht werden.
Dazu gehören u. a.
– Telekommunikationsdienste.
Eine Website ist zwar kein Telekommunikationsdienst – maximal handelt es sich bei einem Anbieter einer Website um einen Telemedienanbieter – da ein Telekommunikationsdienst aber ein Dienst ist, der von einem Telekommunikationsanbieter erbracht wird, der die Dienstleistung (auch) über seine Website erbringt, gilt das BFSG logischerweise auch für die Karriereseite, insbesondere dann, wenn sie unmittelbarer Teil der Corporate Website ist und über dieselbe Haupt-Domain erreichbar ist.
– Bankdienstleistungen für Verbraucher.
Dass eine Karriereseite keine Bankdienstleistung für Verbraucher ist, liegt auf der Hand. Wenn eine Karriereseite einer Bank aber Teil der Corporate Site ist (was in den meisten Fällen der Fall, aber nicht empfehlenswert ist), fällt sie zwangsläufig unter den Barrierefreiheitszwang.
– Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr.
Eine Karriereseite ist auch keine Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr. Bei „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ handelt es sich um „Dienstleistungen der Telemedien, die über Webseiten und über Anwendungen auf Mobilgeräten angeboten werden und elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden.“ Auf gut Deutsch: Wenn Waren oder Dienstleistungen über Webseiten gehandelt bzw. verkauft werden. Also bspw. Online-Shops bzw. E-Commerce-Webseiten.
Ein Verbraucher ist kein Bewerber
Ein Verbraucher wiederum ist „jede natürliche Person, die eine unter dieses Gesetz fallende Dienstleistung zu Zwecken kauft oder empfängt.“ Beispiele für einen Verbrauchervertrag sind der Kauf einer Ware über einen Online-Shop, der Abschluss eines Mobilfunkvertrages, die Inanspruchnahme von Bankdienstleistungen oder der Abschluss eines Mietvertrages. Ein Arbeitsvertrag oder auch die Abgabe einer Willenserklärung in Form einer Bewerbung sind jedoch keine Verbraucherverträge, denn auch wenn Bewerber in den Augen der einstellenden Unternehmen in vielen Fällen Bittsteller sein mögen, so sind sie doch alles andere als Verbraucher. Insofern greift das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz auch in diesem Fall nicht. Allerdings gilt auch hier: Ist die Karriereseite Bestandteil der Shop-Seite, gilt auch hier der Zwang, sie barrierefrei zu gestalten – was dann streng genommen wiederum für die angeflanschten ATS gilt.
Interessant finde ich, dass zwar Online-Shops, Telekommunikationsdienste oder Bankdienstleistungen und sogar „Personenbeförderungsdienste im Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr mit Ausnahme von Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdiensten“ (warum eigentlich diese Ausnahme?) explizit unter das Gesetz fallen, nicht aber Behörden oder Kommunen, die eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen sollten (wahrscheinlich hat man sich gedacht, dass es ja genügend andere Vorschriften gibt, die diesen Bereich abdecken). Die genannten Personenbeförderungsdienste sind übrigens die einzigen im BFSG genannten Dienstleistungen, bei denen „Webseiten“ explizit als einzelner Punkt aufgeführt werden.
Allerdings gilt für die anderen genannten Akteure, dass deren Dienstleistungen in und außerhalb der Regel über Webseiten und mobile Apps erbracht werden, weswegen diese Internetangebote eben konkludent auch der Barrierefreiheit entsprechen müssen.
BFSG gilt explizit für Bankdienstleistungen, für Telekommunikationsdienste, für Online-Shops & Co und für Verkehrsunternehmen
Wollen wir die Frage beantworten, welche Auswirkungen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz auf Karriereseiten hat, können wir das Ganze wie folgt festhalten: Es kommt, wie mehrfach erwähnt, drauf an. Zunächst einmal gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz explizit für Banken/Bankdienstleistungen, für Telekommunikationsdienste, für Verbraucher und für Online-Shops & Co. und für die Karriere-Website insbesondere dann, wenn die Karriereseiten Teil der Website sind, über die Dienstleistungen an Verbraucher erbracht werden (meist handelt es sich hierbei um die Corporate Website). Explizit wird die Webseite (und damit auch die Karriereseite) als Teil des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes nur im Falle von Verkehrsunternehmen genannt (§ 1 BFSG Abschnitt (3), Punkt 2. a). In diesem speziellen Fall dürfte dies also auch für eine Karriere-Microsite gelten – auch wenn sich eine solche Karriere-Microsite nicht explizit an Verbraucher, sondern nur an potenzielle Bewerber richtet.
