Krankenschwestern saufen nur Kaffee. HELIOS-Gründer tritt Mitarbeiter und Arbeitgebermarke mit Füßen

Lesezeit: 9 Min. Employer BrandingRecruiting

Eigentlich habe ich gar keine Zeit zum Bloggen. Und eigentlich hätte ich heute, wenn ich denn die Zeit zum Bloggen hätte, über was anderes geschrieben. Über Frauen mit roten Halsbändern zum Beispiel. Aber das hat Zeit. Apropos Zeit: Da die beste Ehefrau von allen gerade Germany’s Next Kinder-Model schaut, habe ich dann also doch das, wovon ich eben schrieb, ich hätte es nicht: Zeit. Und ich versuche mich kurz zu fassen. Vielleicht gelingt es mir ja. So, wie es dem Gründer der HELIOS Kliniken in einem Spiegel-Interview gelungen ist, mit wenigen Worten seine Mitarbeiter und seine Arbeitgebermarke mit Füßen in den Dreck zu treten (in den er meiner Auffassung nach mit dieser Aussage selbst gehört). Dies ist wirklich mal wieder ein Leerstück Lehrstück in Sachen wie Sie es schaffen, innerhalb weniger Sekunden ihren guten Ruf zu verspielen. Und das geht so:

Nehmen Sie mal an, Sie wären ein großer, renommierter Arbeitgeber. Oder eben auch nicht groß, aber bekannt. Populär. Erfolgreich. Mit einem großen Bedarf an Fachkräften. Mit einem sehr großen Bedarf. An Fachkräften aller Art. Nehmen wir weiter an, Sie wären der Betreiber, vielleicht sogar der Gründer eines der größten Krankenhaus- und Kliniken-Konglomerates in Europa. Mit 74 Kliniken, darunter 51 Akutkrankenhäuser mit sechs Krankenhäusern der Maximalversorgung sowie 23 Rehabilitationskliniken. Mit 35 Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), fünf Rehazentren und 13 Pflegeeinrichtungen. Die stationär jährlich rund 780.000 Patienten versorgen und über mehr als 23.000 Betten verfügen. Mit über 43.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund 3,2 Milliarden Euro im Jahr 2012. Haben Sie das? Schon ein ganz schönes Schwergewicht im Gesundheits-Sektor, oder?

Top-Arbeitgeber im FOCUS Ranking

Aber natürlich sind auch Sie als so ein Großunternehmen nicht vor dem Fachkräftemangel gefeit. Und natürlich sind Ihre Chancen deutlich größer, Personal zu finden, als die eines kleinen städtischen Krankenhauses in irgend einem unbekannten Landkreis. Weil, man kennt Sie ja. Das ist so ungefähr wie bei Siemens, BMW, Porsche und Bosch: Alle Welt kennt diese Unternehmen, jeder Absolvent will dahin und in jedem Absolventenbarometer stehen diese Unternehmen immer ganz weit oben (weil, klar, jeder kennt diese Unternehmen). So ungefähr ist das mit HELIOS. Wie auch in der Welt der Automobilisten und Fast Moving Consumer Goods (die heißen wirklich so), sind die Großen bekannt und können sich im Zweifelsfall vor Bewerbungen nicht retten. Und die Kleinen, die Unbekannten, die so genannten Hidden Champions schauen in die Röhre. Keiner kennt sie. Keiner bewirbt sich bei ihnen. Weswegen es ja auch so wichtig ist, die Mauern einzureißen bzw. ein paar Tricks aus der Partnersuche auf die Bewerbersuche anzuwenden. Aber das nur am Rande. Wie gesagt, HELIOS hat all diese Probleme nicht. HELIOS ist sogar Top Arbeitgeber. Also zumindest laut FOCUS. Dass dieses Auszeichnung nicht mal so viel Wert ist, sich seinen Hintern damit abzuwischen, steht auf einem anderen Blatt Papier. Obwohl… Wenn ich bedenke, was es kostet, dieses Siegel für Werbezwecke einsetzen zu dürfen (für ein Jahr 10.000 Euro) und was eine Packung Toilettenpapier kostet (nehmen wir mal das dreilagige, da sind wir bei ca. 3 Euro/10 Rollen, also bei… rund 33.333 Rollen.)… Aber lassen wir das. HELIOS ist sogar so transparent, dass man die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragungen aus den Jahren 2008 und 2011 auf der Website veröffentlicht. Ist die Frage, ob man das dann für 2013 auch noch macht. Aber dazu später.

