21. Oktober 2014
Ein Anwalt für Candidate Experience, die BP Candidate Charta und andere (leere) Bewerberversprechen
Lesezeit: 7 Min. Employer BrandingRecruitingStellenanzeigen
Wer sich nicht für die Stelle als “Manager, Digital Candidate Experience” bewerben möchte, weil der Arbeitsort USA vielleicht doch etwas zu weit von Frau, Freunden und Familie ist, für den habe ich hier noch einen anderen tollen Job ausfindig gemacht. Nur zwei Flugstunden von hier, in Dublin, Irland. Nämlich als “IT Recruitment ATS and Candidate Experience Advocate“. Außerdem gibt’s hier noch einen Blick auf die “Candidate Charter” bei BP, noch mehr zu “Bewerberversprechen”, Tipps für eine bessere Bewerbererfahrung und ein großartiges Video, welches zeigt, dass ohne Papier auch in Zukunft nichts geht. Viel Spaß!
Gerade war ich für ein paar Tage in Dublin – dank der Lufthansa musste ich meinen Besuch zwangsweise abbrechen (ansonsten hätte ich ihn zwangsweise um einige Tage verlängern müssen) – und dort entdeckte ich beim googlen ein paar ganz interessante Neuigkeiten zum Thema Candidate Experience und Bewerberversprechen. Hierbei zeigte sich im Übrigen mal wieder sehr schön, dass die bei Google angezeigten Suchergebnisse nicht nur abhängig von den zuvor bereits angesurften Seiten bzw. vorher getätigten Suchen sind, sondern auch vom Standort, an dem man sich befindet. In diesem Falle Dublin.
Ein Anwalt für die Candidate Experience
Eigentlich wäre das eine hervorragende Gelegenheit gewesen, Facebook und Google zu besuchen. Hätte ich zwangsweise bis Mittwoch verlängern müssen, hätte ich dies wohl auch getan. So aber verzichtete ich darauf und schaute lediglich, welche speziellen Jobs es denn außer dem Manager, Digital Candidate Experience noch gibt, die sich das Thema “Bewerbererfahrung” auf die Fahnen schreiben. Und siehe da, ich wurde fündig. Das Unternehmen HiberniaEvros Technology Group sucht nämlich einen “IT Recruitment ATS and Candidate Experience Advocate”. Also quasi einen Anwalt oder Verfechter einer (positiven) Candidate Experience. Aufgabe unter anderem: “Provide an excellent new candidate experience and act as an advocate to our existing candidates”. Ein Job für Menschen mit echter Leidenschaft also. Es ist kaum zu übersehen, dass eine Optimierung der Prozesse und Inhalte auch diesem irischen Unternehmen gut zu Gesicht stehen würde.
Vielleicht wird HiberniaEvros ja bei BASF (US) fündig, die brüsten sich nämlich mit ihrer Auszeichnung “Candidate Experience Award”. Und das Ganze bereits zum zweiten Mal in Folge “for delivering an outstanding candidate experience“. Wie es zu der Auszeichnung kam, kann ich mir bei einem Blick auf Karriere-Website und Bewerbungsprozess allerdings nicht erklären…
Vielleicht hätte aber auch BP die richtigen Ansprechpartner? Denn was BP macht, ist wirklich einzigartig (nein, ich rede jetzt nicht von Umweltkatastrophen)…
Die BP Candidate Charter
…ich rede jetzt von der so genannten Bewerber-Charta. Der Anspruch von BP ist nämlich, eine “Weltklasse-Candidate-Experience” zu liefern. Und das ist nicht nur weltklasse (so denn das Versprechen gehalten wird), das ist auch einzigartig. Schließlich liefern solch eine Candidate Charter ansonsten nämlich maximal Personalvermittlungs- oder Recruitment-Firmen. Und das ist sie, die BP Candidate Charter:
Auch hat man bei BP umfangreiche Infos zu Bewerbungsprozess, Vorstellungsgespräch und FAQ zusammengestellt. Dass diese aber nur als Video bereitgestellt werden führt den Anspruch einer “Weltklasse-Bewerbererfahrung” in meinen Augen allerdings ad absurdum.
Natürlich ist Bewegtbild toll. Aber schnell auf einen Blick Infos abscannen oder bewusst nach konkreten Infos suchen, ist auf diese Weise leider nicht mehr möglich. Auch ist es wohl kaum glaubwürdig, dass nur diese fünf Fragen in der HR-Abteilung auflaufen. Aber ich sehe das natürlich wieder viel zu kleinkariert, ich weiß. Schaut man im Übrigen mal auf die deutsche BP-Seite, so findet man dieses Kandidatenversprechen dort nicht. Ob man das Versprechen bei BP Deutschland nicht halten kann?
