Mit Sicherheit eine der schönsten Städte der Welt: Tallinn zwischen Mittelalter und Moderne

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Wie ich ja schon schrieb, habe ich mir für ein paar Tage eine Auszeit gegönnt. Und zwar in Tallinn. Tallinn? WTF ist Tallinn, mag der eine oder andere denken (wobei das “W” hier sowohl für “What” also auch für “Where” stehen kann :-)). Andere wiederum fragen sich wahrscheinlich, was macht man eigentlich in Tallinn? Gegenfrage: Was machen Sie in Barcelona, Paris, London, Rom etc. pp.? Sehen Sie, und genau das kann man in Tallinn auch. Wenn nicht sogar besser. Aber eins nach dem anderen. Wer keine Vorstellung von dem hat, wo Tallinn liegt: Tallinn liegt am Finnischen Meerbusen, ca. zwei Flugstunden von Frankfurt und 80 km von Helsinki entfernt (hier kommen die vielen Fahrgastschiffe mit den vielen Finnen an, die dann die teilweise zweistöckigen Alkoholläden im Hafen stürmen, um sich mit dem verhältnismäßig günstigen Stoff einzudecken) und ist die Hauptstadt von Estland, einer der drei Baltenrepubliken.

Berühmtestes Exportprodukt neben Vana Tallinn, einem Likör mit 40 % ist wohl Skype. Über 400 Mitarbeiter sitzen im schönen Tallinn, Stand heute gibt es 34 Entwicklerjobs auf der Website. Wer sich also verändern möchte – abgesehen von einer der schönsten Städte der Welt, ist  Skype nicht nur ein extrem familienfreundlicher Arbeitgeber, sondern bietet auch eine Chillout Area, freies Mittagessen, umfangreiche Sportaktivitäten und sogar Hunde und Kinder sind dort willkommen. Was will man also mehr?

Übrigens ist Estland weltweit das einzige Land, in dem das Recht auf Internet per Gesetz verankert ist. Unglaublich, oder? Ohnehin sind die Esten die Vorreiter in Sachen online. Und so findet man wo man geht und steht irgendwo einen Wireless Hotspot. Kostenlos versteht sich.

Skype selber habe ich nicht besucht, wohl aber haben die beste Ehefrau von allen (man verzeihe mir die Anleihe bei Ephraim Kishon :-)) und ich nahezu sämtliche Gassen dieser pulsierenden Stadt per pedes erforscht. Das kann man nämlich sehr gut, erstreckt sich die Altstadt doch auf einem überschaubaren Areal. Aber selbst bis zum Yachthafen Pirita haben uns die Füße getragen, dieser war sogar 1980 ein Schauplatz der Olympischen Spiele. Und direkt nebenan gibt’s kilometerlangen Sandstrand und Kiefernwälder.

Zurück ging’s dann aber per Bus – entweder man ersteht im Vorfeld die Tallinn Card (die gibt’s in verschiendenen Varianten am Flughafen, in den Tourist Informationen oder im Hotel und bietet kostenlose Nutzung des ÖPNV (Tram/Bus) sowie Ermäßigung in Museen, Bars und Restaurants) oder zahlt wie wir 1,60 Euro (der Este ordert sein Ticket natürlich mobil, via Internet :-)). Im Verhältnis zu deutschen Städten ein echter Schnapp. Apropos Schnapp: Zum Entwerten stecken Sie das Ticket in den Entwerter und ziehen diesen dann hoch (das muss man erst mal wissen, aber ein freundlicher Este wies uns darauf hin, wie man das macht. Zu den freundlichen Esten später noch mehr), bis es kurz „Schnapp“ macht. Aber ich greife vor.

Also, die Altstadt von Tallinn. In meinen Augen eine der schönsten Städte Europas, wenn nicht der Welt. Nicht ohne Grund steht Tallinn als eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Städte seit 1997 auf der Liste des UNO Weltkulturerbes. Umgeben von der Stadtmauer, die zum Großteil noch intakt und begehbar ist und von der noch 16 (von ehemals 35) Türmen erhalten sind, die auf so illustre Namen wie „Dicke Margarete“, „Kiek in de Kök“ oder „Langer Hermann“ hören, spielt sich ein Großteil des Talliner Lebens mit seinen Cafés, Restaurants und Handarbeitsläden ab.

