27. September 2024
Bewerbungsarchitektur: Entscheidend für den Recruiting-Erfolg
Lesezeit: 10 Min. Karriere-WebsitesRecruiting
Ähnlich wie in Deutschland nur ein kleiner Teil aller Bauwerke und Gebäude von Architekten geplant und gestaltet und der überwiegende Teil in Eigenregie oder von Handwerkern ohne große Planung und notwendige Sachkenntnis errichtet wird (mit oft entsprechenden Ergebnissen), verhält es sich auch mit Karriereseiten. Hier wird entweder versucht, Seiten ohne durchdachte Planung und ohne Rücksicht auf eine wirklich ernst gemeinte Candidate Experience in Eigenregie zu erstellen oder es wird auf standardisierte Produkte („Karriereseiten-Baukästen“, Recruiting Suites) zurückgegriffen. Dabei ist die Gestaltung einer durchdachten Bewerbungsarchitektur einer der kritischsten und wichtigsten Bausteine im Recruiting.
Bewerbungsarchitektur ist Stiefkind im Recruiting
Seit ich vor über 20 Jahren meine Leidenschaft für Karriere-Websites entdeckt habe und diese in zahlreichen Projekten, Vorträgen, Workshops, Büchern (mein Buch “Karriere-Websites mit Wow-Effekt” ist tatsächlich das weltweit erste und einzige Buch über Karriereseiten), Blogartikeln und Fachbeiträgen ausleben konnte, stelle ich immer wieder fest, dass der Bewerbungsarchitektur viel zu wenig Beachtung geschenkt wird und als Stiefkind im Recruiting ein Mauerblümchendasein fristet. Aber nicht nur die Bewerbungsarchitektur, sondern Karriereseiten im Allgemeinen.
Vorprogrammierte Bewerbungsabbrüche führen zu unbesetzten Stellen
So nutzt laut index Recruiting-Report 2024 fast ein Drittel (29 Prozent) der befragten Unternehmen überhaupt keine Karriereseite. Und lediglich 5 Prozent nutzen diese erfolgreich im Kontext der Mitarbeitergewinnung. Dass es beim Rest nicht klappt, dürfte auch an einer wenig durchdachten Bewerbungsarchitektur liegen. Was beispielsweise auch durch die Wollmilchsau Online-Recruiting-Studie bestätigt wird, die in den letzten Jahren eine zunehmende Auslagerung der Jobportale an Dritte (ATS-Anbieter) feststellt – Zwangsregistrierung inklusive. Und laut Netfed HR Benchmark realisieren nur 28 Prozent der 50 größten deutschen Unternehmen (ein Minus von rund 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr) ihre Karriereseite als Microsite. All dies ist keine Kleinigkeit, sondern stellt im Gegenteil eine ernsthafte Bedrohung für die Unternehmen dar -schließlich bedeuten die hier vorprogrammierten Bewerbungsabbrüche doch unbesetzte Stellen und in der Folge liegengebliebene Projekte, überlastete Mitarbeiter, Umsatzeinbußen und vieles, vieles mehr.
Die Bedeutung einer nahtlos funktionierenden Bewerbungsarchitektur kann gar nicht oft genug betont werden.
Ob hier aus Unwissenheit, Ignoranz oder „Bewerber-als-Erfüllungsgehilfe-Attitüde“ gehandelt wird, kann ich nicht abschließend beurteilen. Fakt ist jedoch, dass die Bedeutung einer reibungslosen, nahtlos funktionierenden, kandidatenzentrierten Bewerbererfahrung – auch vor dem Hintergrund des “Fachkräftemangels” – gar nicht oft genug betont werden kann. Denn ohne eine gute Bewerbungsarchitektur ist alles nichts. Doch zunächst einmal: Was heißt Bewerbungsarchitektur eigentlich?
Die Karriereseite ist Dreh- und Angelpunkt im Recruiting
Unbestritten fällt der Karriere-Website die größte Bedeutung zu, wenn es darum geht, sich über Jobs bzw. den Arbeitgeber zu informieren und sich zu bewerben. Denn hier laufen alle Fäden zusammen: Unabhängig davon, wie der Interessent auf Sie aufmerksam geworden ist – ob über Social Media, eine Online-Stellenanzeige in einer Jobbörse, eine Printanzeige, über Mundpropaganda, eine Plakatkampagne oder über andere Medien – die Karriereseite ist der Dreh- und Angelpunkt im Recruiting.
