30. Mai 2014
WOW. Zappos sagt “Good bye” zu Stellenanzeigen
Lesezeit: 8 Min. RecruitingStellenanzeigen
Stellen Sie sich mal vor, Sie müssten sich nie mehr mit irgendwelchen austauschbaren Stellenanzeigen-Texten beschäftigen. Sich nie wieder Gedanken darüber machen, wo Sie welche Stellenanzeige schalten. Nie wieder frustriert sein, weil keine Bewerbungen auf Ihre Stellenanzeigen reinkommen. Oder nie wieder frustriert sein, weil Sie Tausende von Bewerbungen bekommen. Stellen Sie sich also einfach mal vor, Sie würden gar keine Stellenanzeigen mehr schalten. Nie mehr. Nirgends. Wäre das nicht ein Traum? Das Unternehmen Zappos hat ihn wahr gemacht.
Wenn Ihnen Zappos nichts sagt: Zappos ist quasi die Blaupause für Zalando. Gewesen. Wenn Ihnen Zalando nichts sagt (trotz der massiven Werbung bzw. trotz der Kritik): Das ist so was wie Amazon. Bloß für Schuhe und Klamotten. Und wenn Ihnen Amazon nichts sagt: Amazon ist so was wie ein riesengroßer Gemischtwarenladen. Bloß in online. Zappos wurde 1999 in den USA gegründet und gehört seit 2009 zu Amazon. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen über 1.500 Mitarbeiter und ist der weltweit erfolgreichste Online-Versandhändler für Schuhe. Und Zappos ist natürlich ein sehr beliebter Arbeitgeber. Davon zeugt unter anderem die Tatsache, dass es bereits zum sechsten Mal in Folge als “FORTUNE’s 100 Best Companies to Work For” ausgezeichnet wurde. Maßgeblich dazu bei trägt die einzigartige Unternehmenskultur.
Sichten von Bewerbungen kostet Recruiter Lebenszeit
Und weil Zappos so wahnsinnig beliebt ist – nicht nur bei den Kunden, sondern auch bei Bewerbern – bekommt man dort jedes Jahr gaaanz viele Bewerbungen. Letztes Jahr waren es 31.000. Von diesen 31.000 Bewerbungen wurden dann 1,5 Prozent, sprich 465 Mitarbeiter eingestellt. Und der Rest? Dem wurde abgesagt. Jetzt überlegen Sie mal (und das hat man bei Zappos), was das für eine Zeitverschwendung ist. Es ist weniger die Zeit, die das Sichten der Bewerbungen in Anspruch nimmt (hier legt man jetzt nach einer in den USA durchgeführten Eyetracking-Studie eine Zeit von durchschnittlich sechs Sekunden zu Grunde) – es ist vielmehr die Zeit, die es benötigt, um 30.000 Absagen zu erstellen. Und die die armen Recruiter damit beschäftigt sind.
Zappos ist ein sehr verantwortungsbewusster Arbeitgeber, nimmt das Wohlergehen seiner Mitarbeiter sehr ernst und achtet darauf, dass weder Arbeits- noch Lebenszeit verschwendet werden. Abgesehen davon, hatte Zappos bereits 2010 festgestellt, dass Fehleinstellungen in den vergangenen Jahren Kosten von über 100 Millionen Dollar verursacht haben. Das mag im Übrigen daran liegen, dass Zappos am Ende eines erfolgreichen Recruiting-Prozesses seinen Kandidaten 2000 US-Dollar bietet, damit sie nicht dort anfangen, wenn sie nicht so richtig überzeugt sind. Und kurze Zeit später sogar noch einmal 3000 US-Dollar. Denn nur, wer wirklich bei Zappos sein und sich wohl fühlen will, soll dort bleiben. So weit, so gut. Dass der Bewerber zum Unternehmen passen muss, ist nichts ja nichts Neues. Aber so rigoros gehandhabt wird das wohl nur dort :-)
Nummer eins der gelebten Werte von Zappos ist “Deliver WOW through Service“. Das steht sogar auf den Zappos Schuhkartons.
“At Zappos, anything worth doing is worth doing with WOW.
