06. März 2017
Stellenanzeige für Pflegefachkräfte provoziert mit Gehaltsangabe
Lesezeit: 5 Min. PersonalmarketingStellenanzeigen
Zwar lässt die Aussage “Pflegefachkräfte verdienen nicht überall 3.400 Euro“, wie sie derzeit in einer Stellenanzeige einer Würzburger Pflegeeinrichtung proklamiert wird, offen, ob man sie denn tatsächlich dort verdienen kann – dennoch sorgt sie in Mainfranken (und wohl bald auch darüber hinaus) für Aufregung. Erstens, weil eine Pflegefachkraft nach landläufiger Meinung wohl kaum so viel verdienen kann, zweitens weil die Stellenanzeige mit einem Tabu-Thema bricht: Der Gehaltsangabe in einem Stellenangebot.
Wie so oft, bin ich mal wieder durch Zufall bei der Recherche für einen Vortrag – diesmal für Pflegeeinrichtungen – über eine spannende Story gestolpert. Waren es neulich noch die frechmutigen Ideen eines Polizeiwerbers aus NRW, ist es heute die – auch weil sie mit einem Tabu-Thema bricht – Stellenanzeige einer Pflegeeinrichtung aus Würzburg, genauer der “Senioreneinrichtungen des Landes Würzburg”.
Gehaltsangabe in Personalwerbung sorgt für Diskussionen. Und Bewerbungen.
Das, was für Diskussionen sorgt, ist die Aussage, dass eine Pflegefachkraft “nicht überall 3.400 Euro verdient“. Denn das scheint kaum vorstellbar und widerspricht sämtlichen Klischees von der schlecht bezahlten Pflegebranche. Diese Erfahrung machte vor einiger Zeit ja bereits die Vorwerker Diakonie mit einem ähnlichen Tabu-Bruch.
Da die Einrichtung auf die klassische Print-Anzeige nicht eine einzige brauchbare Bewerbung erhielt, versuchte man es mit rollender Personalwerbung: Zum Preis eines einzigen Inserats wurden die 50 Einsatzfahrzeuge der Einrichtung mit einem werbewirksamen Spruch beklebt, der auf die guten Verdienstchancen für Pflegefachkräfte hinwies. “Wären 3.000 Euro in Ordnung?” stand dort zu lesen. Weitere Informationen fanden sich dann auf der eigens eingerichteten Microsite. Resultat: 31 Bewerbungen und vier Anstellungen innerhalb kürzester Zeit. Genau wie bei den Kollegen in Würzburg auch, gelingt es nicht nur, Bewerbungen zu generieren. Es wird auch dem Vorurteil entgegen gewirkt, dass Stellen in der Pflege generell schlecht bezahlt sind. Ein Vorurteil, mit dem seinerzeit (unter anderem) eine kleine Pflegeeinrichtung für die Stelle als Eier legende Wollmilchsau warb und dank der “ehrlichsten Stellenanzeige Deutschlands” viel Aufmerksamkeit und auch die passenden Bewerber fand.
Zurück nach Würzburg. Die Anzeige wurde unter anderem im Szene-Magazin FRIZZ veröffentlicht, aber auch in der regionalen Presse. Was mir dabei besonders gut gefällt: Auch die AWO wirbt in der Februar-Ausgabe um Pflegefachkräfte. Und das sowohl auf der Titelseite als auch im Rahmen eines Advertorials. Und genau auf der gegenüberliegenden Seite sowie auf der Titelseite der März-Ausgabe lockt die Anzeige der Senioreneinrichtungen mit eben diesen 3.400 Euro. Wer diese Wettbewerbssituation wohl für sich entscheidet?
Auch bei dieser Kampagne schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Bewerberfang und Aufklärung. “Nachdem landauf, landab in allen Medien über die Bezahlung der Pflegefachkräfte diskutiert wird, erachten wir es für sinnvoll, dass auch einmal Zahlen genannt werden“, so Alexander Schraml, Geschäftsführer der Senioreneinrichtungen in einem Interview der Mainpost. Ihm geht es vorrangig um Personalgewinnung in einem heiß umkämpften Fachkräftemarkt. Auch die Diskussion um die schlechte Bezahlung in der Branche will er damit eindämmen. Wie sich die 3.400 Euro errechnen, verrät die Microsite willkommen-im-team.info und bietet Interessenten an, sich diese Zahlen in einem persönlichen Rechenbeispiel belegen zu lassen – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass neben Schicht-/Wechselschichtzulagen, Zeitzuschlägen, jährlichen Sonderzahlungen und jährlichen Leistungsentgelten noch vermögenswirksame Leistungen, Betriebliche Altersversorgung , ein Zuschuss bei Entgeltumwandlung, ein Ausgleichsbetrag bei Urlaub und Krankheit, ein Zuschuss zu Kinderbetreuungskosten, ein Zuschuss zum Jobticket und ein Zuschuss für Gesundheitskurse on top kommen.
