08. April 2016
Die Auswahl – Was im Recruiting alles schief läuft
Lesezeit: 5 Min. PersonalmarketingRecruitingStellenanzeigen
„Das Recruiting in Deutschlands Unternehmen und Personalabteilungen steuert direkt in eine Sackgasse und muss besser heute als morgen eine Kehrtwendung hinlegen.“ BÄM! Das muss man erst einmal sacken lassen! Auch wenn ich das genau so sehe, stammt dieser Ausspruch mitnichtenundneffen von mir. Vielmehr beginnt mit diesem Satz ein Buch, welches meiner Ansicht nach zur unbedingten Pflichtlektüre jedes Personalverantwortlichen gehören sollte. Auch, wenn es eine unbequeme Wahrheit thematisiert. Oder gerade eben deshalb. “Die Auswahl” hat definitiv Bestseller-Potenzial!
Dass ich Buchrezensionen schreibe, passiert eigentlich nur dann, wann ich ein wirklich saustarkes Buch in die Hand bekommen habe und ich der Meinung bin, dass es absolute Pflichtlektüre für meine Leser ist. So wie bspw. Mythos Fachkräftemangel. Wer als Personaler dieses aufrüttelnde Meisterwerk nicht im Bücherschrank stehen hat, scheint die Realität ausblenden zu wollen. Und Gleiches gilt meiner Meinung nach für das Buch „Die Auswahl: Wie eine neue starke Recruiting-Kultur den Unternehmenserfolg bestimmt“. Lassen Sie es sich gleich gesagt sein: Das Buch ist definitiv nichts für Zartbesaitete und schon gar nicht für Kopf-in-den-Sand-Stecker. Wer also getreu dem Motto “das haben wir immer schon so gemacht” lieber so weiter machen will, wie bisher (und damit das Unternehmen mittelfristig vor die Wand setzen wird), darf das getrost tun. Alle anderen sollten weiter bzw. das Buch lesen. Es lohnt sich!
“Die Auswahl” zeigt verstörende Personalauswahl-Prozesse
„Unternehmen verschwenden bei der Personalauswahl jede Menge wertvolles Potenzial und damit bares Geld, denn die stete Suche nach den Besten versperrt allzu oft den Blick auf den Richtigen“, so der Klappentext. Welche abstrusen Ausmaße das oft annimmt, offenbart ja nun bereits seit sechs Jahren dieser Blog. Wer erinnert sich nicht gerne an den promovierten Personalmarketing-Referenten (der übrigens, welch Wunder (!), immer noch gesucht wird), die Putzfrau mit Rettungsschwimmerschein oder den hanebüchenen Bewerbungsprozess des BAMF (am Rande: einer der meist gelesenen Artikel dieses Blogs, warum wohl?), der aktuell gerade in der FAZ neben dem unsäglichen SAP Recruiting-Tool und anderen Kuriositäten des Personalmarketing-Kabinetts des Schreckens (aka “die Goldene Runkelrübe”) unter dem Titel ‘Leider müssen wir Ihnen mitteilen’ noch einmal thematisiert wurde.
“Phrasenbasierte, allgemein gehaltene Unternehmenspräsentationen, Selbstbeweihräucherung, nichts-sagende Standardformulierungen, begleitet von einer maximalen Erwartungshaltung an den Bewerber, führen dazu, dass die Stelle unbesetzt bleibt.”
Brigitte Herrmann, die 15 Jahre als selbstständige Headhunterin tätig war, berichtet in ihrem Buch von verstörenden Personalauswahlprozessen und wie man mit dem Paradigmenwechsel im Recruiting umgehen sollte. Auch wenn es viele Unternehmen noch nicht wahrhaben wollen – Die Machtverhältnisse haben sich gedreht: Jetzt entscheiden die Bewerber, ob Sie einen Job annehmen oder nicht. Der Wandel vom Arbeitgebermarkt hin zum Bewerbermarkt hat sich längst vollzogen. Wie trotz “Fachkräftemangel” mit diesem kostbaren Gut (sprich dem Bewerber) umgegangen wird, zeigt sie anhand vieler erschreckender Beispiele aus der Praxis. Beispiele, bei denen sich einem mehr als einmal die Fußnägel hoch rollen.
“Was fehlt, sind klare Aussagen und Botschaften mit Herzblut, die Interessenten zielgruppenorientiert erreichen. Nicht selten sind diese 08/15 Anzeigen mit ein Grund für Fehlbesetzungen.”
