11. September 2012
Wie Gosch, Sansibar und andere Arbeitgeber auf Sylt Bewerber umwerben oder auch nicht
Lesezeit: 10 Min. Archiv
Schön war’s. Herrlich sogar. Gut, zugegeben, das Wetter hätte an einigen Tagen besser sein können, aber so eine Insel hat ja ohnehin immer ihr eigenes Wetter. Ach so, die Rede ist übrigens von Sylt. Deutschlands nördlichster (manche sagen auch schönster) Nordseeinsel mit der höchsten Bonzendichte, wo ich mir erlaubt habe mit der besten Ehefrau von allen einmal ein paar Tage auszuspannen, die Luft, die Landschaft und die Ruhe zu genießen und die Insel zu Fuß und per Rad zu erkunden. Und nicht nur das. Schließlich ist meine große Leidenschaft nun einmal das Personalmarketing und wie sich Arbeitgeber so im WWW präsentieren. Und da fand ich es natürlich auch interessant, wie sich Sylts “größte” oder auch bekannteste Arbeitgeber denn so ihren Bewerbern präsentieren.
Man denke nur an so illustre Namen wie Gosch (Deutschlands nördlichste Krabbenbude mit mittlerweile Dependancen bis nach Süddeutschland) oder Sansibar (Deutschlands, wenn nicht sogar weltweit die einzige am Strand stehende Bretterbude mit den unverschämtesten Preisen für Speis und Trank, einem riesen Weinkeller und einem Shuttleservice vom Parkplatz zur Sanibar selbst (Laufweite ca. 20 m, wenn überhaupt) – sponsored by Mercedes(!)), die mittlerweile diverse Shops in einigen deutschen Städten unterhalten. Aber auch die Asklepios Nordseeklinik oder Voss (Bürobedarf, Dekoartikel, Blumen und Gastronomie; laut Website immerhin einer der größten Arbeitgeber auf Sylt überhaupt) liefen mir immer wieder über den Weg. Letztendlich lasse ich meine Leser ja des Öfteren mal an meiner knapp bemessenen Freizeit teilhaben und berichte aus Städten wie Barcelona, Rom oder Tallinn – warum also nicht auch von Sylt. Klar, ich hätte auch noch ein paar andere Artikel in petto, die mir schon seit einigen Wochen unter den Nägeln brennen, aber ein Artikel in der Sylter Rundschau brachte letztendlich das Fass zum überlaufen bzw. den endgültigen Anstoß für diesen Artikel. Hier war nämlich über zu lesen, dass die Gemeinde Hörnum (am südlichsten Ende, als ganz unten von Sylt) seit Monaten erfolglos einen Kurdirektor sucht.
Diese Problematik, dass einzelne Städte oder Regionen, wo andere liebend gerne Urlaub machen, über ein Fachkräfteproblem klagen, ist nicht neu. Darüber berichtete ich schon an anderer Stelle. Aber nun ist Sylt ja immerhin Sylt und nicht Mecklenburg-Vorpommern (nichts gegen Meck-Pomm!) und da sollte man denken, dass es eigentlich ein Leichtes sein sollte, den Posten zu besetzen.
Sylter pendeln für ihre Jobs
Mag sein, dass es vielleicht daran liegt, dass Immobilien und Wohnraum auf Sylt immer unerschwinglicher werden. Was wiederum daran liegt, dass gierige Investoren sich auf der Insel breit machen, Häuser und Grundstücke kaufen und diese für mehrere Millionen weiter verscherbeln (ein Beispiel: freistehendes Reetdachhaus in Kampen mit einem Kaufpreis von 12.000.000 Euro, 45 qm-Wohnung in Westerland 300.000 Euro) und ein Ausverkauf der Insel stattfindet. Ein Großteil der wunderschönen Reetdach gedeckten Häuser steht die meiste Zeit des Jahres leer, weil sie entweder als teurer Zweitwohnsitz dienen oder eben ausschließlich als Ferienwohnungen konzipiert sind. Und die Folge: Immer weniger Sylter können sich ihre Insel leisten und müssen aufs Festland ausweichen. Über 4.000 pendeln regelmäßig auf die Insel, weil sie sich Wohnraum auf Sylt schlichtweg nicht mehr leisten können, dort aber ihre Wurzeln haben und ihren Jobs vor allem im Hotel- und Gaststättengewerbe nachkommen, wohingegen reiche Bonzen die Insel okkupieren, ihren Porsche oder Mercedes AMG vor der Eisdiele bzw. dem Pony in Kampen vorfahren und den Syltern ihre Heimat unter deren Hintern wegkaufen oder mit fragwürdigen Mitteln “vertreiben”.