Wenn die Karriereseite als eigenständige Microsite fungiert, greift das BFSG nicht
Meiner Auffassung nach dürfte das Gesetz aber bei den anderen genannten Akteuren nicht greifen, wenn die Karriereseite als eigenständige Microsite fungiert, da es sich hierbei eben nicht um Websites handelt, die sich an Verbraucher richten, sondern explizit an potenzielle Bewerber. Alle anderen Unternehmen, die nicht unter das BFSG fallen, können ohnehin beruhigt aufatmen. Das gilt insbesondere für alle Unternehmen, die weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigen und einen Jahresumsatz von maximal zwei Millionen Euro erwirtschaften. Denn die sind per se vom Bürokratiemonster BFSG ausgenommen.
Grundsätzlich fallen Websites, auf denen Produkte oder entsprechende Dienstleistungen nicht gegen Entgelt erworben oder gebucht werden können, also nicht in den Anwendungsbereich des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes. Damit eine Website unter die Definition „Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr“ fällt, müssen Angebote präsentiert und (!) Buchungen oder Zahlungen vorgenommen werden können. Job-Angebote gehören definitiv nicht dazu. Auch das Befüllen eines Bewerbungsformulars ist keine Handlung im elektronischen Geschäftsverkehr.
Was ist mit der verwendeten Bewerbermanagementsoftware (ATS), die definitiv nicht barrierefrei ist?
👉🏼 Die Frage bleibt, wie es sich mit den angeflanschten E-Recruiting-Systemen verhält, die definitiv nicht barrierefrei sind und eher Bewerbervermeidungssysteme darstellen.
Problematisch im Kontext des BFSG ist aus meiner Sicht die erforderliche Barrierefreiheit der an die Karriereseiten angedockten Bewerbermanagementsoftware. Hier reicht ein flüchtiger Blick auf so manches System, das aufgrund von Zwangsregistrierungen, überbordenden Formularfeldern, nicht korrekt ausgezeichneten Formularfeldern oder fehlender Mobiloptimierung eines garantiert nicht ist: barrierefrei. Wenn also bspw. eine Bank ein ATS wie Succcessfactors, Beesite, Workday o. Ä. einsetzt, kann die (Karriere-)Website des Unternehmens aufgrund mangelnder Usability schon aus Prinzip nicht BFSG-konform sein. Hier bleibt zu hoffen, dass die Unternehmen, die diese Systeme einsetzen, zum Umdenken gezwungen werden und ihre Lösungen entsprechend anpassen und nutzerfreundlich in die Seite integrieren oder zu einem Anbieter wechseln, dem barrierefreie Bewerbungsprozesse wichtig sind. Sofern es diese gibt.
Grundsätzlich sollte eine Karriereseite immer barrierefrei gestaltet sein!
Barrierefreiheitsstärkungsgesetz hin oder her: Grundsätzlich gilt, dass eine Karriere-Website immer barrierefrei sein sollte! Nicht nur, dass die Inhalte für jeden unabhängig seiner Einschränkung erfassbar sind, die UX verbessert und eine größere Zielgruppe erreicht wird, auch Google schätzt (Stand jetzt, die Google-Suche entwickelt sich gerade in eine falsche Richtung) barrierefrei gestaltete Karriereseiten, was zu einem verbesserten Ranking und damit zu einer besseren Sichtbarkeit als Arbeitgeber führen kann (Stichwort Karriereseiten-SEO) und sich positiv auf den Bewerbungseingang auswirkt. So sollten also auch all die Unternehmen, die nicht explizit vom Barrierefreiheitsstärkungsgesetz betroffen sind, ihre Karriereseite auf Barrierefreiheit überprüfen und bei Handlungsbedarf entsprechende Maßnahmen ergreifen. Denn eins ist sicher: Ob mit oder Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – wer seine Karriereseite (und seinen Bewerbungsprozess) barrierefrei gestaltet, profitiert von mehr Bewerbungen.