Ein Blick jenseits der Karriere-Website und geschönter respektive wertloser weil per Express- oder FOCUS zustande gekommener kununu-Bewertungen offenbart übrigens ein etwas anderes Bild dieses vermeintlich vorbildlichen Arbeitgebers. Man liest von unfairem Personalabbau, gestiegenem Druck, nachlassender Qualität, steigender Arbeitsbelastung etc. Gut, damit ist HELIOS beileibe kein Einzelfall. Nahezu in allen von Gier und Maßlosigkeit getriebenen Unternehmen findet man solch ein Bild. Alle starren nur auf Wachstum, Wachstum, Wachstum. Klar, Luxusyachten, -autos und -wohnungen eines milliardenschweren Unternehmensgründers wollen finanziert werden. Das natürlich immer auf dem Rücken der Mitarbeiter. Damit nächstes Jahr ein noch größerer Gewinn vermeldet werden kann. Und man sich noch größere Gewinnbeteiligungen ausschütten kann. Aber ich schweife ab. Misstöne gab es also schon immer bei HELIOS. Klar, wo sich ein Riese weitere Kliniken einverleibt, finden natürlich findige Controller und Wirtschaftsprüfer immer Mittel und Wege, Kosten zu sparen und Personal abzubauen. Trotzdem wird der ein oder andere natürlich auf seinen Job und seinen Arbeitgeber schwören. Und das ist gut so. Irgend einer muss ja positive Stimmung verbreiten. Und das tut man ordentlich auf der Karriere-Website. Wer bekommt angesichts dieser Bilder mit fröhlichen Mitarbeitern nicht Lust, sofort bei HELIOS anzufangen?

Karriere bei HELIOS - Ein Netzwerk voller Möglichkeiten

 

Oder?

Krankenschwestern saufen Kaffee

Ich glaube, dass jedem HELIOS-Mitarbeiter, zumindest aber jeder Pflegefachkraft, die die letzte Spiegel-Ausgabe und dort den Artikel “Die Klinik-Controller” aufschlug, jedwegliches Lächeln im Gesicht gefror und der Arm, der gerade die Tasse Kaffee zum Mund führen wollte, in der Bewegung erstarrte. Stellen Sie sich mal vor, Sie seien glücklicher und loyaler Mitarbeiter, (die wird es trotz Umstrukturierungen, Personalabbau und mieser Arbeitsbedingungen geben, manche geben sich halt mit dem zufrieden, was sie haben), ja, vielleicht sogar Pflegefachkraft und Ihrem Arbeitgeber treu ergeben (ich weiß ich stelle Sie jetzt auf eine harte Bewährungsprobe, oben forderte ich Sie noch auf, sich in die Rolle eines Unternehmensgründers hineinzuversetzen, jetzt sinken Sie so tief und sollen sich in die Rolle einer der zahlreichen und händeringend gesuchten Pflegekräfte der HELIOS-Kliniken versetzen. Ich verlange Ihnen einiges ab) – und dann lesen Sie so etwas hier:

“Gehen Sie doch mal nachmittags in ein Krankenhaus und besuchen Sie einen Angehörigen, dann sehen Sie das Schwesternzimmer, an dem ein Schild hängt mit der Aufschrift ‘Übergabe’. Wenn Sie die Türe öffnen, sehen Sie, wie sie Kaffee saufen.”