Je nachdem, auf welchem Wege man auf das Unternehmen und/oder die Karriereseite aufmerksam wurde,
- sucht man entweder nach weiteren Infos über den Arbeitgeber,
- startet seine Jobsuche
- oder bewirbt sich direkt.
Im Rahmen der Recherchen für die komplett überarbeitete Neuauflage meines Karriereseiten-Buches und beim Betrachten der vielen halbherzig gestalteten Karriereseiten fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren:
Was eine Karriereseite wirklich bedeutet, wie man den anschließenden Bewerbungsprozess medienbruchfrei gestaltet und welche Auswirkungen das alles auf den Recruiting-Erfolg hat, ist den wenigsten bewusst (oder aber egal).
Hier tut Aufklärung also dringend Not. Um die Bedeutung des Zusammenspiels von Karriereseite, unternehmenseigenem Jobportal, Stellenanzeige, anschließendem Bewerbungsprozess, UX etc. zu verdeutlichen, habe ich in Analogie zum Architekturbegriff den Begriff der Bewerbungsarchitektur entwickelt – in der Hoffnung, dass endlich verstanden wird, wie wichtig dieses nahtlose Zusammenspiel für den Recruiting-Erfolg ist. Denn ähnlich wie in der Architektur, wo jedes Element harmonisch ineinandergreifen und funktional sein muss, ist es auch hier wichtig, dass all diese Komponenten optimal aufeinander abgestimmt sind, um Nutzer (Bewerber wie Recruiter) zufriedenzustellen und das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
Aufgaben, Funktionen und Bedeutung von Architektur
Um den Begriff besser zu verstehen, müssen wir uns der Architektur, ihrer Funktion und Bedeutung zuwenden. Zu den Kernaufgaben und Funktionen der Architektur gehören zum Beispiel:
- Gestaltung von Gebäuden und Bauwerken: Hier geht es um die Konzeption und Gestaltung der physischen Form eines Gebäudes. Architekten entscheiden hier z. B. über Material, Form, Struktur und Raumaufteilung, um Gebäude funktional und ästhetisch ansprechend zu gestalten.
- Funktionalität und Ästhetik: Die Balance zwischen den praktischen Anforderungen an ein Gebäude und seiner visuellen Wirkung kann als zentrales Ziel der Architektur verstanden werden. Dabei geht es nicht nur darum, dass Gebäude nutzbar und funktional sind, sondern auch darum, dass sie ästhetisch ansprechend gestaltet sind. Allerdings bringt auch das schönste Gebäude nichts, wenn es nicht nutzbar ist.
- Raumplanung: Architektur sorgt für die funktionale und ästhetische Gestaltung von Räumen innerhalb und außerhalb von Gebäuden. Sie berücksichtigt, sowohl wie Räume genutzt werden und funktionieren, als auch welche Erlebnisse und Stimmungen sie vermitteln sollen.
Die Bedeutung der Architektur umfasst neben einer kulturellen und sozialen Rolle sowie ökonomischen und ökologischen Aspekten auch die Wahrnehmung und das Erleben von Räumen und Gebäuden. Architektur beeinflusst die Wahrnehmung von Räumen und Gebäuden durch die Menschen, die in ihnen leben und arbeiten. Sie trägt damit zur Identitäts- und Gemeinschaftsbildung bei, indem sie Räume und Gebäude gestaltet, die das Leben der Menschen positiv beeinflussen können.
Der eine oder andere erkennt möglicherweise schon die Nähe zur Gestaltung von Karriereseiten und zum Bewerbungsprozess und deren nahtlose Verzahnung im Sinne der Bewerbungsarchitektur. Werden wir konkreter.
Eine durchdachte (Bewerbungs-)Architektur berücksichtigt die Bedürfnisse der Menschen
Gebäude, die ohne Architekten entstehen, wirken oft uninspiriert, haben Designfehler und sind nicht wirklich funktional. Fassaden, Räume und Elemente harmonieren nicht, und die Nutzer fühlen sich unwohl – egal, ob sie in dem Gebäude wohnen oder arbeiten. Ähnlich ergeht es vielen Bewerbern, wenn sie sich durch endlose Klickpfade, unübersichtliche Navigationsstrukturen, dysfunktionale Jobportale, überladene Bewerbungsformulare oder Zwangs-Logins kämpfen müssen. Fakt ist: Gebäude, die ohne Konzept und Weitblick und ohne die Zielgruppe im Blick zu haben, entstehen, sorgen dafür, dass man sich unwohl fühlt. Man fühlt sich nicht nur unwohl, man kann das Vorhandene gar nicht richtig oder nur mit großer Anstrengung nutzen.