WOW is such a short, simple word, but it really encompasses a lot of things. To WOW, you must differentiate yourself, which means doing something a little unconventional and innovative. You must do something that’s above and beyond what’s expected. And whatever you do must have an emotional impact on the receiver. We are not an average company, our service is not average, and we don’t want our people to be average. We expect every employee to deliver WOW.”
Ein weiterer Punkt zum oben genannnten, der zum Nachdenken anregte: Die Karriereseite hat eine Absprungrate von 80 Prozent. Viele potenzielle Kandidaten haben nicht das gefunden, wo nach sie suchten und warum im Nu wieder weg. Umso gravierender, als dass der nächste Arbeitgeber nur einen Mausklick entfernt ist. Aber allein die Tatsache, dass der Link zu den Jobs gaaanz weit unten im Footer versteckt ist, ist vielleicht nicht so klug, Mr. Bailen. Abgesehen davon liegt es vielleicht an der Jobsuche und den Jobtiteln selber? Den mangelnden Informationen zum Arbeitgeber?
Klar, eine “einzigartige Kultur” (wie einzigartig ist einzigartig?), ein Hinweis auf die “Top-Arbeitgeberauszeichnung” (wobei der Link im Übrigen nicht funktioniert, abgesehen davon man selbst auf der Seite, die diese Informationen letztendlich bereit hält, keine Informationen zu dieser einzigartigen Unternehmenskultur findet), ein “world-class and fairly wacky team” (wie verrückt ist ziemlich verrückt?) vermitteln einen tollen Eindruck vom Arbeitgeber. Ganz abgesehen von der Information, dass es sich um einen drogenfreien Arbeitsplatz handelt. Und wenn Zappos doch meint, dass Videobewerbungen so viel cooler sind, als ein schnödes Bewerbungsschreiben – warum geht man dann nicht mit gutem Beispiel voran und zeigt sich als authentischer Arbeitgeber in netten Videos??
Oder liegt es an den wenig aussagekräftigen Inhalten respektive dem Aufbau der Stellenanzeigen?
Nur mal so am Rande. Wäre glatt was für die Goldene Runkelrübe.
Nachdem man bei Zappos also schlaflose Nächte verbracht hatte und ein ein wenig hirnstürmte, kann man zu dem Schluss, dass dieses “WOW” den Recruiting-Prozess noch nicht erreicht hat. Man quasi von einem “Candy Date” noch weit entfernt ist. Oder um es mit den Worten von Michael Bailen, seines Zeichens HR-Senior Manager bei Zappos, zu sagen:
“I want our recruiters to build long-term, sustainable relationships with people. I don’t want our first interaction with someone to be over a rejection email template. I want our team to deliver the same WOW experiences that have made Zappos … Zappos. The problem is, our recruiters are too damn busy. Too busy to build real relationships, too busy to WOW our candidates, and too busy to strategically seek out thought leaders, innovators, and entrepreneurs who will advance our business and drive our culture forward for years and years to come.”
WOW. Zappos schafft die Stellenanzeige ab
So. Und wie erreicht man diesen WOW-Effekt? In dem etwas tut, was weit von dem entfernt ist, was andere erwarten. Und was den Empfänger = Bewerber vom Sockel haut. Was unkonventionell ist und innovativ.
Man sagt “Good bye Job Postings” und schafft die Stellenanzeige ab. Weil: Man spamt ja die Kandidaten (mit unqualifizierten) Stellenanzeigen zu. Und die machen es im Umkehrschluss auch (dass dieses vielleicht daran liegen könnte, dass man die Stellenanzeige vielleicht einfach zu unspezifisch formuliert hat oder das man dem Bewerber zu wenig Möglichkeiten mitgeliefert hat für sich zu prüfen, ob er und die einzigartige Unternehmenskultur zusammenpassen, steht natürlich nicht zur Diskussion). Meine Vermutung geht allerdings eher in eine andere Richtung. Bereits im Januar verkündete CEO Tony Hsieh, dass bei Zappos Jobtitel und Hierarchieebenen abgeschafft werden. Wie also soll man eine Stellenanzeige formulieren, wenn es gar keine konkreten Stellentitel mehr gibt. Ich glaube, so wird ein Schuh draus ;-)
Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, was Zappos nun tut, wenn man keine Stellenanzeigen mehr schaltet. Schließlich gilt es doch, über 400 Stellen zu besetzen. Wie soll man denn da die Leute finden, fragen Sie sich (zu Recht). Nun, zunächst einmal stimmt es nicht so ganz, was Mike Bailen da sagt. Zappos schaltet sehr wohl noch Stellenanzeigen. Sowohl auf deren Karriere-Website. Als auch auf indeed. Oder bei Simply Hired. Oder bei Glassdoor. Auch das nur am Rande.
