Krasses Ausbildungsmarketing – krasse Ausbildungsabbrüche

Lesezeit: 8 Min. AusbildungsmarketingRecruiting

Wenn es darum geht, die junge Zielgruppe = Azubis für sich zu gewinnen, scheint Unternehmen offensichtlich keine Maßnahme peinlich genug, sich beim begehrten Nachwuchs anzubiedern. Auf der einen Seite trägt diese Form von Ausbildungsmarketing zuweilen skurille Blüten, auf der anderen Seite ist man dann auch wieder nicht konsequent genug bei der Umsetzung. Und wenn man den potenziellen Bewerber dann tatsächlich so weit hat und seine Aufmerksamkeit gewinnen konnte, schafft man es gekonnt, dieses mühselig aufgebaute “Vertrauensverhältnis” innerhalb von Sekundenbruchteilen zu zerstören…

Ich kann immer wieder nur mit dem Kopf schütteln, wenn ich sehe, wie so manches Unternehmen um den jungen Nachwuchs buhlt. Manchmal möchte ich sogar irgendwohin, wo mich keiner sieht und hört und  laut meinen “Seelenschmerz”, der ob dieser Verfehlungen seinen Bann bricht, in die Welt oder wenigstens den Wald hinaus schreien. Da es mir fern liegt, meine Umwelt mit Lärm zu belästigen oder Waldbewohner zu belasten, mache ich es lieber subtil, in meinem stillen Kämmerlein oder auf der Terrasse, in dem ich diesen Seelenschmerz in meine Finger umleite, die dann wiederum über die Tastatur meines Ultrabooks gleiten und einen Blogartikel formen. So wie jetzt.

Bis du krass? Krefeld Ausbildung Studium Stadt

Stellen Sie sich mal vor, Sie wären eine Stadtverwaltung. Nehmen wir mal an, die von Krefeld. Das liegt in Nordrhein-Westfalen und ist mir noch gut in Erinnerung durch die Königsburg. Seinerzeit eine absolut angesagte Diskothek, deren Ruf so hervorragend war, dass wir fast jedes Wochenende von Bielefeld dorthin gefahren sind und uns dort wild tanzend die Nächte um die Ohren geschlagen haben. Damals war Techno ganz groß im Kommen. Aber zurück im Text. Die Stadtverwaltung Krefeld suchte also Bewerber für den Ausbildungsberuf des Bachelor of Laws (FH) – Stadtinspektoranwärter. Ein hoch spannender und kreativer Ausbildungsberuf respektive dualer Studiengang. Was also liegt bzw. lag näher, als diese mit zielgruppengerechten Image-Anzeigen zu suchen:

Bist du krass - Ausbildungsmarketing bei der Stadt Krefeld

Ey Alter, bist du krass, oder was? Ey, dann bewirb dich jetzt! Zum krass dualen Studium Bachelor of krass Laws bei der oberkrassen Stadt Krefeld. Aber auch ähnlich krasse Berufe, wie bspw. Verwaltungswirt, Gärtner oder Bestattungsfachkräfte werden so beworben.

Ausbildungsmarketing bei der Stadt Krefeld - Bist du krass?-Kampagne

Vorbildlich die Möglichkeit, die krasse Website entweder per QR-Code (funktioniert bei mir irgendwie nicht) bzw. die URL direkt aufzurufen. Nun wird ja durch diese krasse Kampagne irgendwie auch eine krasse Erwartungshaltung geschaffen, was denn dann die Website angeht, auf die man da geführt wird. Sie sollte also schon irgendwie krass sein… wenn nicht sogar ultrakrass!

Bingo!

Oberkrasse Ausbildungsseite der Stadt Krefeld

Das ist wirklich oberultrakrass. Hier spiegelt sich die Kampagne wirklich 1:1 wieder. Insbesondere die Tonalität wird hier krass aufgegriffen. Beispiel gefällig?

“Mit rund 3.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie etwa 100 Auszubildenden gehört die Stadtverwaltung Krefeld zu einem der stadtweit größten Arbeitgeber und ist zugleich das größte Dienstleistungsunternehmen.

Um die vielfältigen Aufgaben kundenorientiert und kreativ erfüllen zu können, bieten wir insgesamt 19 abwechslungsreiche und praxisorientierte Ausbildungsberufe an. Eine Übersicht dieser Berufe können Sie in der linken Navigationsleiste unter “Übersicht Ausbildungsberufe” aufrufen.

Weitergehende Informationen finden Sie in unserer Ausbildungsbroschüre (der Download ist am rechten Seitenrand möglich); gerne stehen Ihnen auch die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung.”