Ein Teil der Stadtmauer ...

Ein Teil der Stadtmauer …

Unterschiedlichste Baustile erfreuen das Herz – vom Mittelalter über Gotik und Renaissance bis hin zum Klassizismus und zur Moderne – für jeden ist etwas dabei. Und das tolle dabei: Kaum eine der üblichen und jeder Stadt das gleiche Bild gebenden Ketten wie H&M, Zara od. andere trüben das Bild. Fast ausschließlich gibt es dort Läden, die heimische Produkte, vorwiegend Handarbeiten und Stickwaren, feil bieten. Und das in aller Kulör.

Meine Empfehlung: Einfach mal treiben lassen und die engen, Kopfstein gepflasterten Gassen (Achtung, Trägerinnen von High Heels oder Absätzen sollten das Schuhwerk unbedingt in etwas bequemeres, stolperfeindliches austauschen, ansonsten kann der Trip schnell ungemütlich werden!) in aller Ruhe erkunden.

So zum Beispiel das auf bzw. in der Stadtmauer liegende „Burg“-Café (estnisch heißt das im Übrigen „Kohvik“) „Dannebrog“, welches über eine steile Treppe zu erreichen ist und wo ein hervorragender Glühwein kredenzt wird. Blick von der Stadtmauer auf die Stadt inklusive.

Dannebrog Cafe auf bzw. in der Stadtmauer

Dannebrog Cafe auf bzw. in der Stadtmauer

Auch sehr empfehlenswert ist in meinen Augen das „Must Puudel“ (heißt so viel wie „schwarzer Pudel“). Ein sehr chilliges Café, welches mich an mein altes Wohnzimmer Clöeb (war mal eine Instanz in Wiesbaden) erinnert und mit 70er-Sowjet-Charme und einem bunten Mix an Polstermöbeln und Trimmrädern aufwartet. Aber nicht nur das. Auch das Essen ist hervorragend und absolut erschwinglich. Meine Empfehlung: Der Mango-Käsekuchen. Yummie! Und natürlich auch hier wieder unglaublich freundliche, interessierte Esten. Klasse, da können sich viele Dienstleister in Deutschland mal mehrere Scheiben von abschneiden. Natürlich hat das Must Puudel auch eine Facebook-Seite. Und dort gibt’s auch Auszüge der Speisekarte.

Wo wir gerade beim Kuchen waren: Ganz fantastischen Walnuss-Schokoladenkuchen gibt es im Café der Chocolaterie du Pierre. Nicht nur das Café selbst mit seinen Spezialitäten und seiner urigen Einrichtung ist einen Besuch wert. Versteckt in einem Hinterhof gelegen, findet man hier in beschaulicher Atmosphäre auch viele Kunsthandwerksläden. Sämtlich mit unglaublich freundlicher und zuvorkommender Bedienung. Übrigens sucht das Café du Pierre immer wieder Freiwillige zum Spülen. Also, gleich mal melden!

Cafe du Pierre

Cafe du Pierre

Natürlich kann man in Tallinn nicht nur hervorragende Kuchen respektive Torten genießen (meine letzte Empfehlung diesbezüglich geht hier an den Brombeerkäsekuchen im Restaurant des Kalevi Jahtiklubi, (das Restaurant ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen, ist im Jachtclub integriert und auch für Nichtjachtbesitzer offen) ein echter Traum. Auch hier wieder: unglaublich freundliche, zuvorkommende und kommunikative Esten): In Tallinn lässt es sich generell fürstlich schlemmen.

Fast Food-Ketten findet man dort bis auf einen McDonalds oder die dortige Kette Hesburger glücklicherweise so gut wie gar nicht, aber viele internationale und natürlich estonische Küche. Allerdings ist diese unglaublich fleischlastig. Für Vegetarier wie uns also nicht ganz so einfach. Aber letztendlich haben wir immer etwas gefunden. Und wer mal zünftig zubereitetes Wildschein oder Elch probieren möchte, dem sei das Olde  Hansa empfohlen. Dieses Lokal bietet Authentizität pur: Von der üppigen Speisekarte mit mittelalterlichen Gerichten über die Bedienung, die in ebensolchen Gewändern die Gäste (wie immer unglaublich freundlich und zuvorkommend) hofiert und die mittelalterliche Musik (unter allen anderen Umständen könnten Sie mich damit garantiert verjagen, aber hier passt das so was von 100 % und wird sogar live dargeboten) bis hin zum Plumpsklo ist hier alles wirklich oldfashioned und original. Auch wenn das Lokal eine der Touristenattraktionen Tallinns darstellt, so wirklich touristisch angebiedert fühlt man sich hier nicht. Nur bei den Restaurants auf dem Marktplatz bietet sich das Bild, was einem bei einem Urlaub in südländischen Regionen schon den Appetit nimmt, nämlich aufdringliche Kellner, die den Gast hinein „bitten“.

