28. Februar 2023

Recruiting-Benchmark: Der traurige Status quo der Personalgewinnung
Wie schaut es eigentlich mit der Praxis der Personalgewinnung in deutschen Unternehmen aus? Was bis dato eher Stochern im Nebel
weiterlesen10. Januar 2014
Lesezeit: 11 Min. PersonalmarketingRecruitingStellenanzeigen
Neulich, es war Weihnachten, da verschlug es mich mal wieder in meine alte Heimat und meine Geburtsstadt Bielefeld (somit ist der Beweis erbracht, dass es Bielefeld entgegen anders lautender Gerüchte sehr wohl gibt – wäre ich dort nicht geboren, gäbe es mich nicht und im Umkehrschluss nicht diesen Blog). Mittlerweile ist es ja so, dass ich da, wo ich gehe und stehe immer meine Fühler ausstrecke, wo denn der nächste Blogartikel lauert. Ich kann also wirklich nichts dafür, wenn das auch an Weihnachten passiert. Ich kam gerade von einem ausgiebigen Waldspaziergang mit der besten Ehefrau von allen und Mops Leo zurück, als meine altersmüden Augen ein Plakat erhaschten. Allein das Wort “Fachkräftemangel” reichte aus, um mein Interesse zu wecken…
Denn, so meine Annahme, wo Fachkräfte drauf steht, ist mit Sicherheit auch was mit Fachkräften drin. Auch wenn man das dem Plakat nicht auf den ersten Blick entnehmen kann. Denn dort ist ein alter Karteikartenschrank mit aufgezogener Schublade abgebildet. Der Slogan, der sich in übergroßer Schrift über das Bildmotiv zieht, sagt aber, dass es da doch irgendwie um das Thema Mitarbeitersuche gehen muss:
heißt es da. Und sonst? Eher weniger. Aber sehen Sie selbst:
Wer jetzt aus Bielefeld und Umgebung kommt, der kann den Begriffen bernstein, Glück und Seligkeit, Peppers, Nichtschwimmer und WoBu etwas zuordnen. Hierbei handelt es sich nämlich um Etablissements des Bielefelder Gastronomie-Papstes Achim Fiolka. Weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist wohl das Glück und Seligkeit, einfach aus dem Grund, weil man hier – in dieser Art wohl zur Zeit der Entstehung einmalig – in den Räumen einer Kirche einen Gastronomiebetrieb eröffnete. Ein Besuch lohnt, nicht unbedingt wegen der Küche, aber wegen der Location. Aber ich will mich ja nicht zur Qualität der Gastronomie, sondern eher zur Qualität der “Kampagne” äußern.
Dieses Plakat also, welches darauf aufmerksam machen soll, dass Personal für die Fiolka-Betriebe gesucht wird, ist strategisch recht günstig platziert (mit Ausnahme der Tatsache vielleicht, dass es kurz vor einer abgeranzten Brücke hängt vielleicht. Das soll hier aber nicht interessieren). Es hängt nämlich gut sichtbar im Einzugsbereich diverser Bars und Kneipen:
Das an sich ist schon mal ein kluger Schachzug, so laufen oder fahren doch viele Bedienstete anderer Betriebe an dem Plakat vorbei und denken sich, ach cool, die suchen Leute, bewerbe ich mich doch mal da, hier bei XY bekomme ich ja nicht mal den von der großen Koalititon ausgeheckten Mindestlohn (der dort aber wohl ebenfalls nicht gezahlt wird, wie Recherchen ergeben), oder was auch immer die sich denken. Wenn Sie sich denn überhaupt was denken, weil, wer fährt schon so auf einen Begriff wie Fachkräftemangel ab, so wie ich? Schon eher vielleicht auf Schubladendenken, denn hier wird ja im Wesentlichen auf die Generation Y angespielt, die man ja gerne in irgendwelche Schubladen steckt. Aber lassen wir das.
Das Plakat hängt also nicht nur im Einzugsbereich vieler Kneipen, Bars und Cafés (meine Empfehlung an dieser Stelle geht mal ans Mellow Gold, für viele Jahre mein zweites Wohnzimmer, als ich noch in Bielefeld war und an die Bar 383 Grad, recht neu, aber aufgrund der Atmosphäre, des guten Essens und der sensationell zuvorkommenden Bedienung unbedingt einen Besuch wert), nein, es hängt auch im Einzugsbereich zu einer der begehrtesten Wohngegenden Bielefelds, nämlich dem Bielefelder Westen, Stichwort Siggi und so. Und das wiederum ist ein bevorzugtes Wohngebiet von Bielefelder Studenten und quasi einen Steinwurf vom Plakat entfernt ist ja auch das “Orangenkiste” getaufte Studentenwohnheim. Einmal mehr die anvisierte Zielgruppe. Insofern, wie gesagt, cleverer Schachzug. Wenn er denn aufgeht wegen weil siehe oben (Motiv, Wortwahl etc.).