Nun gut, da müssen wir wohl noch etwas dran arbeiten. Apropos dran arbeiten: Warum muss ich mir die Ausbildungsberufe über die linke Navigationsleiste aufrufen? Warum werden die nicht direkt aus dem Text verlinkt? Warum muss ich, wenn ich mir die Ausbildungsbroschüre downloaden will, erst den rechten Seitenrand abscannen und mühselig den dort gut versteckten Link suchen? Warum wird die nicht direkt aus dem Text verlinkt? Auch an der Usability wäre also noch zu arbeiten…

Natürlich gibt es auch Positives zu berichten. So bietet die reich bebilderte Ausbildungsbroschüre in der Tat umfangreiche Informationen über jeden einzelnen Ausbildungsberuf. Auch wird auf der ersten Seite der “Bist du krass?”-Slogan aufgegriffen, ja sogar der Titel der Ausbildungsbroschüre lautet auf “ausbildungsbroschuere_2013_krass”. Allerdings passen Slogan und Tonalität der Inhalte null zusammen. Aber das wird ja auch überbewertet.

Da lobe ich mir Saturn Österreich. Da ist nicht nur die Ausbildung geil, da sind auch die Inhalte der Ausbildungsbroschüre geil. Aber so was von.

Klingt geil, ist auch so!

Geile Lehre bei Saturn

Man wird direkt selber geil, wenn man Sätze wie diese liest…

“Karriere ist geil!”

“Alle, die eine Vorliebe für Technik und Multimedia haben, bekommen damit jede Menge Technik-Wissen, eine Top-Ausbildung, beste Zukunftschancen  und die Möglichkeit einer steilen und geilen Karriere bei Saturn.”

“Klingt geil, ist auch so!”

“Saturn bietet somit die besten Karrierechancen beim geilsten Unternehmen im Elektrohandel.”

Geile Sache, oder? Immerhin ist der neue “Lehrlingsfolder” nun nicht mehr 80 MB, sondern nur noch 4 MB groß, so dass ich positiv vermerken kann, dass man beim geilsten Unternehmen im Elektrohandel offenbar dazu gelernt hat. Ein wenig zumindest. Schön ist ja auch der Weg zu den Jobs. Wenn Sie nämlich auf der “Lehrlings-Website” sind, ist zwar alles mögliche verlinkt. Aber nicht die einzelnen Ausbildungsberufe bzw. die passenden Stellenangebote selber. Ist man dann auf der Jobseite, so ändert sich die Anzeige der Ergebnisse beim Setzen irgendwelcher Filter nicht die Bohne, so dass man also alle angezeigten Ergebnisse durchscrollen muss. Und hat man dann eine Stelle gefunden, lauert die nächste Hürde. Saturn setzt nämlich auf das Bewerbertool Dvinci – und das ist leider alles andere als geil.

Also wendet man dieser Website (und dem Recruiting-Tool sowieso) schnellstmöglich den Rücken und geht zum Bau. Oder so. Denn wie es heißt es so schön?

Hey Checker, sei schlau drive zum Bau!

Hey Checker, sei schlau drive zum Bau - bendlHTS

Also weg vom Multimediafachverkäufer (zwar der geilste Job beim geilsten Unternehmen, aber eben nix für Checker!), hin zum Maurer. Genauer eigentlich “Mauerer“. Denn um eben jene geht es in dieser Kampagne, mit der das Bauunternehmen bendlHTS um seinen Nachwuchs wirbt. Dass das dann gleich so plakativ mit Rechtschreibfehler passiert, ist umso frappierender. Denn eine aktuelle Studie hat nun herausgefunden, dass der Aussortierungsgrund Nr. 1 bei Bewerbungen immer noch die Rechtschreibfehler sind.

Anders gesagt: Personaler haben eine Null-Fehler-Toleranz beim Lesen von Bewerbungsanschreiben. Das zeigt mal wieder eine Eye-Tracking-Studie der Jobbörse Jobware. Hierbei stellte sich nämlich heraus, dass Personalern schon ein einziger Flüchtigkeitsfehler genügt, um ein Anschreiben auszusortieren. Demzufolge verbinden sie “orthografische Fehler häufig mit mangelnder Motivation, Qualifikation oder fehlendem Qualitätsbewusstsein”. Guckst du! Die Studie kommt zu dem Schluss: „Unternehmen erwarten im Bewerbungsschreiben eine makellose Rechtschreibung. Bewerbern ist daher zu raten, auf sprachlich und inhaltlich perfekte Anschreiben zu achten”. Tja, und was ist dann mit den Personalern selber? Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Umso wichtiger ist es also dafür zu sorgen, dass die Texte in Stellenanzeigen, Broschüren und auf Karriere-Websites fehlerfrei sind. Dass dem nicht so ist, deckte ja seinerzeit die KIMATEK-Studie auf. Übrigens – haben Sie mal darüber nachgedacht, welchen Eindruck Ihre Stellenanzeigen oder Ihre Karriere-Website beim Bewerber hinterlassen? Dass diese möglicherweise als Indikator für die Wertschätzung gegenüber Bewerbern dienen? Aber zurück zum Text.