Das ist authentisch - im Olde Hansa wird nicht nur mittelalterlich geschlemmt sondern auch musiziert

Das ist authentisch – im Olde Hansa wird nicht nur mittelalterlich geschlemmt sondern auch musiziert

Wer mal eine „Rote Beete-Lasagne“ probieren möchte, dem sei das Kloostri Ait im Schatten der Katharinenkirche empfohlen. Mit Parmesan überbacken ist das Ganze der Oberknaller.

Einen der schönsten und weitreichendsten Blicke über Tallinn hat man mit Sicherheit vom Dach der Olai-Kirche. Diese Kirche war zwischen 1549 und 1625 mit ihrem 159 Meter hohem Turm einmal das höchste Gebäude der Welt. Nach diversen Blitzeinschlägen und Bränden hat man die Kirche dann auf „nur“ 123 Meter wieder aufgebaut.  Nachdem man gut 250 Stufen erklommen hat, steht man wirklich auf dem Sims des Kirchendachs und kann seinen Blick in alle Richtungen schweifen lassen. Nichts für Leute mit Höhenangst. Auch ist der Aufstieg und die Aussichts“plattform“ selbst eher etwas gewöhnungsbedürftig und wäre nach deutschem Baurecht wahrscheinlich nicht zulässig :-).

Blick von der Olai-Kirche über die Stadt

Blick von der Olai-Kirche über die Stadt

Aber diese Aufstiege sind hier  eher Standard. So kann man beispielsweise die Stadtmauer am Nonnenturm erklimmen und hier dann ein paar Meter über den Dächern entlang spazieren. Aber auch hier gilt: Festes Schuhwerk ist unbedingt empfehlenswert.

Etwas außerhalb der Stadtmauer (ca. 5 Minuten Fußweg) liegt das Rotermann-Viertel. Hier entstand (respektive entsteht noch) auf dem Areal einer alten Fabrik (die es Industriellen Rotermann) ein neues Viertel mit Bürohäusern, Shoppingcentern und Restaurants. Auf jeden Fall einen Blick wert, wie ich finde.

Am Tag vor unserer Abreise hatte Tallinn dann noch eine schöne Überraschung für uns parat. Hier fand nämlich der so genannte “Tallinna Päev”, also der Tallin-Tag statt. Highlight, dass ich meinen Lesern nicht vorenthalten möchte, war dort die letztjährige Gewinnerin des „Eesti otsib superstaari“ (das ist im Prinzip wie DSDS. Mit dem Unterschied, dass die Kandidaten singen können).  Liis Lemsalu, 20jährige Estin aus Tallinn mit einer Hammerstimme, versuchte hier, die doch eher etwas verhalteneren Esten aus der Reserve zu locken. Mit dabei war auch dieser Song:

Wie man schon sieht, hat Tallinn viel zu bieten. Von allem etwas, wahrscheinlich die höchste Restaurantdichte der Welt :-), eine Sprache mit unglaublich vielen Vokalen und dem Deutschen sehr ähnlichen (Politsei, Gümnaasium, Bürgermeister etc.) und viele wirklich freundliche Menschen.

Nachdem ich in meinem Reiseführer gelesen hatte, dass der Este doch eher zurückhaltend ist, kann ich das so nicht bestätigen. Ich kann nur jedem empfehlen, einmal einen Trip nach Tallinn einzuplanen. Sie werden es nicht bereuen.

Kommentare (1)

Wie Arbeitgeber auf Sylt Bewerber umwerben und warum Hörnum keinen Tourismusdirektor findet

[...] mal an meiner knapp bemessenen Freizeit teilhaben und berichte aus Städten wie Barcelona, Rom oder Tallinn – warum also nicht auch von Sylt. Klar, ich hätte auch noch ein paar andere Artikel in [...]
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