Genau das hat HELIOS-Gründer Lutz Mario Helmig nämlich laut Spiegel im Zusammenhang mit der Tatsache gesagt, dass der Arbeitsdruck unter den Pflegekräften enorm hoch sei und die Zahl der der Patienten zwischen 2001 und 2011 um 5,9 Prozent zugenommen, die Zahl der Pflegekräfte im gleichen Zeitraum aber um 6,2 Prozent abgenommen hat. Konfrontiert mit diesen Tatsachen kann Herr Helmig darüber nur lächeln und haut dann solch einen Spruch raus. Unfuckingfassbar, wie ich meine. Aufmerksam auf dieses Zitat wurde ich im Übrigen durch einen Eintrag auf Facebook. Eigentlich bin ich da nur noch selten aktiv, ist Facebook doch ein absolut nervtötender Zeitfresser. Und nicht nur das: Die Selbstdarstellung der meisten Mitglieder dort grenzt an Exhibitionismus (und dann wundert man sich, wenn die Edathys dieser Welt Nacktfotos von Kindern auf ihrer Festplatte haben. Sie sind ja für jedermann zugänglich, weil jeder Depp auf Facebook meint, alles und jeden Mist der Welt mitzuteilen)). Nun, manchmal ist es dann doch zu etwas nütze, bspw. als Auslöser für einen Blogartikel :-).

Auch ich musste einige Male schlucken, als ich das las. Was für ein dummer Arsch, dachte ich mir. Entschuldigen Sie die Wortwahl, aber so dachte ich mir nun mal. Im nächsten Moment dachte ich mir, klasse, wie es da jemand schafft, mit wenigen Worten den (guten?) Ruf eines Arbeitgebers aufs Spiel zu setzen. Und ich bin da nicht alleine, wie diverse Kommentare auf Facebook belegen.

Krankenschwestern saufen Kaffee - Kommentare auf das Zitat des Helios-Gründers auf Facebook

“Wenn er besser informiert wäre dann wüsste er das in den meisten Kliniken Übergabe am Bett stattfindet! Aber wahrscheinlich nicht in den Helioskliniken. Ich glaub da nimmt man es nicht so mit Professionalität. Aber lasst mal, der Pisser wird auch mal krank. Und dann braucht er uns!!!” – “Richtig, nur mit dem Unterschied, dass ihm der Puderzucker in den Ar….gespritzt wird, und solange dies so ist, ändert sich nichts”

“Wie, bitte sollte das Personal so eine Drecksau als Chef ertragen, wenn nicht ohne Kaffee????”

“Bei solchen Aussagen wie die des Helios-Gründers kommt mir mein Kaffee aber gleich wieder hoch. Auch ne Art Übergabe…”

“Was für ein Arsch !!! Wir schrubben Hintern und der lümmelt wahrscheinlich in seinen Armani- Anzug im Büro und säuft da selber Kaffee !!!”

Dies ist nur eine kleine Auswahl, jeden einzelnen Kommentar würde ich sofort unterschreiben, wobei ich in der Tat ein wenig besorgt um den ein oder anderen Kommentatoren bin, der hier so öffentlich und für alle Welt (und damit auch für den Arbeitgeber HELIOS selbst) seine Meinung kundtut (sieh oben). Denn das kann auch mal nach hinten losgehen. Aber das ist ein anderes Thema…

Kommentar zum Helmig-Zitat

Ist die Frage, welche Auswirkungen das auf das Arbeitgeber-Image hat. Und bspw. auf die Bewertungen auf kununu. Selbst wenn ich der loyalste HELIOS-Mitarbeiter wäre und immer hinter meinem Arbeitgeber stehen, nach solch einer Äußerung würde ich dies definitiv nicht mehr tun. Hier hilft auch keine für alles Welt der Geld gekaufte und von einer Kreativ-Agentur in ein noch so rechtes Licht gesetzte “Employer-Branding-Kampagne” (finde den Fehler!, wer ihn findet, nimmt automatisch an der Verlosung eines der begehrten Tickets für DAS HR-Event des Jahres teil (vorausgesetzt, er findet ihn nicht nur, sondern teilt mir sowohl ihn als auch seine Kontakdaten mit)). Hier sind Hopfen und Malz auf lange, lange Zeit verloren.

Alles nur eine clever ausgeheckte Viral-Kampagne?