Das Resultat: Die Insel der Schönen und Reichen gehört nicht mehr den Syltern selbst, da immer mehr Ortsfremde sich auf der nordfriesischen Insel einkaufen: “Nur 44 Prozent der Eigentumsobjekte gehören noch Ortsansässigen, 56 Prozent gehören Ortsfremden”, wird Petra Reiber, Bürgermeisterin der Gemeinde Sylt, in einem Artikel des Abendblatts zitiert. “Sylt ist nicht mehr bezahlbar. Und wenn Sie es bezahlen können, ist es ein Loch”, sagt die Bürgermeisterin. Ein trauriges Denkmal, welches sehr schön das Treiben gewissenloser Investoren und Bauherren (und massiver Steuersverschwendung) darstellt, zeigt die Bauruine des Thermalbades in Keitum (dort, wo vor gar nicht allzu langer Zeit eins der schönsten Freibäder Deutschlands zu finden war):
Mag sein, dass das für die potenziellen Bewerber als Kurdirektor in Hörnum eher abschreckend wirkt. Vielleicht. Vielleicht liegt es aber auch schlichtweg daran, dass man nicht mal alle Register des (Online-)Personalmarketings zieht. Ich würde fast eher darauf tippen. Wir erinnern uns: 4.000 Arbeitnehmer pendeln tagtäglich (Montags bis Sonntags) auf die Insel. Dazu kommen noch einige Tausend Touristen. Wo kommt der Großteil an? Richtig, im Bahnhof von Westerland. Insofern wäre es doch naheliegend, bspw. im Gebäude oder auch außerhalb auf Plakaten auf entsprechende Vakanzen aufmerksam zu machen. Oder in den Zügen, die Tag für Tag zwischen Sylt und dem Festland hin- und herpendeln. Oder in den zahlreichen Buslinien auf Sylt. Solche Hinweise sind aber Fehlanzeige. Und die Stelle für den Kurdirektor?
Die war recht gut versteckt auf der Website der Gemeinde zu finden (bzw. eher weniger, weil ja gut versteckt. Dass Sie erst auf den Punkt “Service” klicken müssen, um zu den Stellenangeboten zu gelangen, ist schon etwas fragwürdig). Auch wurde sie wohl via Stepstone und das Stellenportal der FVW ausgeschrieben. 30 Bewerber gab es wohl, aber keiner passte so recht ins Bild. Einige kamen wohl gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch. Tja, und das führt nun dazu, dass die Stelle erneut ausgeschrieben wurde. Gut versteckt wieder. Und eigentlich nur über die Google-Suche auffindbar. Damit sie ja keiner findet :-).
Sansibar sucht Speedy Gonzalez
Nun denn, vielleicht ist das ja mit dem Versteckspielen ein Einzelfall. Wie sieht’s denn mit den anderen so aus? Am Montag führte uns der Weg beispielsweise zur Sansibar. Bisher habe ich bei jedem meiner Sylt-Urlaube diesen Nepper, Schlepper, Bauernfänger-Laden gemieden, diesmal habe ich dem Wunsch meiner charmanten Ehefrau leider nicht widerstehen können.