Tja, so viel Transparenz gibt es wohl selten und somit ist die Kampagne definitiv aller Ehren wert. Schade, dass dennoch Potenzial verschenkt wird. Denn tatsächlich wird aus der Anzeige nicht wirklich klar, dass man das Geld in der Einrichtung verdienen kann. Wenn es heißt “Pflegefachkräfte verdienen nicht überall 3.400 Euro“, so fehlt doch der entscheidende Zusatz “Aber bei uns”. Und das “Haben wir Ihr Interesse geweckt?” erinnert an so manche lahme Abgesänge, wie man sie zu Tausenden bei Stellenanzeigen findet. Wobei ich eigentlich froh bin, wenn überhaupt so etwas wie eine Handlungsaufforderung vorhanden ist. Denn diese stellen auch eher die Ausnahme, als die Regel dar.
Können sich Pflegeeinrichtungen Stellenanzeigen sparen?
Auch die Microsite, die weitere Informationen zur Anzeige enthält, weist Optimierungspotenziale auf. So findet sich zwar die Aufschlüsselung, wie sich die 3.400 Euro errechnen, Informationen zum Arbeitgeber gibt es aber nur rudimentäre, und auch die Informationen zur Ausbildung sind ausbaufähig. Einblicke in den Arbeitsplatz, weiterführende Inhalte zu den gelebten Werten sucht man leider ebenfalls vergebens. Einen Daumen hoch aber dafür, dass der persönliche Ansprechpartner nicht nur mit Kontaktdaten genannt wird, sondern auch mittels Bild präsent ist. So weiß man also immerhin, mit wem man es im Falle einer Bewerbung zu tun hat. Schade nur, dass die Seite nicht mobil optimiert ist.
“Hören Sie auf, Stellenanzeigen zu platzieren, spenden Sie das Geld lieber”.
Das sage nicht ich, so wird Michael Isforth vom Institut für Angewandte Pflegeforschung in Köln im SZ-Artikel “Pflegeheime können sich Stellenanzeigen sparen” zitiert. Das ist natürlich absoluter Unsinn. Richtig wäre vielmehr die Aussage “Hören Sie auf, austauschbare, lieblose und an den Bedürfnissen der Bewerber vorbei gehende Stellenanzeigen zu platzieren”.
So steht in einer Umfrage unter Altenpflegeschülern, warum sie den erlernten Pflegeberuf nicht aufnehmen, die schlechte Bezahlung an erster Stelle, gefolgt von der Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen bzw. den Arbeitszeiten. Genau hier muss also eine Einrichtung (gilt aber auch für jeden anderen Arbeitgeber) ansetzen: Nämlich sich den Bedürfnissen und Wünschen der Mitarbeiter und Bewerber zu stellen. Hat ein Unternehmen ernsthaftes Interesse, seine Stellen zu besetzen und überlebensfähig zu bleiben, sollte es diese befriedigen.
Das gelingt natürlich mit wirksamem Personalmarketing (vorausgesetzt natürlich, die gelebten Werte und realen Umstände lassen dies zu). Ein Blick auf diverse Umfragen, welche Informationen Bewerber wünschen (oder potenzielle Mitarbeiter abschrecken, siehe oben) ist da hilfreich. Angaben zum Lohn, und die möglichst konkret, stehen da meist ganz oben. Insofern ist der “Würzburger Ansatz”, so nenne ich ihn einfach mal, absolut richtig. Und Bewerber sehen wahrscheinlich großzügig über die von mir monierten Aspekte hinweg, weil sie sich freuen, überhaupt Informationen zu bekommen.
Irgendwie ist es schon befremdlich, dass gerade eine Branche, die ganz besonders laut über den Fachkräftemangel jammert, die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Obwohl sich der Arbeitsmarkt längst zum Bewerbermarkt gewandelt hat, werden Bewerber immer noch wie lästige Bittsteller behandelt oder dank liebloser Stellenanzeigen, unwürdiger Bewerbungsprozesse oder menschenverachtender Aussagen in die Flucht geschlagen. Da ist es kein Wunder, dass Pflegeeinrichtungen selbst zum Pflegefall werden.
Stellenanzeigen in der Pflege habe ich keine zu bieten. Und wohl auch keine mit Gehaltsangabe. Dafür aber…
Update Recruiting 17.03 – die Recruiting Topics im März 2017
Sonja Auf der Maur
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Sonja Auf der Maur