24. Juli 2015
Die Wahrheit über Tantalor
Lesezeit: 5 Min. Employer BrandingRecruiting
Vor einigen Wochen berichtete ich über die Aktivitäten eines deutschen Unternehmens in Afrika, welches mit einer launigen Kampagne für Kinderarbeit wirbt. An sich eine feine Sache, wenn man sich die heranwachsende Jugend so anschaut. Vergessen Sie alles, was Sie über die Generation Y gelernt haben (ist eh Käse), jetzt kommt die Generation Z, respektive Alpha. Und die in son Bergwerk zu schicken, scheint mir eine bessere Maßnahme, als zu den schlimmsten Eltern der Welt, oder wie dieses Unterschichtenfernsehformat heißen mag. Für all die Eltern, die jubiliert haben, dass ihre Kinder endlich mal was Vernünftiges aus ihrem noch jungen Leben machen – ich muss Sie leider enttäuschen!
Wie ich schon vermutet hatte, ging es mit der Tantalor-Kampagne darum, um auf die Missstände in Sachen Kinderarbeit in afrikanischen Minen aufmerksam zu machen, wo unter menschenunwürdigsten Bedingungen nach Coltan geschürft wird, nur damit Sie immer die neueste Ausgabe Ihres iPhones in Händen halten können (Ihnen ist hoffentlich bewusst, dass viel Blut an Ihren Händen klebt). Allerdings handelt es sich nicht um ein Projekt einer NGO, wie ich vermutet hatte, sondern um ein Projekt von Studenten aus dem Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld. Was mich als alten FH-ler und als Ex-Bielefelder sowieso umso mehr freut.
Skandal? Normal!
Das Projekt entstand im Rahmen des Seminars »Skandal? Normal!« vom Wintersemester 2014/2015 bis zum Sommersemester 2015 an der FH Bielefeld. Ziel des Seminars “Skandal? Normal” ist es, die Mechanismen konzeptionell durchdachter Mediengestaltung und ihrer Wirkungsweisen als praxisnahe Erfahrung kennenzulernen.
Mit dem Projekt “Tantalor” wollte man die Wirkung von Skandalen und ihre Mechanismen mit besonderem Schwerpunkt auf Kommunikation und Gestaltung untersuchen. Das ist den drei Kommunikationsdesign-Studenten Nina Schengber, Madeline Rasche und Johannes Pistorius wahrlich gelungen. Sie gründeten das fingierte Bergbauunternehmen Tantalor Mining GmbH, um auf möglichst skandalöse Weise auf Kinderarbeit in der Coltangewinnung aufmerksam zu machen.
“Basierend auf umfangreichen Analysen von Bergbauunternehmen und Zeitarbeitsfirmen wurde ein Erscheinungsbild entwickelt, das sich in Auftritt und Sprache die Mechanismen beider Branchen zu Nutze macht. Dieses authentische Auftreten und bis ins Detail durchdachte Elemente und Maßnahmen – vom Rundschreiben bis zum Anrufbeantworter – machten es möglich, auf ernsthafte Weise das schwierige Thema Kinderarbeit zu kommunizieren.”
Täuschend echte Kampagne (ent)täuschte die Nutzer
Tatsächlich war der Auftritt so professionell erstellt, dass man nur bei genauerem Hinsehen erkennen konnte, dass das nicht ernst gemeint sein konnte (zumal es wohl kaum mit deutschem Recht vereinbar sein dürfte, aber in Sachen Kinderarbeit passieren so viel schlimme Dinge, die gegen gängiges Recht verstoßen, was allerdings der Allgemeinheit egal ist. Und das schreibt jemand, der gerade ein BERSHKA-T-Shirt für 4,99 Euro erworben hat, welches wahrscheinlich unter menschenunwürdigen Bedingungen in einer Textilfabrik in Bangladesh produziert wurde). Und tatsächlich hat nicht jeder durchschaut, worum es eigentlich bei der Kampagne ging.
Von “Es ist ja nicht illegal, in Deutschland Kinder-Praktikanten für afrikanische Minen anzubieten” (und am liebsten würde dieser Lehrer wohl einige seiner Sprösslinge genau dort sehen, anstatt sich mit ihnen in der Schule herumzuschlagen) bis “Ich glaube, und das ersehe ich auf der Homepage, es ist weitaus weniger dramatisch als du es hier darstellst” reichten die Reaktionen.
Und ich gehe jede Wette ein, dass sich auch wirklich Interessenten mit ihren Kindern beworben haben und herbe enttäuscht wurden, dass das alles nur ein Fake ist. Ein Statement dazu habe ich angefragt, aber leider noch keine Rückmeldung bekommen.
Thematischer Hintergrund: Die Coltangewinnung
Thematischer Hintergrund des Projekts ist die Coltangewinnung in der Demokratischen Republik Kongo. Coltan wird als so genanntes Konfliktmineral eingestuft, weil es unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut wird – Zwangs– und besonders Kinderarbeit sind weit verbreitet. 30 Prozent der Kinder werden dort in die Minen geschickt, um das täglich Brot der Familien zu verdienen. Besser wäre wohl “ihr wöchentlich Brot”, denn mit den Hungerlöhnen kommen die Betroffenen nicht weit. Darüber hinaus finanzieren die Erlöse der Coltanförderung seit vielen Jahren einen andauernden blutigen Bürgerkrieg, in dem bislang zehntausende Frauen und Mädchen verschleppt und vergewaltigt wurden. Tja, und was soll ich sagen, Sie und ich, wir sind nicht ganz unschuldig daran. Denn ohne die neuesten technischen Gadgets geht’s ja nun mal nicht, gell?
Das ist falsch, und daher liefert die Website, die über die Hintergründe des Projekts aufklärt, nicht nur umfangreiche Infos und ein Linksammlung, es werden auch mögliche Lösungsvorschläge angeboten.
Botschaft ohne Skandal vermittelt
Alles in allem war die Kampagne ein recht großer Erfolg: So wurden während der Projektlaufzeit zahlreiche Kommentare, E-Mails und Forenbeiträge gesammelt und ausgewertet. Und dank Verlinkungen u. a. auf Der Postillon wurde die Website bis zu 28.000 mal täglich aufgerufen.
Entscheidend für den Erfolg der Tantalor-Kampagne waren die Wahl und die Umsetzung der Kommunikationsmittel. Weil diese täuschend echt, aber (zumindest auf den zweiten Blick) durchschaubar gestaltet und eingesetzt wurden, konnte die Botschaft des Projekts erfolgreich vermittelt werden – ohne Skandal, aber durch eine differenzierte Betrachtungsweise und eine ungewohnte emotionale Nähe.
So, und jetzt wissen Sie, was Sie zu tun haben. Virales Personalmarketing ist das Stichwort. Ich bin gespannt auf Ihre Ideen!
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