Ich muss sagen, von allen drei vorgestellten Beispielen anbiedernder Bewerberansprache gefällt mir dieses noch am besten. Wobei ich mir schon die Frage stelle, ob es gut ist, wenn damit geworben wird, dass man als Maurer keine harte Körperarbeit verrichten muss und dass es absolut schmutzfrei zugeht.

Ausbildung zum Maurer wirklich schmutzfrei und ohne harte Körperarbeit?

Wenn ich mir so anschaue, was Maurer so malochen, so habe ich da so meine Zweifel. Und wenn ich auf ausbildung.de schaue, warum man denn nun Maurer werden soll, so steht da an erster Stelle

“Du solltest Maurer werden, wenn…

…du dich gerne körperlich anstrengst bei der Arbeit.”

Und selbst auf der Unternehmenshomepage steht beim Ausbildungsprofil: “Gute körperliche Konstitution und  […] sind unabdingbar”. Wie passt das jetzt zusammen? Was aber gibt es Schlimmeres, als falsche Erwartungshaltungen beim Bewerber zu wecken? Falsche Erwartungshaltungen sind einer der am häufigsten genannten Gründe für Ausbildungsabbrüche. So kommt bspw. der azubi-report 2014 zur Erkenntnis, dass rund 49 Prozent der Befragten ihre Ausbildung aus mangelndem Interesse und falschen Vorstellungen abgebrochen haben.

Ausbildungsabbrüche - warum? Quelle: azubi-report 2014

Auch die Azubi-Studie des DIHK kam seinerzeit zu ähnlichen Ergebnissen.  Nicht, dass das wichtig wäre :-)

Also, vergessen Sie peinliches Anbiedern bei der Zielgruppe. In der Regel geht das nach hinten los – siehe Spardabank, Polizei NRW, McDonalds oder andere Beispiele. Sorgen Sie dafür, dass potenzielle Bewerber die richtigen Informationen zielgruppengerecht aufbereitet bekommen. Tragen Sie mit zur Berufsorientierung bei, zeigen Sie, was Sie als Arbeitgeber zu bieten haben, was den Azubi in seinen Lehrjahren erwartet und was seine Perspektiven sind und überlassen Sie das um Gottes Willen nicht dem Arbeitsamt.

Informationen zur Ausbildung gehören auf die Karriere-Website

Sie sind gefordert. Denn es ist Ihre Zukunft! Apropos… einen habe ich noch: Da musste ich doch neulich auf der “Ausbildungsseite” eines Unternehmens folgendes lesen:

Die Zukunft im Blick - Ausbildung bei Hommel

Abgesehen von der Tatsache,  dass man auf der Ausbildungsseite keine Informationen zur Ausbildung erhält, sondern hier für nähere die Personalabteilung anrufen soll, die man dann aber nicht direkt erreicht, weil man ja erst einmal in der Zentrale landet (und dann möchte ich sehen, wer da zur Personalabteilung durchgestellt wird, wenn da ein sechszehnjähriger Schüler anruft), heißt es da so schön: “Die beste Basis für eine erfolgreiche Zukunft ist eine qualifizierte Ausbildung.” Das möchte ich abschließend aufgreifen und etwas umformulieren:

Die beste Basis für eine erfolgreiche Zukunft ist strategisches, zielgruppengerechtes und wertschätzendes Ausbildungsmarketing.”

In diesem Sinne, auf Wiederlesen! Übrigens in Kürze auch wieder auf haufe.de. Denn da erscheint mein neuer Beitrag in der Kolumne Recruiting!