Nichtsdestotrotz war mein Jagdinstinkt geweckt: Welches deutsche Unternehmen hat denn wohl so eine “Bewerber-Charta” oder ein “Bewerber-Versprechen”, habe ich mich gefragt. Und recherchiert. Das Ergebnis ist eher ernüchternd. Als einziges (zumindest in einer Schnellanalyse auffindbares) Unternehmen kann sich das DELL auf die Fahnen schreiben. Und so heißt es auf der Karriere-Website unter dem Punkt “Unser Versprechen an Bewerber”, dass sich DELL “Bewerbern gegenüber auf ganz besondere Weise verpflichtet fühlt“. Was ja eigentlich selbstverständlich sein sollte, es aber wohl nicht ist. Und das können Bewerber u. a. bei DELL erwarten:
- Eine realistische Beschreibung der Tätigkeit und des Ablaufs des Vorstellungsgesprächs
- Die Möglichkeit, sämtliche Fragen zu stellen und transparente und ehrliche Antworten zu erhalten
- Die faire Chance, für eine Position in Erwägung gezogen zu werden, wenn die entsprechenden Anforderungen an die Qualifikationen erfüllt werden
- Informationen zu den nächsten Schritten spätestens sieben Tage nach dem Vorstellungsgespräch
- Das bestmögliche Angebot – und das gleich zu Beginn
- Die Behandlung als geschätzter Kunde für Dell Produkte und Lösungen
- Integrität und Respekt
Klingt super, oder? Was auch immer mit Punkt 1 gemeint ist… Eine unrealistische oder beschönigende Beschreibung der Tätigkeit wäre ja auch eher kontraproduktiv… Was aber ist eigentlich unter einem “realistischen Ablauf des Vorstellungsgesprächs” zu verstehen? Dass man die Möglichkeit haben sollte, sämtliche Fragen zu stellen, sollte ebenso selbstverständlich sein. Ehrliche Antworten im Übrigen auch. Die faire Chance, für eine Position in Erwägung gezogen zu werden? Unverbindlicher geht es kaum noch. Was der Bewerber mit dem Kunden für Dell Produkte und Lösungen zu tun hat? Ich weiß es nicht. Und dass man mir als Bewerber Integrität und Respekt entgegen bringt, erwarte ich. Und sollte für Unternehmen eigentlich selbstverständlich sein. Alles in allem ist also die einzige Aussage aus dem Bewerberversprechen, die noch halbwegs Mehrwert hat, die, dass man Informationen zu den nächsten Schritten spätestens sieben Tage nach dem Vorstellungsgespräch erhält. Der Rest ist gequirlter Floskelmix und inhaltsleeres Blabla.
Mir stellen sich nun zwei Fragen:
- Braucht es ein solches Bewerberversprechen, wenn ohnehin nur Selbstverständlichkeiten versprochen werden (die aber wahrscheinlich ohnehin nicht gehalten werden),
- Warum gibt es nicht mehr Unternehmen, die ein solches Bewerberversprechen bieten?
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach und findet sich in Punkt 1 wieder.
Zum Punkt Bewerberversprechen noch Folgendes:
“Unverheiratete Bewerber versprechen bei der Weihe die Ehelosigkeit um des Reiches Gotteswille.” Diese Aussage bezieht sich im Übrigen auf die Ausbildung als Diakon beim Bistum Mainz. Weitere Voraussetzungen dafür sind ferner, sich in “Ehe, Familie, Beruf und Gemeinde bewährt zu haben” und bei verheirateten Bewerbern “das schriftliche Einverständnis der Ehefrau, dass sie diesen Dienst ihres Mannes nach Kräften mittragen wird“.
Das aber nur am Rande. So, für all meine Leser, die eine Weltklasse-Bewerbererfahrung anstreben, noch ein paar wohlmeinende Tipps:
5 Tipps für eine bessere Candidate Experience
- Versetzen Sie sich einfach mal selber in die Rolle eines Bewerbers und durchlaufen Sie Ihren Bewerbungsprozess! Als Chef eines Restaurants würden Sie doch auch ihr eigenes Essen testen, oder? Also schauen Sie, ob Sie alle Informationen finden, die Sie gesucht haben und ob diese Ihnen ein Bild davon vermitteln, warum man sich nun ausgerechnet bei Ihnen bewerben soll. Ist ein Ansprechpartner angegeben, den Sie bei Fragen zur Stelle kontaktieren können? Ist der Bewerbungsprozess mit wenigen Klicks durchführbar und transparent? Erhalten Sie eine Rückmeldung auf Ihre Bewerbung? Ist diese ansprechend und wertschätzend formuliert? Etc. pp. Oder aber engagieren Sie einen “Mystery Bewerber” (das kann auch durchaus Partner/Partnerin sein) und lassen Sie sich von den Erfahrungen berichten!
- Stichwort Rückmeldung: Eine automatisierte Antwort ist besser als gar keine! Verfallen Sie nicht dem Irrtum, dass keine Reaktion besser ist, als eine schlechte Nachricht!
Übrigens: Auch automatisierte Schreiben und sogar Absagen lassen sich wertschätzend gestalten! ;-) - Und noch mal Stichwort Rückmeldung: Fordern Sie selbige von Ihren Bewerbern ein und warten Sie nicht, bis unangenehme Bewertungen auf kununu oder Glassdoor landen!
- Sie können nicht nicht Employer Branding betreiben! Eine negative Kandidatenerfahrung wirkt sich negativ auf Ihre Arbeitgebermarke aus. Umgekehrt natürlich auch!
- Ihre Bewerber verdienen Ihre Wertschätzung! Respektieren Sie die Zeit und Mühe, die Kandidaten in ihre Bewerbung investieren. Sie haben keine Zeit für Bewerberkommunikation? Dann fordern Sie sie ein! Bedenken Sie stets, dass Personalbeschaffung für ein Unternehmen überlebenswichtig ist. Das sollten Sie Ihrem Chef bzw. der Geschäftsführung klar machen. Apropos: Vielleicht sollten Sie einfach mal Ihren Vorgesetzten bitten, Punkt 1 durchzuführen. Oft ist die eigene Erfahrung die schmerzhafteste, aber auch effektivste!
Und nun zum Schluss noch ein wunderbarer Werbespot aus Irland, der zeigt, dass das Zeitalter von Print bzw. von Papier allen Unkenrufen zum Trotz niemals zu Ende sein wird.
Paper has a big future! Und das gilt auch für die Personalbeschaffung.
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Annette Boehl
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Stefan Nette