15. März 2016
Warum heißt Personalmarketing eigentlich nicht Arbeitgebermarketing?
Lesezeit: 7 Min. Employer BrandingPersonalmarketing
Ich gebe offen zu: Als ich damals meine Diplomarbeit zu Personalmarketing im Internet schrieb, habe ich nicht im Traum darüber nachgedacht, den Begriff Personalmarketing infrage zu stellen. Auch als ich meinen Blog 2007 einrichtete und im März 2010 zum Leben erweckte, kamen mir nie Zweifel über die Richtigkeit des Begriffs. In den letzten Wochen und Monaten aber habe ich mich immer mehr gefragt, warum Personalmarketing eigentlich Personalmarketing heißt. Und nicht – und das müssen Sie zugeben, was naheliegender wäre – Arbeitgebermarketing.
Haben Sie sich schon mal gefragt, warum Personalmarketing eigentlich Personalmarketing heißt? Diese Frage bereitet mir nun schon seit Wochen schlaflose Nächte (gut, da übertreibe ich ein wenig, aber es treibt mich schon um). Produktmarketing vermarktet das Produkt. Dienstleistungsmarketing die Dienstleistung. Stadtmarketing die Stadt. Guerilla-Marketing den Guerilla. Und Personalmarketing das Personal? Vermarkte ich nicht vielmehr den Arbeitgeber als mein Personal? Im Idealfall sollte es zumindest so sein.
Heute muss sich der Arbeitgeber beim Bewerber bewerben. Bzw. ist ja der Bewerber hier der Arbeitgeber. Und der Arbeitgeber der Bewerber. Ich als Mitarbeiter gebe meine Arbeit. Ich nehme sie nicht mehr. Die Zeiten des Arbeitnehmers sind vorbei. So gesehen ist also der Arbeitgeber der Arbeitnehmer. Können Sie mir folgen? Die Rollen werden vertauscht. Hier könnte man glaube ich stundenlang philosophieren. Aber ich will mich kurz fassen.
Was ist eigentlich Personalmarketing?
Stellen wir uns also zunächst einmal die Frage, was Personalmarketing eigentlich ist. Also zumindest nach Definition. Und da gibt es so einige. Die musste ich damals für meine Diplomarbeit zusammentragen und schon damals wurde mir eins klar, die eine einzig wahre Definition gibt es nicht. Zunächst einmal liegt der Grundgedanke von Personalmarketing darin, den Marketingansatz und seine Analyse- sowie Gestaltungsinstrumente auf den Arbeits- bzw. Personalmarkt zu übertragen, um möglichen Engpässen bei der Stellenbesetzung vorzubeugen (eine Definition aus dem Handwörterbuch des Personalwesens aus dem Jahr 1975).
1974 wird der Begriff erstmals in der deutschen Fachliteratur erwähnt. Nämlich als umfassendes Denk- und Handlungskonzept, welches nahezu alle personalwirtschaftlichen Funktionen in sich vereint. Personalmarketing dient eben nicht nur der Beschaffung neuer Mitarbeiter, sondern auch der Pflege, Motivation und Organisation vorhandener Mitarbeiter (heutzutage nennt man das wohl Talent- bzw. Retention Management). Simon et al. (die weit vor dem Begriff der Candidate Experience den Begriff Bewerberservice prägten und damit bereits 1995 das Candy Date propagierten) definieren “Personalmarketing als Orientierung der gesamten Personalpolitik eines Unternehmens an den Bedürfnissen von gegenwärtigen und zukünftigen Mitarbeitern mit dem Ziel, gegenwärtige Mitarbeiter zu halten, zu motivieren und neue Mitarbeiter zu gewinnen.“ Die beiden Aussagen liegen 20 Jahre auseinander. Heute, noch mal 20 Jahre später, können wir das glaube ich im Wesentlichen so stehen lassen.