Bevor ich jetzt darauf eingehe, wie denn Interessenten abgeholt werden, wenn sie nun tatsächlich auf das Plakat aufmerksam wurden, schnell ein rascher Schwenk nach Zürich. Wahnsinnig viel haben Bielefeld und Zürich nun wirklich nicht gemeinsam, aber immerhin fahren in beiden Städten Trams, auch wenn diese in Bielefeld Straßenbahn heißen. Auch für Straßenbahnen braucht’s Personal und insbesondere ohne Fahrpersonal fährt weder ein Tram noch eine Straßenbahn. Tram fahren kann jeder (gut, das ist jetzt vielleicht ein bisschen allgemein), zumindest ist das auch ein Job für Quereinsteiger. Und für Frauen. Nicht ausschließlich, aber auch. Und vor dem Hintergrund des wie ein Damoklesschwert über uns hängenden Fachkräftemangels (hüstel!) ist die Ansprache bis dato noch relativ brach liegender Zielgruppen unbedingt eine Auseinandersetzung wert (2004 schrieb ich meine Diplomarbeit über das Recruiting der 50 größten Arbeitgeber in Deutschland und Sie dürfen raten, wie viele Unternehmen es seinerzeit schafften, nach außen zu kommunizieren, welche Chancen weiblicher Nachwuchs (ob Fach- oder Führungskraft spielt keine Rolle) in den Unternehmen hat bzw. was getan wird, um Frauen zu fördern. Na? Wenn Sie die Antwort wissen, schreiben Sie mir, ich schenke Ihnen dann DAS Buch zum Thema Personalmarketing oder lade Sie zum Kaffee ein oder beides). Das hat man sich auch bei den Verkehrsbetrieben Zürich gedacht und wirbt in Sachen Mitarbeitersuche mittels clever umgesetzten Guerilla Recruitings um die heiß umkämpften Damen. Und das unglaublich subtil :-)
Ich zitiere an dieser Stelle der Einfachheit halber mal, verweise auf den Blogartikel des Schweizer Chefbloggers Buckchmann und erlaube mir noch einen Screenshot aus seinem Artikel zu stibitzen, der dann wieder wunderbar auf unser Thema überleitet. Bereit? Los geht’s!
“Dass in diesen Berufsfeldern überdurchschnittlich viele Frauen beschäftigt sind, macht diese Branchen für das Personalmarketing der VBZ noch interessanter. Was liegt also näher, als Mode-Verkäuferinnen, Köchinnen, Coiffeusen, Bäckerinnen, Fussreflexzonen-Masseurinnen oder Kellnerinnen ganz einfach direkt anzusprechen und sie auf das Quereinsteigen in die VBZ-Tramcockpits bei vollem Lohn hinzuweisen?”
So. Bei X-Living (so heißt das Unternehmen des findigen Bielefelder Gastronomen) sucht man nicht nur flinke KellnerInnen, sondern alles, was so in Küche, Service und Bar gesucht wird. Genauer: Gesucht werden “echte Fachkräfte ohne Schubladendenken”. Was auch immer sich hinter dieser Definition verbirgt (da fällt mir auf, hey, das wäre doch auch was für die Nominierung der 2014er Runkelrübe, wer will noch mal, wer hat noch nicht?), für weitere Informationen gibt’s da ja auch eine Website. Bzw. heißt es da “Wir stellen ein” und dann folgt die Adresse der Website. Naiv wie ich bin, erwarte ich dort Informationen zum Arbeitgeber (nein, ich bin ehrlich, die erwarte ich nicht wirklich, aber ich würde sie mir WÜNSCHEN), zumindest aber zu den konkret zu besetzenden Jobs (und die erwarte ich nun wirklich). Lassen Sie uns doch gemeinsam schauen, ob wir fündig werden:
“Starke Konzepte freuen sich immer über starke Mitarbeiter“, steht da. Aha. Und weiter? Über welche Mitarbeiter? Welche Konzepte (gut, die tollen Gastro-Konzepte kennt man natürlich als Bielefelder)? Wo sind die Jobs? Vielleicht kommen die per Klick auf “Hier online bewerben”? Na, was glauben Sie? Kommen sie, oder kommen sie nicht? Natürlich nicht. Stattdessen ein in meinen Augen nicht ganz AGG-konformes Bewerbungsformular (Geburtsdatum als Pflichtfeld). Das war’s. Fachkräfte ohne Schubladendenken. Hm. Personaler mit Brett vorm Kopf trifft’s wohl eher. Aber: Es gibt noch einen winzigen Hoffnungsschimmer. Nämlich die über die X-Living-Website verknüpfen Websites der einzelnen Gastronomiebetriebe. Wie heißt es so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Immerhin: Von fünf Betrieben weisen drei auf Jobs hin. Das sind immerhin 60 Prozent. Allerdings 40 Prozent zu wenig. Insbesondere mit Hinblick auf das Plakat. Aber schauen wir uns mal weiter um. Bewerbungen im Pepper’s bspw. scheinen eher aussichtslos. Abgesehen von der fehlerhaften Aussage “Qualität, Geschmack und keine Experimente” (man greift dort gerne auf Convenience und Produkte mit Geschmacksverstärkern und sonstigen Zusatzstoffen zurück – von Qualität und Geschmack kann also keine Rede sein. Wobei da ja auch nichts von “gutem” Geschmack steht. Insofern nehme ich das zurück), findet man dort auch keine Jobs:
Klar, kann immer mal vorkommen. Dann aber darf es auch ein entsprechender Hinweis auf der Website sein. Vielleicht auch mit der Bemerkung, dass Initiativbewerbungen gern gesehen sind. Muss aber nicht sein.