Mitarbeiter nur noch über Zappos Insider
Ja, aber wie kommt Zappos denn nun an seine Bewerber? Na, ganz einfach mit einem eigenen und wohl bekannten Social Networks, die unter dem Zappos Insider zusammen gefasst werden. Was ist das nun wieder, werden Sie sich fragen. Na, ganz einfach:
Zappos Insiders are simply people who might want to work for Zappos someday… now, tomorrow or sometime down the road. It’s like a special membership for people who want to stay in touch with us, learn more about our fun, zany culture, know what’s happening at our company, get special insider perspectives and receive team-specific updates about the group that you’d like to join. There is no better way to stay in-the-know and for us to get to know each other than by becoming an Insider.
Wie das Ganze funktioniert, kann man sich dann auf deren Website anschauen. Wenn man sich dann dort per Facebook oder was auch immer anmeldet, erwartet einen erst mal ein umfangreiches Formular, welches es auszufüllen gilt. Im Übrigen bewirbt man sich damit nicht automatisch auf einen Job! Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das die Absprungrate nicht unbedingt verringert. Als besonders innovativ werden dann dort auch noch der entsprechende Twitter-Channel respektive die Insider-Facebook-Seite angekündigt. Wow. Oder? Natürlich. Klar, es ist cool, wenn ich eine Beziehung über Social Media zu künftigen Kollegen aufbauen kann und ich mir so einen Talentpool aufbaue. Aber erstens ist das gar nicht wirklich neu – gerade in Sachen Facebook-Seite macht einem das hier in Deutschland eine ehemalige Bundesbehörde (!), die Deutsche Flugsicherung, wunderbar vor. Zweitens ist das nur was für Unternehmen, die auch die Ressourcen und die passende Unternehmenskultur mitbringen. Wie einzigartig letztere ist, wird im Übrigen auf der Karriere-Site von Zappos nicht deutlich bzw. ist gut versteckt. Hier wird unglaublich Potenzial verschenkt. Ich habe mal ein wenig gestöbert und ein Video entdeckt, wo Sie sehr schön sehen können, wie die Zappos so ticken. Übrigens nicht auf dem Youtube-Channel von Zappos :-)
Interessanterweise setzt Zappos seit Bestehen vor allem auf eins, nämlich auf Mundpropaganda (merke: Mund-zu-Mund wird allenfalls beatmet, nicht aber propagiert). Kundenempfehlungen sind der Baustein von Zappos Erfolg. Massive Werbung spart sich der Web-Händler. Zufriedene Käufer bestellen nicht nur mehr und öfter – sie tragen die frohe Botschaft auch gern und gratis weiter. Wenn man aber doch so erfolgreich mit diesem “Word-of-Mouth” ist, warum setzt man es dann nicht schon längst auch im Recruiting ein? Mitarbeiterempfehlungen sind nicht ohne Grund eine der (wenn nicht sogar die) erfolgreichsten Maßnahmen in Sachen Recruiting. Gerade wer eine so einzigartige Unternehmenskultur wie Zappos besitzt, sollte sich dies zu eigen machen. Denn wer könnte die Besonderheiten und den Spirit eines Arbeitgebers am besten vermitteln und seinesgleichen fürs Unternehmen begeistern, wenn nicht die Mitarbeiter selbst?
Zappos hat mit der Meldung, die Stellenanzeige abzuschaffen, auf jeden Fall eins erreicht: Jede Menge Aufmerksamkeit. Und damit auch potenzielle Bewerber. Denn was Zappos bei all dem vergisst – toller Arbeitgeber hin oder her – nicht jeder hat das Unternehmen auf dem Schirm. Durch den Verzicht auf Stellenanzeigen verzichtet Zappos damit vor allem auf eins: auf jede Menge potenzielle Bewerber.
Business Intelligence in HR
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Gerhard Kenk