“Personalmarketing ist die Orientierung der gesamten Personalpolitik eines Unternehmens an den Bedürfnissen von gegenwärtigen und zukünftigen Mitarbeitern mit dem Ziel, gegenwärtige Mitarbeiter zu halten, zu motivieren und neue Mitarbeiter zu gewinnen.“
Theoretisch zumindest. Denn was sich in den letzten Jahren geändert hat, ist einfach der Arbeitsmarkt. Der hat sich nämlich vom Arbeitgebermarkt hin zum Bewerbermarkt geändert. Auch wenn viele Unternehmen das noch nicht erkannt haben – der Bewerber ist in vielen Bereichen am Drücker. Unter anderem auch Dank freundlicher Unterstützung der so genannten Lügenpresse. Stichwort Fachkräftemangel. Nicht ohne Grund wurde der Begriff ja unlängst zum Unwort des Jahres gekürt. Schließlich ist der Verursacher ja auf einen Gen-Defekt zurück zu führen, wie jüngste Forschungsergebnisse bestätigen.
Aufgabenbereiche von Personalmarketing
Scholz identifiziert drei wesentliche Aufgabenbereiche von Personalmarketing:
- Akquisitionsfunktion.
Externe Bewerber sollen sich für das Unternehmen und die dort angebotenen Arbeitsplätze interessieren. Hierbei kommt neben Entgelt- und Arbeitszeitregelungen dem Unternehmensimage eine besondere Bedeutung zu, da dieses auch immaterielle und emotionale Aspekte beinhaltet. - Motivationsfunktion. Mitarbeiter im Unternehmen sind für ihr Unternehmen zu begeistern. Nur so können sie ihre Leistung erbringen und auch überzeugend nach außen hin auftreten (diese Multiplikatorfunktion haben dann die berühmten Mitarbeiter als Markenbotschafter inne).
- Profilierungsfunktion. Die dargestellte Motivations- und Akquisitionsfunktion wird durch die Positionierung des Unternehmens mitbestimmt. Mittels dieser Profilierungsfunktion sollen gegenwärtigen und zukünftigen Mitarbeitern die Besonderheiten des Unternehmens bewusst werden. Und bitte, hier geht es um weit mehr als um eine Employer Branding-Kampagne!
Aufgabe von externem Personalmarketing wiederum ist es, über ein positives Image als Arbeitgeber das Unternehmen als Arbeitsplatz interessant zu machen und potenzielle, geeignete Bewerber zu motivieren, diesem Unternehmen beizutreten und diese langfristig an das Unternehmen zu binden. Entscheidend dabei ist, sich als Unternehmen so zu präsentieren, dass man sich im Sinne einer Unique Selling Proposition deutlich von anderen Unternehmen unterscheidet und abhebt (bemerkenswert ist dabei, dass das Erkenntnisse sind, die über 20 Jahre alt sind. Und heute aktueller als damals. Und kein Mensch konnte damals auch nur ansatzweise Employer Branding buchstabieren). Laut dem damaligen Personalmarketing-Guru Strutz stehen beim externen Personalmarketing folgende vier Aufgaben im Vordergrund:
- Vermittlung der spezifischen Attraktivität des Unternehmens (Betonung auf spezifisch. Bitte nicht austauschbar, bitte keine Floskeln.),
- Auswahl und Nutzung von effektiven Personalbeschaffungswegen und -maßnahmen (Betonung auf effektiv),
- bedarfs- und zielgruppengerechte Entwicklung, Formulierung und Platzierung konkreter Einstiegsangebote (Betonung auf zielgruppengerecht, Formulierung und Platzierung),
- Analyse von Bewerbungen und Auswahl geeigneter Kandidaten (das bitte in einem angemessenen Zeitraum).
Ziele von externem Personalmarketing
Als Ziele des externen Personalmarketings benennt er z. B. die
- langfristige (!) Absicherung eines externen Akquisitionspotenzials durch
- Steigerung des Bekanntheitsgrades und
- Verbesserung des Arbeitgeber- bzw. Personalimages am Arbeitsmarkt. Zudem ist eine
- Senkung der Kosten für das Personalmarketing,
- eine Steigerung des Bewerbungsaufkommens und der
- Qualität der eingehenden Bewerbungen, sowie
- eine Verkürzung des Bewerbungsprozesses anzustreben.