Eins muss man sagen (und an dieser Stelle mal großen Respekt und vielen Dank): Das Personal ist wirklich sehr freundlich und zuvorkommend und auch sehr flexibel, wenn es um “Extra-Würste” bei der Speisekarte geht (darf man als Vegetarier eigentlich von Extra-Würsten schreiben? :-)). Dafür gibt’s wirklich ein fettes “Daumen hoch“, keine Frage. Aber die Sansibar wird ja das ganze Jahr über betrieben, gute Mitarbeiter in der Gastro-Szene zu finden, fällt nicht leicht. Also bietet es sich doch an, auch auf der Website entsprechende Gesuche zu positionieren und sich als Arbeitgeber zu präsentieren (ja, es ist richtig, es bietet sich nicht nur an, es ist sogar die verdammte Pflicht!). Schließlich ist die Sansibar ja nicht nur die Sansibar, sondern verfügt über einen Online-Shop und wie schon oben beschrieben über diverse Shop-Filialen in der gesamten Republik, unter anderem in Westerland selbst, wobei ich das Lob von oben nicht wiederholen kann, denn hier wirkte das Verkaufspersonal eher gelangweilt, von oben herab und als wolle es nicht in der persönlichen Unterhaltung von Kollegin zu Kollegin nicht gestört werden. Kann ich ja auch verstehen, diese dummen Touristen, die irgendwelche Sansibar-Souvenirs erstehen wollen, sind ja einfach nur nervig. Aber ich schweife ab :-)
Wie ich es fast nicht anders erwartet habe, findet man auch hier den Jobs-Link gut versteckt. Ganz unten auf der Website (und damit nur bei vielem Suchen auffindbar) findet sich in der Footer-Navigation der Link zu den Jobs. Das geht auch prominenter, letztendlich wird das Ganze aber auch überbewertet :-). Und da finden sich tatsächlich Jobs auf der Website. Es ist zwar absolut suboptimal, dass da gleich mehrere Jobs auf einer Seite präsentiert werden (so können die einzelnen Jobs nicht von Suchmaschinen indiziert werden), aber immerhin gibt es so eine Art Arbeitgeber-“Vorstellung”. Da heißt es nämlich:
“Die SANSIBAR ist einzigartig, unverwechselbar, kurzum legendär – eine Bretterbude, gebettet in den Dünen von Sylt mit Blick auf die Nordsee, die jedes Herz erobert, die besten Gerichte und coolsten Weine auf der Karte hat und mit einem dynamischen und herzlichen Team begeistert”. Weißte Bescheid, oder?
Auch sucht die Sansibar “Original”, “Akrobaten” und Mitarbeiter, die “immer auf der Suche nach Adrenalin, Action und Abenteuer” sind – quasi “Mensch gewordene Speedy Gonzales’, die lieber rennen als verpennen” und “Magiere, die Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und Teller/Töpfe zu balancieren vermögen”. Wirklich aussagekräftig ist das nicht, aber auf jeden Fall ein anderer Ansatz als im sonstigen drögen Stellenanzeigeneinerlei.
Liebe Sansibar, vor lauter Cool- und Hipness nicht vergessen, ein bisschen mehr über sich als Arbeitgeber preiszugeben. Kann mit Sicherheit nicht schaden :-)
GOSCH sucht eigentlich immer gute Leute
Na denn, von der Bretterbude zur Krabbenbude – auf zu Gosch. Hier wurde sie wahr, die Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär. Naja, sagen wir: vom kleinen Aal Krabbenverkäufer am Hafen von List zum Millionär. Das trifft’s besser. Mittlerweile hat Gosch Filialen in vielen großen Städten in Deutschland, sogar am Frankfurter Flughafen gab’s die getöten Meerestiere mit Sylt-Touch. Auch Gosch sucht immer wieder Mitarbeiter, wie man auf der Website unter dem Punkt “Stellenangebote” lesen kann:
“GOSCH hat viel zu tun! Für unsere Restaurants, Bistros und Stände suchen wir eigentlich immer gute Leute. Wenn Sie so jemand sind: Schnell bewerben!”