Obwohl… Viele Arbeitgeber meinen ja, immer möglichst viele Bewerbungen bekommen zu müssen. Wie im täglichen Leben hat man auch da das Gefühl, es ginge um den ewigen Schwanzvergleich. Was, du bekommst im Jahr nur 12.000 Bewerbungen? Lächerlich, wir bekommen 20.000! Das ist so ungefähr wie die Geschichte mit den Facebook-Fans oder Twitter-Followern. Oder was auch immer. Merke: Nicht die Quantität zählt, es ist die Qualität (hm, ob ich mir das mal zu Herzen nehme und nicht mehr so lange, dafür aber qualitativ hochwertige Blogbeiträge schreibe? Ich denke mal drüber nach…). Es geht nicht um möglichst viel, es geht um die passenden Bewerber.

Insofern war das also vielleicht ein taktischer, wohl überlegter Schachzug des HELIOS-Gründers und Teil einer in vielen koksdurchzechten Nächten ausgeheckten Viral-Kampagne: Man möchte damit die Bewerber anziehen, die eine ebensolche Denke haben, wie Herr Helmig. Also bspw. Führungskräfte von Discountern wie Lidl, Netto & Co., die gerne über Leichen gehen und bspw. Mitarbeiter unter lächerlichsten Vorwürfen schassen, nur damit die Zahlen einer Filiale stimmen. Und bei der Menge an Arbeitslosen und Hartz IV-Empfängern, die wir haben, gibt es auch jede Menge da draußen, die sogar für einen Stundenlohn von 6 Euro fuffzich den Job annehmen, um nur wieder eine ausfüllende Beschäftigung zu haben. Gab es seinerzeit unter Jetzt-Verteidigungsminister-Von-der-Leyen nicht die Diskussion, die  Schlecker-Frauen auf Pflege umzupolen? Warum hat HELIOS nicht eigentlich die Schlecker-Filialen übernommen? Die Filialen hätte man dann trotzdem dicht gemacht, die Mitarbeiterinnen in die Krankenhäuser gesteckt. Wäre ein super Deal gewesen. Ist nur keiner drauf gekommen.

Was bleibt mir übrig zu sagen? So  genau weiß ich das auch nicht. Ich auf jeden Fall möchte nicht in der Haut eines HELIOS-Recruiters stecken, dessen Bemühungen, Spitzenkräfte fürs Unternehmen zu gewinnen, durch eine einzige, unbedachte Bemerkung eines geldgeilen, menschenverachtenden Firmengründers gerade von jetzt auf gleich zu nichte gemacht wurden. Ein Gutes hat das Ganze allerdings: Die anderen Klinik-Betreiber, die sich der nimmersatte Riese HELIOS noch nicht einverleibt hat, wird’s freuen. Denn die haben einen Konkurrenten im harten Wettbewerb um die Talente weniger.

In diesem Sinne:

Keep calm and drink coffee - Quelle zazzle

Kommentare (4)

Kinderspital Zürich: Den Interessenten alles Gute | buckmannbloggt.

[…] und emotionalen Arbeitgeberauftritt überzeugen, sind noch immer in der Minderzahl und manche agieren denkbar ungeschickt.  Immerhin gibt es auch in dieser Branche erste Beispiele von Recrutainment-Ansätzen und in der […]

Rico

Ich habe mir das ganze mal aus Kommunikationssicht mit Blick auf Verantwortung und Führungskommunikation angeschaut. Es ist und bleibt ein komplettes Negativbeispiel: http://www.pronline.de/diskussion/kommunikations-fail-der-woche-saufen-krankenschwestern-nur-kaffee/

personalmarketing2null

Hallo Herr Schulz, ALLES auf dieser Welt ist es wert, auf die abendliche GNTM-Episode zu verzichten ;-). Genau das mit der Runkelrübe habe ich auch gedacht... Eigentlich müssten wir noch eine Kategorie aufmachen - so was wie "die dämlichste Art, seinen Ruf als Arbeitgeber aufs Spiel zu setzen" oder dergleichen. Grüße nach Wien und ein schönes Wochenende! Henner Knabenreich

Jakob Schulz

Pointierter Artikel der es absolut wert war, auf die abendliche Germanys Next Topmodel-Episode zu verzichten. Nur gibt es (bisher) leider keine entsprechende Kategorie bei der goldenen Runkelrübe, um diesen Auftritt zu "würdigen" :( Es grüßt aus Wien, Jakob Schulz
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