Wie sieht es im Bernstein aus? Dort gibt’s zwar derzeit keine Jobs für Bar und Service, aber bewerben kann man sich trotzdem online. In der Küche gibt’s Jobs. Aber online bewerben geht dort nicht. Bewerbungen bitte per Post. Ein Prinzip, welches sich mir nicht ganz erschließt. Aber vielleicht denkt man sich, die schlecht bezahlten und illegal als Spülhilfe mit Migrationshintergrund beschäftigten Mitarbeiter sind mit solchen Formularen überfordert. Dann ist das natürlich okay :-)
Wobei ich mich gerade frage, ob so eine Zweiklassengesellschaft beim Bewerbungsverfahren nicht auch diskriminierend ist und damit gegen das AGG verstößt. Wer weiß es, wer weiß es, weiß es jemand?
Einen haben wir ja noch. Das Glück und Seligkeit. Quasi das beste Pferd im Stall. Zumindest äußerlich. Und wie sieht es da mit den Jobs auf der Website aus? Immerhin wird man da auf der Website schon einmal mit einem netten Text empfangen, der in wenigen Worten (und mit Witz, haha) die Karrriereperspektiven im Unternehmen darstellt. Kostprobe gefällig?
“Bei uns können Sie Menschenkenner, Berater, Serviettenfalter, Psychologe, Weinexperte, Fitnessguru, Platzanweiser, Jongleur, Seelentröster, Eventmanager, Trinkgeldzähler, Fremdsprachenkorrespondent, Gourmet, Organisator, Entertainer, Serviceprofi, Tellerwäscher (mit Chance auf Millionär) oder berühmt werden. Ein Job mit allen Möglichkeiten – Wo gibt’s das sonst?”
Ja, sa-gen-haft! Wo kann man das sonst? Erinnert mich im Übrigen stark an die Jobs-Seite der Sansibar auf Sylt:
“Du bist ein Original? Aber auch ein Akrobat/in – immer auf der Suche nach Adrenalin, Action und Abenteuer? Ein Mensch gewordener Speedy Gonzales, der lieber rennt als verpennt? Und ein Magier/in, der Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und Teller/Töpfe zu balancieren vermag? Dann bist Du einer von uns – oder solltest es zumindest werden.
Denn die SANSIBAR ist mindestens genauso einzigartig, unverwechselbar, kurzum legendär – eine Bretterbude, gebettet in den Dünen von Sylt mit Blick auf die Nordsee, die jedes Herz erobert, die besten Gerichte und coolsten Weine auf der Karte hat und mit einem dynamischen und herzlichen Team begeistert. DU willst dazugehören? Dann schick uns einfach deine DNA in Kurzform und pack Deine lächelnde Visage auf einem Foto gleich dazu. Wir erwarten Dich mit Fanfaren und Trompeten und versprechen alles – aber niemals Langeweile. Sondern Spaß, tolle Gäste, die schönste Location auf Erden und Begegnungen der dritten Art.”
Immerhin werden da derzeit ausgeschriebene Vakanzen angezeigt. Und es sieht so aus, als würden sich da weitere Infos zu den Jobs verbergen.
Es sieht aber leider nur so aus. Denn was so aussieht wie Links, ist leider einfach nur farblich hervorgehobene Fettschrift. Schade eigentlich.
So bleiben mir als abschließendes Fazit zwei Statements:
Übrigens: Was halten Sie davon, so ein Feedback-System bei sich im Unternehmen zu installieren? Da können Ihnen dann Bewerber unmittelbar nach oder während des Vorstellungsgespräch Feedback geben (oder umgekehrt :-)) oder Ihre Mitarbeiter Sie bewerten. Und das erspart Ihnen dann lästige Bewertungen auf xununu ;-) War ‘n Spaß!
In diesem Sinne, schönes Wochenende!
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