Kommentare (6)

Swen-William Bormann

Danke für den lesenswerten Beitrag - ja in der Personalabteilung sind leider sehr viele Leute: "Bluna" (passt besser zu KRASS!). Als ich noch selber Angestellter war, traf ich da meistens (Ausnahmen bestätigen die Regel!) selbst überschätzende und von ihrem Studium eingenommene Menschen. Die sprießen vor Ideen, doch hinten kommt nichts Gescheites heraus, denn denen fehlt es an Persönlichkeit und Führungsstärke. Statt Menschen auf einen Prozess mit zu nehmen, lassen sie durch ihre Art die Menschen stehen oder schrecken sie ab. In den städtischen Kommunen wiehert leider der Amtsschimmel zu laut, und die Scheuklappen sind auch tagtäglich auf. Noch ein Wort zu Saturn, wer den Slogan: "Geiz ist Geil", in die Republik posaunt habe ich nichts anderes erwartet. Danke für die Aufklärung der anderen, und möglicherweise wachen einige durch den Artikel auf. Ich befürchte es bleibt alles beim Alten oder wird noch schlimmer. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Also weiterhin gute Artikel mit offenen Augen und Ohren ;-) Mit den besten mentalen Erfolgsgrüssen, Swen-William Bormann ;-) Wenn Du es träumen kannst, dann kannst Du es auch: "Einfach tun"!

Daniel Bacher

Auch in Österreich stellt sich die Situation nicht anders dar. Was passiert, wenn die ältere Generation versucht auf "cool" zu machen, zeigt Ihr Bericht eindrucksvoll und schonungslos ;-). Wir haben seit mittlerweile 5 Jahren bei der Azubisuche einen komplett anderen Zugang gewählt. Dabei suchen sich unsere Azubis ihre Nachfolger selbst. Anfangs als Experiment geplant, hat sich diese Form des Recruitings toll entwickelt. Unsere Erkenntnis: Gebt den jungen Leuten mehr Verantwortung und die Möglichkeit, diese auch zu leben, dann braucht man weder große Budgets, noch "geile" Ideen.

Persoblogger Stefan Scheller

Tja, es ist doch immer wieder das Gleiche: Da werden Agenturen mit der Entwicklung von Kampagnen beaufragt, die dann mal schnell in schlechter alter "Fire-and-Forget-Manier" ein paar bunte Bilder und Sprüche zaubern. Die Personaler sollten sich aber gegenüber den Marketing-Leuten unbedingt durchsetzen, was die saubere Einbindung in die Employer Branding Aktivitäten angeht. Und die sollten ihrerseis von Profis gemacht und ganzheitlich konzeptioniert werden. - Ich weiss, ich verlange schon wieder zu viel. Aber tun das die Unternehmen nicht umgekehrt auch von ihren Bewerbern...? Danke, Henner, für Deine immerwährende Rolle als Reißnagel im Hintern der Personalmarketiers!

Jo Diercks

Tja, wenn man das so liest, dann muss man sich auch nicht über Unternehmenswerte und die mangelnde Kommunikation derselben den Kopf zerbrechen (http://blog.recrutainment.de/2014/07/20/unternehmenswerte-und-kultur-als-naechstes-grosses-ding-in-recruiting-und-employer-branding-leider-noch-nicht-ganz/), da liegt das Problem der "Brüche" (Brüche in der Kommunikation, der Candidate Experience und ABBrüche der Ausbildung) noch viel weiter vorn... In simplen handwerklichen Fehlern oder schlicht "fehlendem Nachdenken"... Feiner Beitrag, Henner!

Christian Ahrens

Ja, so ist es. Es geht nicht darum, irgendwie Azubis zu bekommen und die Quote zu erfüllen. Sondern, es geht darum, die richtigen Azubis zu bekommen! Die für den Job Feuer fangen können, geeignet sind, Spaß am Sujet haben. Und das kann gelingen, indem man sie richtig anspricht, offen informiert, aber eben auch etwas tut, um die eigene Begeisterung für den Beruf (die hoffentlich vorhanden ist) auf die jungen Leute zu übertragen. Unsere Erfahrung in vielen Azubi-Projekten zeigt, dass das gelingen kann. 100%ige Trefferquoten wird es natürlich nie geben, aber eine Abbrecherquote von 50 Prozent muss nicht sein. Christian Ahrens www.ahrens-steinbach-projekte.de

35 Stunden in Gefangenschaft – ein Azubi berichtet Dramatisches. - Smadias – Deutsche Ausbilderakademie

[…] Das wirklich gutes Personalmarketing / Ausbildungsmarketing anders funktioniert, ist den meisten Unternehmen bewusst. Trotzdem werden immer noch Anfängerfehler gemacht. Henner Knabenreich zeigt interessante Beispiele  in seinem aktuellen Blogbeitrag “Krasses Ausbildungsmarketing – Krasse Ausbildungsabbrüche” auf.  Lesenswert! […]
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