Genauso ist es bei Karriereseiten. Fehlen das Konzept und der Fokus auf die Bedürfnisse potenzieller Bewerber, sorgt dies nicht nur für Unbehagen, sondern schlägt potenzielle Kandidaten in die Flucht. Ein Stellenportal, das sich nicht intuitiv bedienen lässt oder Bewerbungsformulare und -prozesse, die einer Festung mit Stacheldraht (Stichwort: Zwangsregistrierung) gleichen, tun ihr Übriges.
Den Bewerber in den Mittelpunkt stellen
Gute Architektur schafft Gebäude und Räume, die nicht nur schön sind, sondern in denen man sich auch wohlfühlt und vor allem: die funktionieren. Sie berücksichtigt die Bedürfnisse der Menschen, die diese Gebäude nutzen – im besten Fall fühlen sie sich aufgrund des durchdachten Konzeptes und der Funktionalität nicht nur wohl, sondern werden regelrecht inspiriert. Übertragen auf Karriereseiten und den Bewerbungsprozess: Eine durchdachte Bewerbungsarchitektur stellt Bewerber in den Mittelpunkt. Sie sorgt dafür, dass sich Bewerber vom ersten Kontaktpunkt (z. B. dem Betreten der Karriere-Startseite oder dem Aufrufen eines Jobs via Google) bis zum letzten Kontaktpunkt (dem Absenden der Bewerbung) in einem klaren, übersichtlichen Prozess bewegen können:
Sie finden, was sie suchen, und der Weg zur Bewerbung ist intuitiv.
Unternehmen erkennen die Bedeutung einer durchdachten Bewerbungsarchitektur nicht
Das Problem: Viele Unternehmen sind sich der Bedeutung einer durchdachten Bewerbungsarchitektur nicht bewusst, setzen auf Standardlösungen, vertrauen auf die Jobportale und Bewerbungsformulare der ATS-Anbieter und erkennen nicht die Gefahr, die nicht nahtlose Bewerbungsprozesse in Form von Seitenabsprüngen und Bewerbungsabbrüchen mit sich bringen. Zudem betrachten sie Bewerber leider immer noch als Erfüllungsgehilfen der Personalabteilung und nicht etwa – was naheliegend wäre – als zukünftige Mitgestalter (und Kollegen).
„Wer wirklich zu uns will, der wird sich schon durchklicken“,
so offenbar die Denke vieler Personaler.
Haltung spiegelt sich in Karriereseiten und Bewerbungsprozessen wider
Diese Haltung spiegelt sich in schlecht strukturierten Karriereseiten wider, die sich an den internen Prozessen oder Unwissenheit orientieren und die Bedürfnisse der Zielgruppe ignorieren. Sie mögen noch so modern und schick designt daher kommen – ähnlich wie bei einem Haus, das nach den Vorlieben des Bauherrn und nicht der Bewohner gestaltet wird, ist die Frustration der „Nutzer“ – also der Bewerber – vorprogrammiert.
Eine durchdachte Bewerbungsarchitektur ist wie ein perfekt geplantes Gebäude:
- Die Klickpfade sind klar,
- die Menüpunkte sind intuitiv erschließbar,
- die Inhalte für die Zielgruppe sind relevant und damit
- zur Selbstselektion geeignet,
- die Such- und Filtermöglichkeiten des internen Stellenportals ist intuitiv,
- die Stellenanzeige ist eine Einladung zur Bewerbung, die sich nahtlos in die Karriereseite einfügt,
- der Weg zur Bewerbung ist ohne Hürden und Medienbrüche möglich,
- alles ist intuitiv bedienbar und
- fühlt sich harmonisch an.
Eine gute Bewerbungsarchitektur ist funktional, einladend, klar strukturiert und intuitiv
(Potenzielle) Bewerber wissen sofort, wo sie klicken und wie sie navigieren müssen, was von ihnen erwartet wird und was sie erwarten können. Diese Klarheit und Struktur führt zu
- einer besseren Candidate Experience,
- weniger Bewerbungsabbrüchen
- und mehr passenden Bewerbungen.