HR muss raus aus der Opferrolle
Sehr gut gefällt mir, dass Frau Herrmann nicht nur die Recruiting-Prozesse an sich kritisch analysiert, sie geht auch bewusst auf die Rolle von HR ein. Ein weiterer Pluspunkt dieses Buches! Denn wie auch einige Sessions beim letzten HR Barcamp in Berlin gezeigt haben (unter anderem „Fight for your Right!“, bei der es darum ging, wie Personaler an ihrem Selbstverständnis im Unternehmen arbeiten können sollten), muss HR raus aus der Opferrolle, die es sich teilweise selbst zugedacht hat. Nur Jammern, dass man solch einen schlechten Stand im Unternehmen hat, hilft eben nicht. Frei nach Olli Kahn „Eier, wir brauchen Eier“. Problematisch nur, dass viele HR-Verantwortliche Frauen sind – da wird es rein anatomisch gesehen, schon schwer. Aber selbst den Herren der Schöpfung, die ja an sich über die notwendige Voraussetzung verfügen, fehlt es oftmals an den notwendigen „Cojones“. Das wiederum schreibt jetzt nicht Frau Herrmann, das schreibe ich.
Sie hingegen bemerkt zurecht, dass „der Personalbereich in der Praxis hinsichtlich seiner Bedeutung, Rolle und Struktur noch viel zu selten als der elementar wichtige Unternehmensbaustein angesehen wird, der er in Wirklichkeit ist“. Vom „ungeliebten Kind HR“ schreibt sie und von den „anonymen Personalern“, die definitiv keine Gesprächspartner auf Augenhöhe sind. Sei es nach außen zu den Bewerbern, sei es nach innen zu den Kollegen, den Fachbereichen und vor allem gegenüber dem Management. Sie fordert – und das zu Recht – dass sich HR deutlich stärker positionieren muss. „Personalmarketing, -suche und –auswahl müsse uneingeschränkt zur Chefsache werden“, fordert sie und findet bei mir damit absolute Zustimmung. Es braucht vor allem eines, so Sabine Herrmann: „Einen starken HR-Bereich mit modernen zukunftsfähigen Konzepten auf Augenhöhe mit der Chefetage“ und keinen „Rosenkrieg“ zwischen Marketing, Unternehmenskommunikation oder Fachabteilung.
“Ein unprofessioneller und geringschätzender Umgang mit Bewerbern während und nach dem Einstellungsprozess schädigen den Ruf als Arbeitgeber.”
Wer nun glaubt, sie (oder ich) betriebe HR-Bashing, liegt komplett falsch. “Mein Antrieb dieses Buch zu schreiben war, dass ich die Spannungsfelder aufzeigen wollte, wo in Personalsuche und -auswahl immer wieder viel wertolles Potenzial verschwendet wird – wie ich es aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt habe und noch erlebe“, hat sie mir verraten. Sie versteht das Buch als eine Art “Weckruf“. Zudem will sie gemeinsam mit den Experten, die im Buch zu Wort kommen, innovative und praktikable Impulse geben, wie diese – auch angesichts der umfassenden Veränderungen unserer Arbeitswelt – gelöst werden können.
„Wenn Personaler immer nur darauf warten, von oberster Ebene eine Absolution und Aufwertung zu erfahren, verharren Sie in einer Art Opferhaltung“, heißt es weiter. Man spricht hier vom Phänomen der „erlernten Hilflosigkeit“. Alles in allem braucht HR, so die Autorin weiter, „eindeutig den Mut und den Willen zur Veränderung, um die eigene Positionierung im Unternehmen zu stärken und mit neuen Ideen und Konzepten auch zu rechtfertigen. Dazu gehöre auch, sich ganz klar strategisch einzubringen und mehr Verantwortung als bisher zu übernehmen, um endlich aus dem bisherigen Schatten heraus zu treten”.
Womit wir wieder bei den Eiern wären. Oder eben bei „Fight for your Right!“.
Handsigniertes Exemplar zu gewinnen!
Übrigens: Ich freue mich sehr, dass Brigitte Herrmann ein handsigniertes Exemplar ihres Buches für eine Verlosung zur Verfügung stellt. Posten Sie einfach in den Kommentaren, wie sich HR besser im Unternehmen positionieren und auf Augenhöhe agieren kann.
Und wenn Sie erfahren wollen, wie andere Kolleginnen und Kollegen darüber denken, seien Sie einfach am 20. Mai bei Deutschlands wohl einzigartigstem HR-Event dabei. Es lohnt sich!
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