Von Personalmarketing zu Arbeitgebermarketing
Merken Sie was? Das ist heute genau so aktuell wie damals. Aber was passiert?
- Da werden Kreativkonzepte erstellt, deren tieferen Sinn nur die ausführende Agentur oder der fürs Personalmarketing Verantwortliche versteht (nachdem ihm die Agentur erklärt hat, was man sich dabei gedacht hat), eine Orientierung an der Zielgruppe findet aber nicht statt. Oder glauben Sie immer noch, dass Schüler, Studenten, Absolventen und Professionals ihre Zielgruppe darstellen?
- Da werden Unsummen in diese Kreativkonzepte gesteckt (oder eben auch nicht, weil Personalmarketing ist ja nicht so wichtig für ein Unternehmen, da gibt’s dann auch kein Budget), man tut aber nichts dafür, auch gefunden zu werden. Stichwort SEO. Stichwort SEM und Nutzung anderer Portale, um die Reichweite zu erhöhen.
- Da lässt man sich eine Karriere-Website nach dem Credo Mobile First konzipieren (der Nutzer ist das Scrollen ja gewöhnt, also packen wir doch alle Inhalte auf eine Seite, wofür gibt’s sonst diese lustigen Klapp-Menüs, Scheiß doch was auf Auffindbarkeit in Suchmaschinen).
- Da wird eine bunt blinkende Karriere-Website mit irgendwelchen schwachsinnigen Siegeln ausgezeichnet, dass der Bewerber diese Seite aber nicht findet, weil es leider nicht zu einem Karriere-Button auf der Unternehmens-Homepage gereicht hat, fällt dabei schnell unter den Tisch.
- Da werden Schreiben an die Bewerber im Stil einer Behörde verfasst (wenn sie denn überhaupt verfasst werden), anstatt ihm die notwendige Wertschätzung entgegenzubringen – was im Übrigen sowohl auf die Candidate Experience als auch Ihre “Arbeitgebermarke” einzahlt.
Obwohl immer wieder vom Arbeitsmarkt, vom Arbeitsplatz oder vom Arbeitgeber die Rede ist, der an Bewerber und Mitarbeiter “verkauft” werden muss, ist immer nur die Rede von Personalmarketing. Auch heute, über 40 Jahre nach der erstmaligen Nennung des Begriffs, wo ein Perspektivwechsel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmer bzw. Bewerbermarkt erfolgt ist, sprechen wir immer noch davon. Nicht von Arbeitgebermarketing. Es wird Zeit für ein Umdenken.
Also, machen Sie Ihre Hausaufgaben. Machen Sie Arbeitgebermarketing. Marketing für sich als Arbeitgeber. Steckt übrigens auch der Begriff Arbeitgebermarke drin. Ob das ein Zufall ist? Also, denken Sie lieber drüber nach, wer Ihre Zielgruppe ist und wie Sie sie mit welchen Inhalten erreichen und begeistern können (und, glauben Sie mir, das ist wichtiger als jedes Kreativkonzept. Dem Bewerber sind die egal. Der will Informationen, der will ein Gespür dafür bekommen, wer Sie als Arbeitgeber sind. Wie Sie “ticken”.) und wie Sie einen angemessenen und wertschätzenden Bewerbungsprozess realisieren können.
Ich werde meinen Blog ab sofort umbenennen. In arbeitgebermarketing2null. In diesem Sinne, wir sehen uns in Wiesbaden. Ich freue mich drauf!
Literaturquellen:
Rippel, K.: Grundlagen des Personal-Marketing, Rinteln 1974
Scholz, C.: Personalmanagement, 5. Auflage, München 2000
Simon, H./Wiltinger, K./Sebastian, K./Tacke, G.: Effektives Personalmarketing, Wiesbaden 1995
Strutz, H.: Handbuch Personalmarketing, Wiesbaden 1993
v. Eckardstein, D./Schnellinger, F.: Personalmarketing, in: Gaugler, E. (Hrsg.): Handwörterbuch des Personalwesens, Stuttgart 1975, Sp. 1592 – 1599
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