Genauso wenig wie man in einem Gebäude wohnen, leben oder arbeiten möchte, in dem man sich unbehaglich fühlt oder das nicht funktional ist, möchte man sich bei einem Unternehmen bewerben, das einem Steine in den Weg legt und dessen Karriereseite und Bewerbungsprozess kompliziert und undurchsichtig sind
Eine gute Bewerbungsarchitektur ist nicht nur funktional, sondern auch einladend, klar strukturiert und intuitiv – und das macht (nicht nur) in Zeiten des “Fachkräftemangels” den Unterschied und trägt neben einer positiven Wahrnehmung der Arbeitgebermarke (wir erinnern uns: Man kann nicht nicht employerbranden) entscheidend zum Recruiting-Erfolg (und damit zum Unternehmenserfolg!) bei.
Durchdachte Bewerbungsarchitektur vs. dysfunktionale Struktur
Die folgende Abbildung verdeutlicht den Unterschied zwischen einer gut durchdachten Bewerbungsarchitektur und einer fehlerhaften Struktur. Auf der linken Seite wird die nahtlose Verzahnung von Karriereseite, Jobportal, Stellenanzeige und Bewerbungsformular dargestellt. Die Schnittstelle des ATS (Applicant Tracking System) sorgt dafür, dass die Jobdaten für das Jobportal und die Stellenanzeigen optimal aufbereitet werden. Nach dem Klick auf “Bewerbung absenden” werden die Bewerberdaten direkt ins ATS übermittelt, ohne dass der Nutzer durch Medienbrüche im Bewerbungsprozess gestört wird. Eine 1a Candidate Experience also.
Auf der rechten Seite hingegen sind zahlreiche Medienbrüche zu erkennen, etwa wenn die Karriereseite verlassen werden muss, um auf ein oft dysfunktionales Jobportal zu gelangen. Besonders gravierend ist der Bruch im Bewerbungsprozess selbst, wo Zwangsregistrierungen und komplizierte Formulare zu vielen Abbrüchen führen. Dies verzögert die Stellenbesetzung unnötig und kann zu Umsatzeinbußen und erhöhter Fluktuation führen.
Was eine durchdachte Bewerbungsarchitektur für den Recruiting-Erfolg bedeutet
Für Bewerber
Für Bewerber bedeutet eine durchdachte Bewerbungsarchitektur einen reibungslosen und angenehmen Bewerbungsprozess, der weniger Frustration verursacht und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie den Prozess abschließen.
Für Personalverantwortliche
Für Personalverantwortliche bedeutet eine gut durchdachte Bewerbungsarchitektur eine höhere Effizienz, eine bessere Passgenauigkeit der Bewerber und geringere Abbruchquoten.
Definition Bewerbungsarchitektur
Aus all dem Gesagten ergibt sich abschließend die Definition der Bewerbungsarchitektur:
Die Bewerbungsarchitektur bezeichnet die Struktur des Bewerbungsprozesses (in Bezug auf Karriereseite und ATS), der mit dem Betreten einer Karriereseite (oder dem Aufrufen einer Stellenanzeige) beginnt und mit dem Absenden der Bewerbung endet. Dabei geht es um die Beziehungen der Komponenten Karriereseite (als Ausgangspunkt für den Informations- und Bewerbungsprozess), unternehmenseigenes Jobportal (als Funktionalität) mit Suche, Filterkriterien, Ergebnisliste etc., Stellenanzeige (z. B. Inhalte, Google for Jobs, Call to Action/Bewerben-Button), Bewerbungsformular (z. B. Registrierung, Umfang der Formularfelder, Call to Action/Absenden-Button etc.) untereinander sowie um die entsprechenden Navigationspfade, Menüführungen und Suchmöglichkeiten, die im Sinne eines kandidatenzentrierten Ansatzes gestaltet werden.
Ziel einer solchen Architektur ist es, durch eine herausragende Candidate Experience eine bestmögliche Conversion zu gewährleisten. Um dies zu erreichen, müssen die Komponenten möglichst reibungslos ineinander greifen, Medienbrüche eliminiert und der Interessent durch eine möglichst nutzerfreundliche und zielgruppengerechte Gestaltung (grafisch und funktional) auf dem schnellsten und zugleich intuitivsten Weg zum Bewerbungsabschluss geführt werden.
Senior Recruiter