Abgesehen davon, dass das Ganze natürlich NULL Informationswert hat (das Gleiche gilt für den Punkt “Ausbildung”) und beim Interessenten aufgrund mangelnder Informationen für Frustrationen sorgt, sind diese wiederum erst nach Suchen aufzufinden und ohne jeglichen Mehrwert für Google. Schade eigentlich… Abgesehen davon, dass der Hinweis auf das geforderte Bewerbungsfoto gegen das AGG verstößt. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Wahrscheinlich der beste Rhabarberkuchen auf der Insel
Den wahrscheinlich besten Rhabarberkuchen der Insel gibt es im Hus in Lee in Rantum. Auch gibt es dort traumhafte Waffeln und wenigstens eine kleine Auswahl an vegetarischen Gerichten. Wo man seinen Kaffee (und den sogar aus eigener Hausrösterei) von der Atmosphäre definitiv am besten genießen kann, ist in der Kupferkanne oberhalb des Kampener Wattenmeers.
Ursprünglich mal ein Flakbunker, ist dieses Kaffee wahrscheinlich das am stärksten frequentierte auf der Insel mit einem hohen Mitarbeiterstamm. Demzufolge werden dort natürlich auch regelmäßig hoffnungsfrohe Gastro-Talente gesucht. Und siehe da, ruft man die Website auf, so findet man da tatsächlich auf einen Blick und mit einem Klick die Jobs.
Nun ja, sagen wir theoretisch. Denn die Aussagekraft ist doch eher gleich null. Aber immerhin, ein Anfang ist gemacht.
Fachkräftemangel in Nordseeklinik noch nicht angekommen?
Auch auf der Website von VOSS und der Asklepios Nordseeklinik finden sich Jobs (bei VOSS gut versteckt in der Linkwüste unter Unternehmen VOSS, bei der Nordseeklinik direkt auf der Startseite unter “Job & Bildung”. Bravo!). Insbesondere die Website der Klinik bietet ungewöhnlich viele – um nicht zu sagen die meisten – Informationen über Jobs und Karriere im Unternehmen. Nichtsdestotrotz ist man relativ zurückhaltend mit wesentlichen Informationen. Eine Darstellung über den Arbeitgeber fehlt leider vollständig. Benefits werden nur in den Stellenanzeigen genannt. Und das sind gar nicht wenige.
Ein absolutes No go ist allerdings der Bewerbungsprozess. Nach Klick auf das jeweilige Stellenangebot befindet sich unten auf der Seite der Link zur Online-Bewerbung. Hier öffnet sich dann ein separates Fenster und hoffnungsvollen Ärzten, die sich eine Zukunft auf der Insel der Schönen und Reichen erhoffen, müssen sich durch einen Bewerbungsformularmarathon von diversen Feldern klicken. Abgefragt werden dabei neben den Kontaktdaten auch Bewerbungsmotivation, Schulbildung (!), Berufsausbildung, Studium, Praxiserfahrung, Auslandserfahrung, Sprachkenntnisse, IT-Kenntnisse und Sonstige Angaben. Erst dann lassen sich die entsprechenden Dateien hochladen. Und zwar unabhängig davon, ob ich mich als Krankenschwester, Krankenpfleger oder Facharzt bewerben möchte. Wie war das noch mit dem Fachkräftemangel in der Gesundheitsbranche?
So, ich komme zum Schluss. Wenn Sie bis hier durchgehalten haben, lieber Leser, Respekt und vielen Dank! Vielleicht findet sich ja der eine oder andere unter Ihnen, der Interesse an der Stelle als Tourismusdirektor in Hörnum antreten möchte. Vielleicht finden Sie ja sogar eine bezahlbare Wohnung :-).
Für alle anderen gibt’s nun noch eine letzte Impression von Sylt.
In diesem Sinne, schönen Abend!
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Henning Tatje
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Chris